EXKLUSIV

Transformation in der Versicherungsbranche: Die ausgebliebene Revolution und die Hybris der Insurtechs

Zur Wahrheit gehört aber auch: Insurtechs haben die Versicherungsbranche auch vorangebracht und vorangetrieben. Denn in verschiedenen Bereichen sind die jungen wirklich schneller und besser. Und das haben die Großen auch gemerkt. Und die jungen Insurtechs die den Braten gerochen haben, sind gestärkt aus den Irrungen und Wirrungen der Anfangsjahre hervorgegangen. Das vor allem, weil erkannt wurde, dass der „ich kann alles alleine, und zwar disruptiv“-Ansatz in einem so verteilten Markt wie Deutschland langfristig nur mit Unmengen an Geld oder in sehr cleveren Kooperationen durchgestanden werden kann.

So hat man mancherorts eine Wandlung erleben dürfen, vom Gegenentwurf der Industrie zum Partner und digitalen Enabler etablierter Produktmodelle. Einfach gesagt hat mit den Insurtechs die Digitalisierung viel schneller am Markt Einzug gehalten und etablierter Versicherer befähigt neue Services und Listungen anzubieten oder sogar gänzlich neue Geschäftsfelder und Vertriebsmodelle zu erschließen.

Daseinsberechtigung vorhanden

Um hier einmal einen Deepdive zu wagen: Ein etablierter Versicherer hat ein tolles Produkt und exzellenten Service und möchte damit in einen weiteren Vertriebsweg investieren. Es fehlt ihm aber die dafür notwendige digitale Infrastruktur und die benötigten digitalen Schnittstellen, allgemeinhin API genannt, um sein Produkt effizient und nahtlos anbieten zu können. Es mangelt Versicherungsunternehmen aber nicht an Expertise, Vertriebsvermögen oder Produkt-Know-How, sondern lediglich an der technischen Verknüpfung. Gerade hier können Insurtechs im Markt zum regelrechten Gamechanger werden.

Zum digitalen Enabler und Partner, der das „Missing Link“ herstellt und dazwischen auch vermittelt. Damit ist nicht nur einem geholfen, es dient dem gesamten Umfeld: Bessere Produkte werden schneller und technisch hochgradig servicierbar transparenter an die Kunden gebracht. Natürlich geht es hier wieder um den Vertrieb zum Kunden, aber das eine ist zu verkaufen. Den Kunden tatsächlich halten, langfristig an die Marke binden ist Aufgabe des gesamten Pakets, also dem Orchester aus Vertrieb, Produkt, Betrieb, Schaden und Service. Hier zeigen die Insurtechs ihre eigentliche Exzellenz. Sie fungieren verbindend und schaffen damit transparente Marktplätze, wo vorher vielleicht gar keine waren.

Das Ergebnis: Nahtlos eingebundene Produkte passend zu den Lebenswelten der Kunden. Das ist etwas, mit dem sich Versicherer in der Vergangenheit immer mal wieder schwergetan haben und diese Produkte können nun in Echtzeit an die Kunden bzw. an den Point of Sale, beispielsweise beim Kauf eines teuren Konsumguts, wie etwa ein E-Bike, platziert werden.

So wie es der Kunde in den letzten Jahren von den Google, Apple, Facebook, Amazon (GAFA) gelernt hat und so wie es übrigens die Genration Z nun auch ganz selbstverständlich erwartet.

Der gemeinsame Weg ist der erfolgreichere

Dabei beschränkt sich die Tätigkeit, oder nennen wir es Zusammenarbeit, der Insurtechs mit den etablierten Versicherern nicht allein auf den Absatzweg, bzw. den POS. Auch das Anbinden von technischen Dienstleistungen, siehe Telematik, Zulassungsservices oder auch die Abwicklung ganzer Betriebsabläufe im Hintergrund haben sich im Markt bereits etabliert.

Und entgegen aller Unkenrufe verliert dabei keiner der Partner sein Gesicht. Im Gegenteil: Jeder gewinnt. Das Insurtech erweitert seinen Business Case und kann weiter stabil wachsen und der etablierte Partner erhält einen Qualitäts- und Service-Boost, ohne dass weder seine Organisation noch das Ansehen noch das Vertrauen in die eigene lange Jahre gepflegte Marke leiden muss.

Und wir müssen auch erkennen, dass bei dieser Entwicklung die Demographie ein gehöriges Wörtchen mitredet und das analoge Prozesse durchaus zwar funktionieren, aber der Fachkräftemangel der letzten Jahre dazu führen wird, dass das Ende der analogen Fahnenstange erreicht wird. Ein analoger Prozess lässt sich eben nicht unendlich skalieren, wenn es an der Ressource Mensch fehlt.

Sie ist wichtig, keine Frage, und trotzdem sollte man sich gemeinsam im Markt die Frage stellen, ob das noch vorhandene Talent nicht sinnvoll(er) durch technische Kooperationen besser eingesetzt werden kann. In Fachbereichen, in denen heute das Durchschnittsalter schon über 50 Jahre ist, werden die nächsten Jahre keine Entlastung in den Service-Levels bringen. Wie das aber geht, das haben Insurtechs aufgrund der finanziellen Lage und eng limitierten Ressourcen hinreichend bewiesen, also dass Technologie hier eine langfristig belastbare Lösung sein kann.

Die Reise der Insurtechs hat in den letzten Jahren überraschende Wendungen und Abzweige genommen, ab und an auch mal den falschen Weg eingeschlagen oder schlichtweg in der Sackgasse zum Ende geführt. Das gehört dazu. Aber die Zeit war aktuell nie besser als heute für emanzipierte Insurtechs und aufgeschlossene Versicherer gemeinsam den Weg in die Zukunft der Versicherung zu gehen und damit sowohl die Produkte aber auch das Vertrauen der Verbraucher nachhaltig zu verbessern.

Der Autor Stephen Voss ist CEO der Neodigital Versicherung

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