Die Pandemie begleitet uns mittlerweile über ein Jahr. Wie ist HDI Leben durch das Jahr 2020 gekommen, Dr. Dahmen?
Dahmen: Rund 90 Prozent unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten seit März vergangenen Jahres überwiegend im Homeoffice. Die technische Umstellung hat wenige Tage gedauert und gut funktioniert. Was mich freut: Die Mitarbeiter sind zufrieden. Aber auch die Kunden. Das zeigen unsere Abfragen bei Zufriedenheit und Services.
Als verantwortlicher Vorstand für die Lebensversicherung im Vorstand der HDI Deutschland und damit auch zuständig für rund 50 Milliarden Euro Kapitalanlagen setze ich mich auch mit den Einschlägen auseinander, die die Turbulenzen an den Kapitalmärkten in die Bilanzen schlagen. Mit Blick auf die finanzielle Resilienz kann ich festhalten, dass wir gut unterwegs sind. Ein Beleg dafür ist unsere robuste Solvency-II-Quote. Ende 2019 lag sie ohne Übergangsmaßnahmen bei 223 Prozent.
Mit Übergangsmaßnahmen bei 473 Prozent. Mit Blick auf den Zinsverfall im Jahr 2020 erwarten wir einen leichten Rückgang. Das sind natürlich vorläufige Prognosen, da die finalen Zahlen noch nicht vorliegen. Und eine weitere gute Nachricht – wir haben nahezu keine Abschreibungen in den Kapitalanlagen. Insgesamt bin ich zufrieden.
Woran liegt das, dass Sie gut unterwegs sind?
Dahmen: Wir haben über 98 Prozent der Kapitalanlagen in festverzinslichen Wertpapieren im Investmentgrade angelegt – in der Sprache der Ratingagenturen mindestens BBB. Rund 80 Prozent unserer Kapitalanlagen liegen im Bereich AAA bis AA. Das zeigt, dass wir hier eher konservativ herangehen, was gerade in der Krise von entscheidender Bedeutung ist.
Daneben haben wir insbesondere die Phase zwischen März und Juni 2020 genutzt, um von den Verwerfungen an den Kapitalmärkten zu profitieren. Gerade in dieser Phase hat die Börse verrückt gespielt, so dass wir sogar einen Sonderertrag von insgesamt 50 Millionen Euro über alle Rechtsträger unseres Geschäftsbereichs realisieren konnten.
Wie steht es mit dem Versicherungsneugeschäft?
Dahmen: Die Herausforderungen waren groß: Die Banken mussten in der ersten Welle ihre Filialen schließen und in der betrieblichen Altersversorgung (bAV) kamen die Makler faktisch nicht mehr in die Firmen, so dass wir einen Rückgang zu verzeichnen haben. Eine positive Entwicklung haben wir hingegen im Bereich der Biometrie.
Die Steigerung in diesem Segment führen wir auf die Pandemie zurück, die vielen Kunden die eigene Verletzlichkeit vor Augen geführt hat. Neben dem Bewusstsein um die eigene Gesundheit gewinnen auch die Fragen an Bedeutung, wie ich für meine Familie Vorsorge und nicht zuletzt, wie ich mich gegen diese Risiken absichere.
Im Ergebnis bin ich mit dem realisierten Neugeschäft über alle Risikoträger in der Lebensversicherung zufrieden – ich erwarte in Summe einen leichten Rückgang – bei der HDI Lebensversicherung sogar ein leichtes Plus, was wirklich beachtlich ist.
Das Feld der Biometrie ist ja doch sehr breit. Welche Produkte waren besonders gefragt?
Dahmen: Eindeutig die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU). Hier haben wir deutliche Steigerungen. Was nicht weiter verwunderlich ist: Wir sind ein leistungs- und servicestarker BU-Anbieter mit einem vielfach ausgezeichneten BU-Schutz und einer hohen Expertise in dem Bereich. Unsere Wettbewerbsfähigkeit in diesem Segment ist unbestritten und wird von renommierten Rating-Agenturen mit Bestnoten gewürdigt.
„Die Biometrie ist neben der betrieblichen Altersversorgung eines unserer Schwerpunkte“
Das führte dazu, dass sich das Geschäftsfeld gut entwickelt hat. Die Biometrie ist neben der betrieblichen Altersversorgung eines unserer Schwerpunkte und nach vorne gerichtet, gehört sie zu den Wachstumsfeldern, in dem wir uns breiter aufstellen wollen – beispielsweise durch das Angebot einer Grundfähigkeitsversicherung.
Sie sprachen gerade die beiden Produkte an. Sehen Sie dort einen weiteren Wachstumsmarkt?
Dahmen: Ich schätze, der BU-Markt ist im Umfang und Potenzial begrenzt. Es gibt Studien, die sehen für das Produkt gerade einmal ein Viertel der Berufstätigen als mögliche Kunden. Letztlich spielen Preis, Gesundheitsfragen und Annahmekriterien hier eine wesentliche Rolle. Daher bin ich überzeugt, dass es andere vielversprechende Segmente gibt und die Grundfähigkeit ist meines Erachtens eines davon.
In dem Bereich sehen wir bereits eine deutliche Steigerung im Markt. Weil es greifbarer ist – unter Grundfähigkeiten kann sich jeder etwas vorstellen. Das Thema Berufsunfähigkeit ist dagegen deutlich beratungsintensiver. Hier sehen wir ein Feld, in dem wir in den kommenden Jahren nachlegen wollen.
Ich würde gerne noch einmal auf das Neugeschäft zurückkommen. In welchen Vertriebssegmenten waren die Herausforderungen besonders groß?
