Auch für Versicherer gilt: Die Macht hat sich zum Verbraucher verlagert. Durch die Nutzung moderner, mobiler Anwendungen geprägt erwarten Kunden, dass sie von einem Versicherungsanbieter schneller und einfacher das Benötigte bekommen.
Dabei wollen sie eine wachsende Zahl von Kanälen und Möglichkeiten des Datenaustauschs nutzen. Die klassische Interaktion von Versicherungsvertretern mit dem Kunden gehört in einer Zeit der Generation Y und X der Vergangenheit an. Die Kommunikation mit heutigen Verbrauchern erfolgt vielmehr digital.
In einer von Technologie und Daten geprägten Welt verändern sich die Wettbewerbsfaktoren. Etablierte Anbieter, die sich Anpassungen verschließen, werden ins Hintertreffen geraten. Nur diejenigen, die in der Lage und entschlossen sind, die Anforderungen des digitalen Zeitalters an die Konnektivität zu erfüllen, werden langfristig erfolgreich sein.
Versicherer müssen folglich Innovationen im Hinblick auf die Bedürfnisse der Kunden vorantreiben, die Kundenbeziehungen verbessern und mit strategisch wichtigen Vertriebspartnern zusammenarbeiten. Dafür ist eine Infrastruktur erforderlich, die diese Möglichkeiten bietet. Versicherer müssen Kunden vor allem kanalübergreifend mehr Touchpoints bieten. Auch eine Präsenz etwa auf Vergleichsportalen und Marktplätzen ist ein Gebot der Stunde.
Die Umsetzung der dafür erforderlichen Innovationen und Maßnahmen erfordert eine umfassende Digitalisierung. Dabei geht es vor allem um die Entwicklung von Analytics-Strategien, die Automatisierung unter Einsatz von ML (Maschinellem Lernen), die Cloud-Migration und die Nutzung digitaler Ökosysteme.
Daten sind das neue Öl
Bei fast allen Versicherern ist die Ausgangslage identisch: Sie verfügen über eine große Anzahl an Daten, die allerdings nicht in einem Maße genutzt werden, wie es möglich ist; das Potenzial dieser Daten ist immens. Zum einen sind Daten in unterschiedlichen Systemen vorhanden, die nicht miteinander vernetzt sind. Zum anderen liegen auch viele Daten in unstrukturierter oder semistrukturierter Form vor.
Nur mit einer umfassenden Integration und Analyse aller vorhandenen Daten erhalten Versicherer wichtige und exakte Erkenntnisse. Das technische Fundament dafür bilden leistungsstarke BI (Business Intelligence)- und Big-Data-Analytics-Lösungen.
Sie liefern zum Beispiel Informationen zu den Risiken und zum Verhalten von Kunden. Dies unterstützt Versicherer beim maßgeschneiderten und flexiblen Underwriting. Darüber hinaus ermöglicht eine zielgenaue Datenanalyse etwa auch eine Betrugserkennung und -prävention.
Die mögliche Datennutzung geht aber noch viel weiter. Wenn Informationen aus Bereichen wie Demografie, Marketing, Reklamationen oder externen Trends visualisiert, integriert und verfeinert werden, können deskriptive, prädiktive und sogar präskriptive Analysen durchgeführt werden. Auf dieser Basis können dann Kunden individuell angesprochen werden.
An KI und ML führt kein Weg vorbei
Wie in anderen Branchen wird auch in der Versicherungswirtschaft der Einsatz von KI (Künstlicher Intelligenz) und insbesondere von Maschinellem Lernen an Bedeutung gewinnen. Die möglichen Anwendungsbereiche sind vielfältig. So können sowohl Teilaufgaben und Routinetätigkeiten als auch komplexe Interaktionen automatisiert werden: von der Steuerung der erforderlichen Informationsbeschaffung bei Unfällen bis hin zu Vertriebsaktivitäten bei bestehenden Kunden über Retargeting und Verhaltensanalysen.
Gerade im Marketing, Vertrieb und Support werden zunehmend KI-basierte Lösungen genutzt werden, Stichworte sind dabei Chatbots beziehungsweise Conversational AI. So begleiten virtuelle Agenten Kunden mithilfe von Spracherkennung bei Serviceanfragen und optimieren damit das Kundenerlebnis.
Versicherer können auch neue Leads auf der Basis einer automatisierten Analyse des Kundenverhaltens einfacher generieren. Nicht zuletzt besteht für Versicherer die Möglichkeit, Kundenfeedback aus Supportanrufen mithilfe von Text- und Spracherkennung zu analysieren und damit die Marketingstrategie zu optimieren.
