Digitalisierung im Vertrieb: „Zwei Seiten einer Medaille“

Die Digitalisierung hat die Versicherer, die Vertriebe und die Vermittlerschaft mittlerweile voll im Griff. Machine Learning, künstliche Intelligenz, digitale Verarbeitung in Echtzeit sind nur einige Schlagworte. Stefan Butzlaff, verantwortlich für die Digitalstrategien der Swiss Life Gesellschaften in Deutschland, liefert Antworten auf die brandaktuellen Trends.

Stefan Butzlaff: „Persönliche und digitale Beratung sind kein Widerspruch“

Im letzten Jahr hat die Vermittlerschaft viele digitale Projekte umgesetzt. Digitale Dauerbrenner waren schnelle und intuitiv erfassbare Angebots- und Vergleichsrechner, Kundenportale, die zur Kundengewinnung und -bindung eingeführt wurden sowie die Kundenkommunikation über WhatsApp oder Social Media.

Zur Normalität gehört mittlerweile auch, dass sich die Kunden bei der Beratersuche an den Bewertungen der Community orientieren – so zum Beispiel bei ProvenExpert. Diese Entwicklungen werden jedoch längst nicht das Ende der Fahnenstange sein: In den kommenden zwei Jahren werden wir eine große Veränderung darin erleben, wie Beratung funktioniert.

Wir bei Swiss Life Deutschland haben den Anspruch, den Markt zu prägen und investieren stark in digitale Projekte. Vor diesem Hintergrund wage ich auch einen Blick in die Glaskugel und gebe eine Antwort auf die Frage, welche brandaktuellen Trends das Potenzial haben, die Art und Weise, wie Vermittler in den kommenden zwei Jahren arbeiten werden, am meisten zu prägen.

Meine persönliche Bestenliste wird von vier Mega-Trends angeführt: die PSD2-Richtlinie, die Videoberatung, das Fotografieren und Auslesen von Dokumenten sowie die digitale Verarbeitung in Echtzeit.

Mega-Trend PSD2-Richtlinie

Die europäische Gesetzgebung PSD2 verpflichtet jede Bank in Europa, Kontoinformationen auf Kundenwunsch Multibankinganbietern zur Verfügung zu stellen. Nicht nur reine Online-Banken wie zum Beispiel N26 profitieren davon, sondern auch Versicherungsvermittler, die sich als ganzheitliche Finanzanbieter bei Kunden profilieren möchten.

Gerade Pools, Vertrieben oder Versicherungen ist es möglich, Multibankingfunktionalitäten in die eigenen Systeme zu integrieren. Mit den dadurch gewonnenen Daten kann man die Lebensrealität der Kunden besser verstehen und daraus Beratungsansätze ableiten.

Kauft ein Kunde zum Beispiel erstmalig einen Kinderwagen, so steht sehr wahrscheinlich die Geburt eines Kindes an und Vermittler könnten den Kunden auf Produkte zur Kindervorsorge ansprechen. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten, mit den Kunden in Kontakt zu treten und ihnen dabei zu helfen, Mehrwerte rund um Finanzen und Vorsorge zu erkennen.

Selbstredend müssen hierbei die Datenschutzbedürfnisse der Kunden gewahrt werden. Weitere Chancen bieten sich Finanzdienstleistern zum Beispiel aber auch durch die Vermittlung von Kreditkarten. Damit würde die Schnittstelle des Bankberaters zum Kunden zugunsten des Vermittlers empfindlich verschoben. Spannend wird es sein, wie die Banken auf diese Entwicklungen reagieren.

Mega-Trend Videoberatung

In wenigen Jahren wird kaum ein Vermittler ohne Videoberatung die fürs Geschäft notwendige Kundenbindung realisieren können. Die Screen-to-Screen-Kommunikation hält mit großer Macht in der Gesellschaft Einzug und wird die Art, wie wir mit den Kunden kommunizieren, verändern.

Sie ist einfach, spart Zeit sowie CO2 und ist trotzdem deutlich persönlicher als ein Telefonat oder eine E-Mail. Im Vermittlerwesen wird sich die Videoberatung nicht zuletzt dank der Möglichkeiten von Fernsignaturen durchsetzen.

