Kein Anbieter setzt Digitalstrategien so umfassend und effizient um wie Firmen aus Asien. Der übrige Weltmarkt erscheint in dieser Hinsicht abgeschlagen – dennoch können europäische Versicherer die rasante asiatische Entwicklung vorteilhaft für sich nutzen. Ein Gastbeitrag von Karsten Wantia, Willis Towers Watson
Zhong An wurde 2013 in China gegründet und hat seitdem mehr als sieben Milliarden Policen verkauft – pro Jahr mehr als fünfmal so viele wie der gesamte deutsche Sachversicherungsmarkt. Wie kein anderer Versicherer der Welt ist Zhong An mit einem einzigartigen Geschäftsmodell zwischen Versicherung und Insurtech schnell und flexibel: Insbesondere der Fokus auf eine nahtlose Integration in eCommerce-Plattformen hat dieses Wachstum möglich gemacht.
Eine Geschichte, die bereits heute einen Blick in die Zukunft europäischer Versicherungsmärkte liefert? Zwar hat auch hierzulande fast jeder Marktteilnehmer eine „digitale Strategie“, aber keiner hat die Ambitionen, den Fokus und den unbedingten Willen zur ständigen Veränderung, den einige Unternehmen in Asien vorleben.
Sehr effizient arbeitende asiatische Unternehmen
Der rasante Aufstieg von Versicherern wie Zhong An und Ping An zeigt, wie überaus effizient asiatische Unternehmen die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen und skalieren können. Investoren weltweit honorieren das mit atemberaubenden Bewertungen und ausreichend Kapital, was eine globale Ausbreitung dieser Firmen zumindest möglich erscheinen lässt. China ist Spitzenreiter in Insurtech-Investitionen – und auch weltweit stiegen Investitionen in Startups aus der Versicherungsbranche 2017 um 36 Prozent an. Im ersten Quartal 2018 erreichte die Anzahl der Transaktionen einen neuen Höchststand von 66 Insurtech-Investitionen weltweit. Zuletzt standen vermehrt neue Technologien zur Schaden-Erkennung, -Bewertung und -Regulierung im Fokus; chinesische Unternehmen rühmen sich bereits, die komplette Schadenabwicklung auf der Basis von Fotos durchführen zu können.
Deutsche Versicherer in unterschiedlichen Digitalisierungsphasen
In Deutschland befinden sich die Versicherer in verschiedenen Phasen der Digitalisierung: Sie entwickeln eigene Technologien oder tätigen Zukäufe, die ihre Wertschöpfungskette an den neuralgischen Punkten optimieren sollen. In der hier gewachsenen Versicherungslandschaft liegt das Augenmerk dabei aber auch auf regulatorischer und wirtschaftlicher Stabilität. Online-Plattformen bilden einen Teil des Vertriebs, aber traditionelle Vertriebswege dominieren nach wie vor deutlich das Geschehen. Das zeigt, dass sich der europäische Markt anders entwickelt und dass hiesige Versicherer die Wandlungsfähigkeit und Flexibilität, die sich asiatische Gesellschaften angeeignet haben, wohl nur langsam erreichen werden.
Entwicklungen in Asien im Blick behalten
Die westliche Versicherungswelt muss also die Entwicklung in Asien nicht nur im Blick behalten, sondern darüber hinaus vielversprechende Technologien aufnehmen, weiterentwickeln und für die eigenen Bedürfnisse anpassen. Um sich weltweit zu behaupten, wird es außerdem wichtiger, den hiesigen Markt unattraktiver für Disruption zu machen. Dazu gehört beispielsweise, dass Versicherer ihre eigenen digitalen Entwicklungen beschleunigen, Technologien flexibler einsetzen und lernen, wie sie sich effizient in neue digitale Hubs integrieren – diese werden an Relevanz gewinnen und erfordern eine strategisch geschickte Positionierung der Versicherer.
Genau in diesem Punkt, der Schnelligkeit, haben viele Gesellschaften den größten Nachholbedarf: Sie müssen an ihrer eigenen Agilität, aber auch an der Agilität ihrer Mitarbeiter, Prozesse und Entscheidungswege arbeiten – und dies schneller und radikaler als bisher. Europäische Versicherer können dabei den asiatischen Markt beispielhaft nutzen, um die Auswirkungen der Digitalisierung auf Kunden, Arbeitnehmer und die Versicherung selbst zu beobachten.
Autor Karsten Wantia ist Director und P&C Sales and Practice Leader Asia Pacific bei Willis Towers Watson
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