Dahmen: Die größten Herausforderungen im Neugeschäft haben wir bei Banken gesehen – insbesondere in den Lockdown-Monaten März bis Mai – hier haben wir Rückgänge – bezogen auf den einzelnen Monat und im Vergleich zum Vorjahr – von 40 bis 50 Prozent verzeichnet. Danach hat sich die Lage entspannt und konnte in den Folgemonaten kompensiert werden, so dass der Rückgang im Neugeschäft insgesamt natürlich deutlich niedriger ausgefallen ist.
Bei unseren Maklern konnten wir hingegen erfreulicherweise ein leichtes Wachstum erzielen. Grund dafür: Zum einen arbeiten wir nicht nur mit einem, sondern vielen Maklern zusammen, daher hielten sich die Auswirkungen in Grenzen. Zum anderen gibt es sehr wendige Makler, die sofort auf digitale Formate umgestellt haben. Ich kenne übrigens einige Finanzvertriebe, die von der Tatsache, dass alle zu Hause waren, enorm profitiert haben. Mit deutlich positiven Zuwächsen.
Sie hatten in der Lebensversicherung die Möglichkeit von Beitragspausen angeboten. Wurde dies genutzt?
Dahmen: In der Tat haben wir mit der Corona-Pause allen Kunden frühzeitig angeboten, ihre Beitragszahlungen bis zu sechs Monate lang zinsfrei auszusetzen. Der Versicherungsschutz bleibt während der Pause vollumfänglich erhalten. Damit wollen wir Kunden, die durch Corona unverschuldet in einen finanziellen Engpass geraten sind, schnell und unbürokratisch helfen.
„Bis heute haben mehr als 7.000 Kunden diese Hilfe angenommen“
Bis heute haben mehr als 7.000 Kunden diese Hilfe angenommen. Der Großteil davon entfällt auf das Segment Leben und hier insbesondere auf die betriebliche Altersversorgung. Aus nachvollziehbaren Gründen: Die Firmen wollten in dieser Phase die Liquidität komplett im Hause halten. Darüber hinaus haben wir ein digitales Hilfspaket für unsere Vertriebspartner geschnürt. Damit hatten sie binnen 48 Stunden eine digitale Basis für ihre Beratungs- und Abschlussprozesse. Was die Reputation angeht, sind wir damit im Maklermarkt einer der Gewinner.
Ein Unternehmen von ihrer Größe in das Homeoffice zu versetzen und binnen kürzester Zeit Betriebsfähigkeit herzustellen, Maklern die nötige Software anzubieten – Sie sprachen gerade das digitale Hilfspaket an – ist eine enorme Herausforderung. Wie gut sind Sie als Unternehmen zwischenzeitlich digital aufgestellt?
Dahmen: Wir unterscheiden hier drei Themenfelder. Erstens: Die Automatisierung sämtlicher Geschäftsprozesse. Und das nicht nur Richtung Kunde, sondern auch zwischen Vertriebspartner und unserem Unternehmen und das in beide Richtungen. Hier investieren wir viel – insbesondere in die betriebliche Altersversorgung über bAV-Portale. Wir wollen die gesamten Prozesse zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Makler sowie unserem Unternehmen vollständig digitalisieren.
Das ist eines der zentralen Themenfelder. Wir haben die klare Intention, unsere gesamten Abschlussstrecken vollständig zu digitalisieren. Das heißt nicht, dass wir den personalen Vertrieb substituieren wollen – das Gegenteil ist der Fall. Fakt ist: Alle Prozesse rund um Beratung, Abschluss und Verwaltung müssen für unsere Vertriebspartner so einfach wie möglich gestaltet sein. Das ist eine zentrale Grundvoraussetzung und das bestätigen uns auch Makler und große Vertriebsgesellschaften.
Zweitens: Data Analytics in der Lebensversicherung. Wie nutze ich Daten, um daraus Rückschlüsse auf die Bedürfnisse der Kunden zu ziehen. Etwa im Hinblick auf Cross-Selling- oder Up-Selling-Möglichkeiten. Oder um bestimmte Parameter des Kunden in seiner Risiko-Exposition zu erfassen und bei der Bewertung zu berücksichtigen.
„Data Anlaytics in der Lebensversicherung“
Hier stehen wir noch an den Anfängen. Ich bin überzeugt, dass wir Lösungen – ähnlich wie die Telematik in der Sachversicherung – auch in der Lebensversicherung sehen werden. Meines Erachtens wird der gesamte Gesundheitsfragen-Prozess in der Biometrie künftig nicht mehr in dieser Intensität ablaufen, sondern partiell durch digitale Ansätze ersetzt werden.
Drittens: Wir investieren in neue digitale Geschäftsmodelle. Ob sie Erfolg haben werden, bleibt abzuwarten. Ein Beispiel ist AIMO: Mit der App können Kunden ihren Bewegungsapparat auf Schwachstellen analysieren, dazu reicht eine Kniebeuge. Die Video-App scannt den Bewegungsablauf, erkennt mögliche Schwachstellen und gibt Fitness-Empfehlungen, um gegenzusteuern. AIMO wollen wir insbesondere in Firmen im Rahmen von BU-Kampagnen nutzen. Zielgruppe dort ist die Belegschaft – also Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Denn Erkrankungen des Bewegungsapparates machen immerhin ein Drittel aller Leistungsfälle in der BU aus. Dieser spielerische Ansatz dient der Sensibilisierung für Gesundheit und Prävention und weniger der Generierung von Neugeschäft. Wir sehen uns als Partner des Kunden und damit wollen wir unseren Anspruch bekräftigen.