Die letzte große Reform der Altersvorsorge war Teil der Agenda 2010 unter Gerhard Schröder – eine Zeit, in der Deutschland wirtschaftlich bereits tief in der Krise steckte. So weit dürfen wir es nicht noch einmal kommen lassen.
Die finanziellen Herausforderungen für die gesetzliche Renten- und Pflegeversicherung werden in den nächsten zehn Jahren massiv zunehmen. Renommierte Wissenschaftler wie Prof. Raffelhüschen und Prof. Borsch-Supan warnen seit Jahren vor dieser Entwicklung und untermauern sie mit alarmierenden Zahlen.
Wer darauf setzt, dass sich diese Probleme allein durch Wirtschaftswachstum oder höhere Steuerzuschüsse lösen lassen, ignoriert die Realität. Steigende Beitragssätze würden die Wirtschaft zusätzlich belasten. Die einzig nachhaltige Lösung ist eine Kombination aus gezielter Begrenzung staatlicher Leistungen und Stärkung der Eigenvorsorge. Also Schluss mit Mütterrente, Rente mit 63 und anderen Wohltaten. Das können wir uns nicht mehr leisten. Stattdessen sollten wir mit einem Bruchteil dieser Mittel gezielt die Eigenvorsorge fördern – ein Ansatz, der langfristig nicht nur den Sozialstaat, sondern auch die Wirtschaft stabilisiert.
Es braucht also jetzt mutige Reformen. Die aktuell laufenden Koalitionsverhandlungen müssen die Weichen für ein nachhaltiges und generationengerechtes Rentensystem stellen. Sechs zentrale Erwartungen stehen dabei im Fokus:
Erwartung 1: Ehrlichkeit in der Rentendebatte
Es ist an der Zeit, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken: Ohne schmerzhafte Einschnitte bleibt die gesetzliche Rente nicht tragfähig. Steigende Beitragssätze und höhere Steuerzuschüsse sind keine akzeptable Lösung. Ein nachhaltiges System braucht langfristige Stabilität, keine politischen Versprechen ohne finanzielle Grundlage.
Erwartung 2: Kapitalgedeckte Modelle ausbauen
Die Rente von morgen darf nicht allein auf dem Umlageverfahren beruhen. Langfristig führt kein Weg an einer stärkeren Kapitaldeckung – auch in der gesetzlichen Rente – vorbei – aber bitte nicht durch neue Schulden oder politische Umverteilung, sondern durch echte, nachhaltige Kapitalbildung. Bis das wirkt, werden aber Jahrzehnte vergehen. Private und betriebliche Vorsorge müssen daher stärker gefördert und als unverzichtbare Bestandteile der Altersvorsorge auch klar von der Politik benannt werden.
Erwartung 3: Steuerliche Vereinfachungen umsetzen
Die betriebliche Altersvorsorge (bAV) ist ein zentrales Element der Altersvorsorge – doch sie leidet unter unnötiger Komplexität. Das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) war ein Schritt in die richtige Richtung, doch weitere Reformen sind überfällig. Unternehmen müssen dringend entlastet werden. Eine Anpassung des steuerlichen Abzinsungszinssatzes bei Pensionsrückstellungen ist zur Stärkung unserer Wirtschaft ebenso überfällig wie eine Vereinheitlichung der steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen. Die Doppelverbeitragung bei privat fortgeführten Direktversicherungen in entgeltlosen Zeiten gehört abgeschafft.
Erwartung 4: Digitalisierung als Effizienzhebel nutzen
Mehr Effizienz, weniger Bürokratie: Die Digitalisierung der bAV muss entschlossen vorangetrieben werden. Ein einfacher Hebel wäre die Abschaffung des aus steuerlichen Gründen immer noch existierenden Schriftformerfordernisses – eine Umstellung auf Textform würde den Verwaltungsaufwand erheblich reduzieren. Der Kabinettsentwurf zum BRSG II muss jetzt umgesetzt werden. Einfachere Abfindungsmöglichkeiten, eine stärkere Förderung für Niedrigverdiener und höhere Arbeitgeberzuschüsse würden die Attraktivität der bAV erheblich steigern. Zudem braucht es bessere Rahmenbedingungen für werdende Eltern und flexiblere Verrentungsoptionen – etwa durch steuerlich begleitete fondsgebundene Rentenphasen oder eine moderate Absenkung von Garantien zur besseren Inflationsabsicherung.
Erwartung 5: Dynamische Förderung statt Stillstand
Die Riester-Rente ist reformbedürftig – aber sie verdient eine Weiterentwicklung, keine Abschaffung. Statt wieder ein neues Produkt zu erfinden, muss die Politik Riester dynamisieren, entbürokratisieren und mit einer klaren positiven Botschaft versehen. Die staatlichen Zulagen und Höchstbeiträge müssen steigen – und zwar regelmäßig. Eine automatische Anpassung an Inflation und Einkommensentwicklung würde Riester für mehr Menschen attraktiv machen. Das bewährte System aus Zulagen und steuerlicher Förderung sollte aber erhalten bleiben.
Erwartung 6: Bürokratie abbauen
Die überfrachtete Bürokratie schreckt viele Menschen ab. Eine echte Reform muss Riester radikal vereinfachen: weniger Durchführungsformen, eine verständliche Zulagensystematik und klare Regelungen für Versicherer und Verbraucher. Nur so kann Riester wieder das werden, was es sein sollte: eine verlässliche, geförderte Säule der Altersvorsorge.
Die Weichen für die Altersvorsorge müssen jetzt gestellt werden. Ob gesetzliche Rente, betriebliche Vorsorge oder Riester – Reformen sind überfällig, und die Politik darf sich nicht länger mit kurzfristigen Maßnahmen begnügen. Die neue Regierung unter der Führung von Friedrich Merz hat die Chance, ein stabiles und zukunftsfähiges System zu schaffen. Dafür braucht es Ehrlichkeit, Mut und eine klare Ausrichtung auf nachhaltige Lösungen. Die Zeit der Versprechen ist vorbei – jetzt zählt die Umsetzung!
Dr. Guido Bader ist Vorstandsvorsitzender der Stuttgarter Lebensversicherung und Mitglied des Vorstands der Deutschen Aktuarvereinigung.