Mega-Trend: Fotografieren und Auslesen von Dokumenten

Einige Dienstleister experimentieren schon lange mit der Erfüllung des Traums vieler Vermittler: Eine beliebige Police oder Wertmitteilung wird abfotografiert und wie von Zauberhand ins eigene Maklerverwaltungsprogramm oder CRM-System eingefügt.

n der Realität ist jedoch die Fehleranfälligkeit der Systeme bislang noch zu hoch, um das Fotografieren und Auslesen von Dokumenten in vielen Beratungssituationen einsetzen zu können. Normierte Dokumente wie zum Beispiel ein Personalausweis bereiten keine Probleme, aber die Erfassung einer komplexen Policenstruktur führte die sogenannten OCR-Systeme (Optical-Character-Recognition-Systeme) an ihre Grenzen.

Dank Machine Learning und künstlicher Intelligenz entwickeln sich die Systeme jedoch schnell weiter. Kurz- bis mittelfristig rechnen wir damit, dass sie aus dem Alltag eines Vermittlers nicht mehr wegzudenken sein werden.

Mega-Trend: Digitale Verarbeitung in Echtzeit

Wenn es um die Bestandsübertragung, Policierung, Nachbearbeitung oder um Erhöhungsanträge geht: Vermittler und Kunden haben hohe Ansprüche an kurze Servicezeiten. Kein Wunder, denn Unternehmen aus anderen Branchen setzen hier längst Standards.

Bestellen Kunden etwas über Amazon, erhalten sie eine lückenlose digitale Kommunikation in Echtzeit über den Bestellvorgang, eine schnelle Lieferung der Ware und eine serviceorientierte Abwicklung im Falle einer Rücksendung. Aufgrund dieser Erfahrungen haben sowohl Vermittler als auch Kunden eine ähnliche Erwartungshaltung an den Beratungsprozess. Jedoch werden sie immer noch häufig enttäuscht.

Um ein Beispiel aus Vermittlerperspektive zu nennen: Es ist immer noch gang und gäbe, dass Vermittler auf dem Postweg über eine Kündigung des Kunden informiert werden. Besonders dramatisch wird es, wenn digitale auf Offline-Prozesse treffen: Kündigt zum Beispiel ein Kunde eine Fondspolice, zahlen manche Anbieter das Geld automatisiert innerhalb von wenigen Stunden aus. Der Vermittler erfährt von dieser Kündigung jedoch als letztes Glied in der Prozesskette Tage später, da er über den Postweg angebunden ist.

Die gute Nachricht ist: Einerseits haben diverse Dienstleister und Marktteilnehmer dieses Problem bereits erkannt und bieten hier stetig qualitativ hochwertigere Prozesse an. Andererseits gibt es Produktpartner, die an Prozesse zur Dunkelverarbeitung bzw. an vollautomatisierte Prozesse angebunden sind.

Es gibt natürlich weitere Herausforderungen für Vermittler: Die BiPRO-Normen werden sich weiter durchsetzen, elektronische Signaturen und Kundenportale werden in den kommenden Jahren endgültig zur Normalität.

Viele Marktteilnehmer haben bereits heute große Schritte auf dem Weg zur digitalen Transformation gemacht. Weitere werden folgen. Bei Swiss Life haben wir die Digitalisierung tief in unserer Unternehmens-DNA verankert. Wir glauben an die persönliche Beratung unserer Kunden und dass diese mit einer digitalen Beratung, die unabhängig von Ort und Zeit ist, bestens vereinbar ist.

Wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zeigt, bevorzugen 88 Prozent der Deutschen einen persönlichen Ansprechpartner. Der reine Online-Abschluss einer Kfz- oder Haftpflichtversicherung ohne eine persönliche Beratung mag noch funktionieren, bei komplexeren Themen wie der Altersvorsorge reicht ein Vergleichsportal jedoch nicht aus.

Vielmehr muss sich ein Vermittler mit dem konkreten Bedarf des Kunden auseinandersetzen und diesen optimal in seine gesamte Finanzsituation einbinden. Die persönliche und die digitale Beratung sind unserer Meinung nach kein Widerspruch. Ganz im Gegenteil. Sie sind zwei Seiten einer Medaille.

Autor: Stefan Butzlaff ist Vorstand von tecis und Geschäftsführer der Swiss Life Deutschland Vertriebsservice GmbH.

Foto: Swiss Life Deutschland

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