Um es deutlich zu sagen: KI- und ML-Nutzung wird bei Versicherern nicht auf Randthemen beschränkt bleiben, auch Kernversicherungssysteme rücken in den Fokus. Durch Informations- und Kommunikationssysteme werden heute Daten in einer Geschwindigkeit generiert, die Menschen nicht mehr in kurzer Zeit bearbeiten können. Nur durch die Einbindung von KI-Technologien in diese Systeme können schnellere und bessere Entscheidungen in komplexen, zeitkritischen Umgebungen getroffen werden.
Einen konkreten Vorteil bieten ML-basierte Lösungen Versicherern gerade im Claim Management. ML-Technologien unterstützen zum Beispiel bei der automatisierten Analyse von Schadensfotos oder der automatisierten Informationsextraktion aus unstrukturierten Daten wie gescannten Dateien. Mit kognitiven Anwendungen können so Betrugsversuche einfacher aufgedeckt und die Genauigkeit bei der Schadensregulierung verbessert werden.
Die Prozessautomatisierung und -optimierung dient damit zum einen der Reduzierung von Betrugsrisiken. Zum anderen kann sie aber auch für die unmittelbare Regulierung von geringeren Schäden genutzt werden. Für Versicherer ist die automatische Abwicklung von kleinen Schadensfällen – auch im Falle eines Betrugs – rentabel, da so hohe Prozesskosten durch menschliche Interaktionen vermieden werden.
Insgesamt führen ML-basierte Lösungen auch zu einer Steigerung der Kundenzufriedenheit durch die schnellere Bearbeitung von Anträgen und Schadensmeldungen – ein wichtiger Punkt in einer Zeit der Sofortness beziehungsweise digitalen Ungeduld. Darüber hinaus bewirkt die Reduzierung manueller Tätigkeiten eine Erhöhung der Mitarbeiterproduktivität. Nicht zuletzt kann eine Prozessoptimierung in der Regel zu einer Kostenreduzierung beitragen.
Versicherer gehen in die Cloud
Auch an einer zunehmenden Cloud-Nutzung werden Versicherer in den kommenden Jahren kaum vorbeikommen. Eine Einschränkung gibt es dabei kaum, da sich letztlich alle Wertschöpfungsprozesse von Versicherungen in einer Cloud-Lösung abbilden lassen.
Die ausschlaggebenden Gründe für Cloud-Migrationen sind eine höhere Agilität, Geschwindigkeit, Flexibilität, Verfügbarkeit und Skalierbarkeit. Die vielfach angeführte Kostenoptimierung spielt in der Versicherungsbranche dabei eine eher untergeordnete Rolle.
Die Cloud bietet Versicherern vor allem die Möglichkeit, schnell Innovationen umzusetzen und neue Produkte anzubieten. Eine Verlagerung der IT in die Cloud verschafft ihnen darüber hinaus Freiräume für die Konzentration auf die eigenen Kernkompetenzen und -geschäftsfelder.
Bei der künftigen Cloud-Nutzung im Versicherungswesen zeichnen sich zwei Trends ab: zum einen wird die Public-Cloud das bevorzugte Betriebsmodell sein und zum anderen werden wie in anderen Branchen auch verstärkt Standardlösungen eingesetzt werden.
Eng verbunden mit der zunehmenden Nutzung von Cloud-Plattformen ist auch die steigende Bedeutung von digitalen Ökosystemen. Sie bieten Versicherungsunternehmen die Möglichkeit, ihre eigenen Versicherungsangebote mit den Services und Leistungen anderer Dienstleister zu verknüpfen – etwa auch von Drittanbietern oder Insurtechs.
Im Bereich der KFZ-Versicherung etwa ist eine Kooperation mit Werkstätten, Abschleppdiensten oder Mietwagenfirmen denkbar. Ohne die Cloud, mit der Versicherer über offene Schnittstellen innovative Technologien integrieren und zusammen mit Partnern flexibel auf Daten zugreifen können, sind derartige Serviceerweiterungen nur schwer zu realisieren. Prinzipiell können Versicherer mittels digitaler Ökosysteme auch neue Kundensegmente einfacher und schneller adressieren.
Noch bleibt viel zu tun
Insgesamt ist bei der Digitalisierung in der Versicherungsbranche inzwischen vieles auf den Weg gebracht, es gibt auch schon einzelne Leuchtturmprojekte, aber es bleibt noch viel zu tun. Von einer durchgehenden Digitalisierung sind Versicherer in der Regel noch weit entfernt.
Um im intensiven Wettbewerb bestehen zu können, werden Versicherungsunternehmen in den kommenden Jahren die Digitalisierung, die Optimierung von Prozessen und die intelligente Datennutzung konsequent vorantreiben müssen. Der Einsatz neuer Technologien und Betriebsmodelle ist dafür zwingend erforderlich.
Autor Dr. Eike Schmidt ist Chief Technology & Product Officer von Fadata