Mit dem Digitalen Euro hat die EZB ein Projekt ins Leben gerufen, das ein alternatives Vehikel für den Zahlungsverkehr etablieren soll – ein Aufgabenbereich, der eigentlich bei der Privatwirtschaft liegen sollte. Dieser Schritt muss als Versuch der Währungshüter angesehen werden, die Stellung des Euros und das währungspolitische Monopol der EZB gegen den immer vielfältiger werdenden Wettbewerb zu verteidigen, der durch die Digitalwährungen anderer Staaten oder private Kryptowährungen entsteht. Vor vier Jahren hatte Meta (ehemals Facebook) Banken, Finanzaufsicht und Politik mit der Ankündigung aufgeschreckt, im Rahmen eines Konsortiums eine eigene weltweit nutzbare Kryptowährung, Libra, zu entwickeln. Meta hat sich von den Plänen längst verabschiedet– geblieben ist die Sorge, dass andere Unternehmen Ähnliches starten könnten.
Um US-Unternehmen wie PayPal oder Apple Pay und Krypto-Devisen wie Bitcoin und Ethereum etwas entgegensetzen zu können, steht die EZB vor der Herausforderung, eine „eierlegende Wollmilchsau“ zu erschaffen, die sämtliche Use Cases abdecken soll, die bisher von unterschiedlichen privatwirtschaftlichen Anbietern abgedeckt wurden – eine elektronische Zahlung, die Peer-To-Peer funktioniert und gleichzeitig, wie eine Kredit- und Debitkarte, an der Ladenkasse funktioniert, aber auch im Onlinehandel verwendbar ist. Gleichzeitig soll sie offline funktionieren, ohne das Bargeld zu verdrängen und über die gesamte Eurozone umsetzbar sein.
Die EZB steht also vor der Mammutaufgabe, eine pan-europäische Zahlungsinfrastruktur zu etablieren, auf die sich die EURO-20-Länder funktional und architektonisch erst einmal einigen müssen. Dafür plant sie, bis mindestens 2027/2028 zu brauchen. Zu bedenken ist allerdings, dass die Privatwirtschaft nicht auf den Digitalen Euro gewartet hat und in dieser Zeit gegebenenfalls weiter an Alternativen arbeiten wird, die ebenfalls die oben genannten Use Cases abbilden und sicher schneller am Markt ist als die EURO-20. Wie wirkt sich das auf die Dynamik zwischen dem digitalen Euro und Kryptowährungen aus?
Währungsdynamik: Digitaler Euro und Krypto im Rennen der Zeit
Die Fokussierung auf den Schutz der Privatsphäre bildet laut EZB einen zentralen Aspekt der Konzeption des Digitalen Euros. Während die oberste Währungsinstanz betont, dass das Eurosystem weder Zugriff auf private Nutzerinformationen hätte noch diese speichern würde, werden Banken oder Zahlungsverkehrsdienstleister als Betreiber der Infrastruktur dennoch Zugang zu sensiblen Transaktionsdaten haben. Dieser Aspekt wird in der aktuellen Vorbereitungsphase zweifellos verstärkt diskutiert werden müssen, zumal einer Studie des Bankenverbands zufolge 58 Prozent der Befragten digitalen Zahlungen skeptisch gegenüberstehen, da sie die mangelnde Anonymität als Einschränkung ihrer Privatsphäre empfinden. Im Gegensatz dazu bieten Kryptowährungen wie Bitcoin durch ihre dezentrale Natur und den Einsatz von kryptografischen Technologien ein höheres Maß an Privatsphäre. In den kommenden Jahren sind hier weitere Entwicklungen möglich, was die Präferenz von Verbraucherinnen und Verbrauchern zuungunsten des Digitalen Euros beeinflussen könnte. Dazu tragen auch regulatorische Maßnahmen wie MICA oder das Fractioning des Bitcoins bei.
Auch die Nutzung von Smart Contracts, könnte deren Vormacht im E-Commerce-Bereich begünstigen, während der Digitale Euro noch in den Startlöchern wartet. Smart Contracts sind programmierbare Verträge, deren Bedingungen direkt in Code auf einer Blockchain oder das Protokoll geschrieben werden. Sie erlauben die automatische und transparente Durchführung von Transaktionen, sobald vordefinierte Kriterien erfüllt sind, ohne dass dabei auf Intermediäre wie Banken oder Anwälte zurückgegriffen werden muss. Die EZB hat solche Funktionstokens für den Digitalen Euro bislang ausgeschlossen. Branchen wie Musik und Kunst, in denen digitale Güter und Tantiemen eine zentrale Rolle spielen, bevorzugen Kryptowährungen aufgrund ihrer Flexibilität und digitalen Natur, genauso wie die Finanzindustrie.
Für die Geschäftsbanken bietet die grundlegend kostenlose Bereitstellung des Digitalen Euros mangelnde Anreize zur umfassenden Implementierung. Zudem ist der Digitale Euro in der Wallet-Lösung als Konkurrenzprodukt zu sehen. Ohne klare wirtschaftliche Anreize könnten Banken alternativen Geschäftsmodellen, die Kryptowährungen einbeziehen, den Vorzug geben. Es wird daher entscheidend sein zu beobachten, wie sich die Beziehung zwischen traditionellen Finanzinstituten und dem Digitalen Euro in dieser neuen Währungslandschaft in den kommenden Jahren gestalten wird. Die Wechselwirkung zwischen dem Digitalen Euro und Kryptowährungen könnte somit nicht nur die finanzielle Landschaft, sondern auch die Rolle der Banken innerhalb dieses Ökosystems nachhaltig beeinflussen. Die Kreditinstitute sind daher skeptisch – unter anderem wegen der zusätzlichen Macht, die die Zentralbank bekommen könnte. So erklärte Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands, im Oktober 2023, dass die deutschen Banken den Digitalen Euro grundsätzlich unterstützten, aber einige Risiken sähen. Unklar sei außerdem noch, was der Digitale Euro den Verbraucherinnen und Verbrauchern bringe, außer einer weiteren Möglichkeit zu bezahlen.
Fazit
Der Digitale Euro soll laut Bundesbankvorstand Balz kein staatlicher Ersatz für Bitcoin sein. Für den Massenzahlungsverkehr sei der Bitcoin völlig ungeeignet. Dies stimmt aktuell noch. Doch in Anbetracht der noch nicht ausgeschöpften technischen Möglichkeiten von Kryptowährungen hinsichtlich der Skalierbarkeit von Protokollen und Optimierung von Konsensus-Mechanismen, der „Gewichtsreduktion“ und der Formulierung einses sicheren Rechtsrahmens und der anspruchsvollen Aufgabe der EZB, eine pan-europäische Zahlungsinfrastruktur zu etablieren, sind noch nicht alle Wechselwirkungen zwischen Kryptowährungen und dem Digitalen Euro absehbar. Fest steht, dass die Chancen des technischen Fortschritts im Zahlungsverkehr genutzt werden sollten, um für eine digitale Zukunftswelt gewappnet zu sein. Allein mit der Einführung des Digitalen Euros wird es der EZB aber nicht gelingen, die Vormachtstellung ihrer Währung gegenüber konkurrierenden Einflüssen zu verteidigen, denn die Zukunftsfähigkeit des Euroraums hängt von mehr als nur einer digitalen Währung ab. Wenn der Euro an sich nicht ausreicht, um den Euroraum stark zu machen, dann liegt das in der wirtschaftlichen Stärke dieses Wirtschaftsraums und insbesondere in dessen Konsensfähigkeit begründet. Dieser Umstand bleibt auch von der Etablierung eines Digitalen Euros unbeeinflusst.