Die Finanzindustrie begegnet der digitalen Transformation vielfach mit Skepsis. Dies ergibt eine aktuelle Panel-Befragung von über 800 Beschäftigten innerhalb des Finanzsektors, die von der Unternehmensberatung Horn & Company Financial Services und dem Banking-Club seit Mai 2019 regelmäßig erhoben wird.
Die Teilnehmer der Befragung decken ein breites Spektrum der Financial-Services-Industrie ab und stammen aus den drei klassischen Säulen des Bankgeschäftes – Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken – sowie aus den Bereichen Versicherungen, Spezialinstitute und Fintechs.
„Ergebnisse offenbaren Herausforderungen, denen sich die Branche aktuell stellen muss“
Das Verhältnis zwischen „Mitarbeitern/Sachbearbeitern“ auf der einen Seite (40 Prozent), Führungskräften (50 Prozent) und Geschäftsleitern (10 Prozent) auf der anderen Seite erlaubt die Ableitung eines differenzierten Stimmungsbildes auf mehreren Ebenen.
„Der hohe Zuspruch des neuen Panels innerhalb des zweiwöchigen Befragungszeitraums zeigt uns die hohe Relevanz des Themas Digitalisierung innerhalb der Branche“, so Dr. Alexander Bethke-Jaenicke, Geschäftsführender Partner von Horn & Company Financial Services. „Die Ergebnisse offenbaren aber auch die Herausforderungen, denen sich die Branche aktuell stellen muss“, so Dr. Bethke-Jaenicke weiter.
Stimmung bei den Mitarbeitern in Banken und Versicherungen eher verhalten
Verunsicherung bei Mitarbeitern von Privatbanken und Sparkassen spürbar:
Rückläufige Erträge, Sparanstrengungen auf der Personal- und Sachkostenseite und düstere Zukunftsperspektiven für die Finanzbranche hinterlassen Spuren bei der Stimmung der Befragten. Im Rahmen des neuen H&C-Stimmungsbarometers wurden die Teilnehmer nach der aktuellen Stimmung in Ihrem Unternehmen gefragt. Auf einer Skala von 1 („sehr gut“) bis 6 („sehr schlecht“) wird diese im Mittel mit einer „3 bis 4“ beschrieben.
Durchschnittlich negativer fällt das Urteil der Befrag-ten aus Sparkassen (Ø 3,7) und Privatbanken (Ø 3,8) aus. Und dies obwohl die Erhebung bereits vor der Kommunikation zum Einsparprogramm der Deutschen Bank stattgefunden hat.
Fintechs und Insurtechs bewerten die Stimmung in ihren Unternehmen hingegen mit einer Durchschnittsnote von 2,2 deutlich positiver. Die Grundstimmung bei den klassischen Branchenvertretern kann aber bestenfalls als „verhalten“ angesehen werden.
Finanzindustrie schätzt eigenen wirtschaftlichen Erfolg nur bedingt positiv ein
Lediglich ein Viertel der Unternehmen wachsen nach Einschätzung ihrer Mitarbeiter profitabel: Die aktuelle betriebswirtschaftliche Lage des eigenen Unternehmens wird nur von 25 Prozent der Befragten uneingeschränkt mit gut beurteilt.
Weitere 57 Prozent ordnen sich zwar noch den erfolgreichen Unternehmen zu, da sie es aktuell schaffen, sich im Wettbewerb durch Effizienzsteigerungen zumindest zu behaupten; nach einem ausschließlich positiven Blick in die Zukunft klingt dies aber nicht. Hier ist Handlungsbedarf bezüglich der Suche nach Wachstumsstrategien zu erkennen, um in einer sich schnell verändernden Umwelt zu bestehen.
Gefahr droht von zwei Seiten
Tech-Giganten und bisherige Wettbewerber werden gleichermaßen als Bedrohung gesehen: Die Teilnehmer der Panelumfrage spüren zunehmenden Wettbewerb und sehen ihre Unternehmen vor allem durch drei Gruppen bedroht: Tech-Giganten wie Apple und Google, werden mit 60 Prozent von den meisten Befragten als Gefahr betrachtet.
Interessant sind die Plätze 2 und 3 der gefährlichsten Wettbewerber, die zu 59 Prozent in direkten Wettbewerbern und zu 52 Prozent in anderen Finanzdienstleistern bzw. Vermittlern gesehen werden, also in Wettbewerbern, die es in Teilen auch schon vor der Digitalisierung gegeben hat.
Es wird eher befürchtet, dass sich bestehende Wettbewerber durch die Digitalisierung Vorteile erarbeiten, als dass neue Herausforderer wie Fin-techs/Insurtechs (46 Prozent sehen diese als Gefahr an) oder neue Ökosysteme, über die sich mehrere Disruptoren zusammenschließen (38 Prozent sehen dies als Gefahr an) zur Gefahr für das eigene Unternehmen werden.
Führungskräfte dürfen ihre „Mannschaften nicht vergessen“
Zuversicht bezüglich der digitalen Zukunft bei Führungskräften höher als bei Nicht-Führungskräften: Die Veränderungsprozesse im Rahmen der Digitalisierung der Finanzindustrie sind „top-down-getrieben“ und werden aktuell noch stärker vom Management in die Organisation getragen.
Dies spiegelt sich auch in den Befragungsergebnissen wider, die bezüglich der Einschätzung der digitalen Zukunft der Unternehmen ein teilweise differenziertes Bild je nach Position des Befragten ergeben: Betrachtet man die Gruppe der befragten Vorstände, Geschäftsführer und leitenden Angestellten, so äußern sich bereits über 86% positiv oder verhalten optimistisch bezüglich der digitalen Zukunft ihres Unternehmens.
Dahingegen blicken noch fast ein Viertel der Nicht-Führungskräfte – in der Studie differenziert benannt als Mitarbeiter, Spezialisten und Sachbearbeiter – pessimistischer in die Zukunft. Diese Ergebnisse zeigen, dass das Management bei den anstehenden Herausforderungen ihre Mitarbeiter weiter von den Chancen der Digitalisierung überzeugen muss und eine enge kommunikative Begleitung des Transformationsprozesses erforderlich ist.
Vielleicht zeigt sich aber in den Ergebnissen auch, dass die Digitalisierung den Arbeitsalltag der Mitarbeiter nachhaltig verändert. Dies schürt bei den Mitarbeitern Ängste – von der Veränderung des eigenen Tätigkeitsschwerpunkts bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes.
Unternehmen haben noch viel vor sich
Digitale Zukunft wird verhalten optimistisch gesehen – Weg ist für viele noch weit: Die Finanzindustrie spürt die Dimension des digitalen Transformationsprozesses und ist sich den damit verbunden großen Herausforderungen bewusst. Aktuell fühlen sich knapp ein Fünftel der Befragten von diesem Prozess abgekoppelt oder so weit im Hintertreffen, dass sie große Schwierigkeiten befürchten, wenn nicht schnell ein Umdenken in ihren Unternehmen erfolgt.
Die klare Mehrheit, rund zwei Drittel der Befragten, sehen bei ihren Unternehmen bereits erste Schritte in die richtige Richtung, aber auch noch eine lange Wegstrecke und viel Handlungsbedarf vor sich liegen. Dieser Handlungsbedarf wird durch die Geschwindigkeit des digitalen Fortschritts immer größer und drängender. Nur etwa 15 Prozent der Befragten sehen sich und ihr Unternehmen in Bezug auf die digitale Transformation schon näher am Ziel und damit gut für eine digitale Zukunft aufgestellt.
Foto: „obs/Horn & Company Financial Services GmbH“