Droht eine Japanisierung der Industrieländer?

Im Juli gab es einen Vorgeschmack auf die künftige Entwicklung an den Finanzmärkten: Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen fiel erstmals unter den Einlagensatz der Europäischen Zentralbank. Das Gespenst der Japanisierung hat Europa erreicht und zwingt Anleger zum Umdenken. Wer in diesem Umfeld erfolgreich sein möchte, muss auf flexible Lösungen setzen, die frei von Anlagebeschränkungen sind.


Stagnierendes Wachstum, schwache Inflation – die Parallelen zwischen Japan und der gegenwärtigen Situation in Europa sind nicht zu übersehen. Nur scheint sich Japan nun aus dem deflationären Treibsand befreien zu können, während sich die Aussichten für die Eurozone weiter verschlechtern.

Der US-Wirtschaft könnte es indes kaum besser gehen. Denn die US-Notenbank hat die Zinsen im vergangenen Juli erstmals seit einem Jahrzehnt gesenkt. Angesichts der Handelsspannungen und der Zweifel an der Robustheit der Weltwirtschaft bleibt es jedoch fraglich, wie lange die Expansion in den USA noch anhalten wird. Nicht nur Europa, sondern die gesamte entwickelte Welt könnten in eine wirtschaftliche Schwächephase abgleiten.

Euphorie und Absturz

Bevor Japan für Jahrzehnte in die Stagnation stürzte, herrschte dort eine Phase der Euphorie. Im Dezember 1989 erreichte der japanische Aktienindex Nikkei 225 fast die Marke von 39.000 Punkten.

Spekulative Exzesse hatten die Vermögenspreise in schwindelerregende Höhen getrieben. Auf dem Höhepunkt der Immobilienblase war der Kaiserpalast mehr wert als alle Immobilien in Frankreich zusammen. Hätte man im Ginza-Viertel in Tokio eine 10.000-Yen-Note fallen lassen, so wäre diese nach damaliger Auffassung weniger wert gewesen als der Boden, auf dem sie landete. 1990 endete die Party jedoch: Die Finanzblase platzte, die Aktien- und Immobilienpreise brachen ein und der Markt verlor bis zum Jahresende 2 Billionen US-Dollar an Wert. Japan stürzte in eine tiefe Wirtschaftskrise.

Crash-Trauma

Japanisierung ist nicht nur ein Begriff aus dem Wirtschaftslexikon. Sie hat massive Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Jahrzehnte der wirtschaftlichen Stagnation hinterlassen tiefe psychologische Wunden – und die Erfahrungen der Vergangenheit beeinflussen die Erwartungen an die Zukunft. Nach dem Crash rechnete man in Japan stets eher mit einer Verschlechterung als mit einer Verbesserung. Der fehlende Optimismus führte dazu, dass das Finanzsystem austrocknete: Die Banken vergaben keine Kredite mehr und die Verbraucher hielten sich mit Ausgaben zurück.

Rentenbären in der Falle

Auch für Anleger hat die Japanisierung schwerwiegende Folgen: Niedrige Zinsen sind nun nicht mehr die Ausnahme, sondern die neue Normalität, mit der sich Investoren abfinden müssen. In Japan hatten die langanhaltenden Niedrigzinsen katastrophale Folgen für die Anleihenmärkte. Die Anleiherenditen wurden auf einem dauerhaft niedrigen Niveau eingefroren – und Japan wurde zur Falle für Rentenbären.

Unsere Investment-Teams vertreten eine andere Meinung als die Ökonomen und Anleger, die in den Industrieländern mit einem Bärenmarkt rechnen. SYZ geht davon aus, dass eine Japanisierung stattfindet und die Zinsen weiterhin niedrig bleiben.

Im aktuellen Umfeld, in dem eine unerwartete Zinserhöhung die größte Angst schürt, ist der erste Instinkt bei Anlegern häufig, die Duration zu verkürzen, um die Auswirkungen auf ihre Portfolios zu minimieren. Das sehen wir anders. Unserer Meinung nach kann eine längere Duration Wert bieten und eingesetzt werden, um das Risiko im Portfolio zu steuern.

Gegen den Strom

In der Welt der Staatsanleihen ist die Japanisierung größtenteils bereits eingetreten. In einem solchen Umfeld werden die Opportunitätskosten, die mit Barpositionen im Portfolio verbunden sind, sehr hoch bleiben. Denn: Die Zentralbanken halten an einer akkommodierenden Politik fest, um das Wachstum anzukurbeln. Wer angesichts dieses Ausblicks langfristige Anleihen hält, kann mit Gewinnen rechnen.

Die Erfahrungen in Japan belegen: Anleger, die sich aufgrund von niedrigen langfristigen Renditen für Barmittel entscheiden, kommen über längere Zeiträume schlecht weg. In den 15 Jahren bis Ende 2016 belief sich die Rendite von JPY-Barmitteln im Schnitt auf 0,24 % gegenüber 0,92 % bei 7- bis 10-jährigen japanischen Staatsanleihen (JGB). Das Plus für langfristige Anleihen ist auf den ersten Blick relativ klein. Betrachtet man jedoch die annualisierten Gesamtrenditen, ergibt sich ein anderes Bild. Der Unterschied ist hier deutlich höher und beträgt annualisierte 2,44 % bei 7- bis 10-jährigen JGB gegenüber lediglich 0,34 % bei Barmitteln.

Flexibel im festverzinslichen Bereich

Der Schwenk der US-Notenbank und der EZB hin zu einer lockeren Geldpolitik wird den künftigen Kurs bestimmen und sich stark auf die Finanzmärkte auswirken. Dies wird die Marktteilnehmer zwingen, weiterhin Risikoanlagen zu halten oder aufzustocken, um die monetären Kräfte der finanziellen Repression zu vermeiden.

Bei künstlich niedrigen Zinsen sollte die Aktienallokation daher je nach Wachstumstrend taktisch gesteuert werden, denn die Bewertungen verlieren in dieser Situation an Bedeutung. Die erhöhte Risikobereitschaft kann jedoch auch über Anleihen mit Renditeaufschlag umgesetzt werden, beispielsweise über hochverzinsliche Unternehmensanleihen und Schwellenländeranleihen in Fremdwährung.

Anleger sollten auch eine Investition in Qualitätsaktien in Erwägung ziehen, die hohe Dividenden auszahlen. Bei ihnen dürfte die Gefahr geringer sein, dass sie aufgrund von Zinsschritten vorübergehend neubewertet werden. Außerdem bieten sie im Niedrigzinsumfeld eine reale mittel- bis langfristige Alternative zu Anleihen.

Die Japanisierung ist in vielerlei Hinsicht bereits Realität. Im gegenwärtigen Umfeld schwachen Wachstums, niedriger Zinsen und ungünstiger Bevölkerungsentwicklung müssen Anleger umdenken. Sie müssen die Lehren aus der Vergangenheit ziehen und sollten auf flexible Lösungen setzen, die frei von Anlagebeschränkungen sind und die man an das sich ändernde Anlageumfeld anpassen kann.

Foto: Shutterstock

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