Ein Jahr Insolvenzrecht reloaded: Worauf Geschäftsleiter achten müssen

Insolvenz, Paragraf 42 Bürgerliches Gesetzbuch
Bildagentur PantherMedia / Kiwar
Die Zahlungsunfähigkeit ist auch weiterhin der mit Abstand häufigste Grund für Unternehmensinsolvenzen.

Dr. Jürgen Erbe und Alexander von Saenger von der Kanzlei Schultze & Braun erläutern, welche Möglichkeiten das Insolvenz- und das Sanierungsarbeitsrecht bieten, um eine Krise zu meistern.

Sinkende Fortführungschancen und zunehmende Haftungsrisiken

„Die Insolvenzantragspflicht greift seit dem Jahreswechsel 2023/2024 wieder voll. In der Praxis werden Insolvenzanträge aber nach wie vor leider oft zu spät gestellt. Dies geschieht zumeist, weil – durchaus nachvollziehbar – mit allen Mitteln versucht wird, eine Insolvenz zu vermeiden. Dadurch sinken jedoch – unabhängig davon, ob für die Sanierung ein gerichtliches Insolvenzverfahren genutzt wird oder nicht – die Chancen für eine dauerhafte Fortführung und den Erhalt des Unternehmens“, sagt Jürgen Erbe. Der Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht hat bereits zahlreiche Unternehmen in Krisensituationen beraten und operativ unterstützt. „Zudem setzen sich Geschäftsleiter Haftungsrisiken aus, wenn sie einen verpflichtenden Insolvenzantrag nicht oder verspätet stellen. In einem solchen Fall begehen sie Insolvenzverschleppung, und sie haften mit ihrem Privatvermögen für Beträge, die aus dem Unternehmen abgeflossen sind, nachdem es eigentlich bereits insolvent war – etwa durch Zahlungen an Banken, Dienstleister oder Lieferanten.“


Das könnte Sie auch interessieren:

Überschuldung: Höchstfrist von sechs Wochen für eine außerinsolvenzliche Sanierung

Einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung muss ein Geschäftsleiter stellen, wenn er nicht nachweisen kann, dass sein Unternehmen die nächsten zwölf Monate durchfinanziert ist. Diese Anforderung betrifft Kapitalgesellschaften – also etwa eine GmbH, UG oder AG. „Überschuldet ist ein Unternehmen dann, wenn die Verbindlichkeiten höher als das Vermögen ist – es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich“, sagt Erbe. Die Höchstfrist für einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung umfasst sechs Wochen. Unternehmen können während dieser Zeit eine außerinsolvenzliche Sanierung – zum Beispiel auf Basis eines nachvollziehbaren und belastbaren Restrukturierungsplans – angehen, auch wenn sie für die kommenden zwölf Monate nicht durchfinanziert sind. „Für Geschäftsleiter ist aber wichtig, dass sie die Frist nicht ausschöpfen, wenn bereits während der sechs Wochen-Frist feststeht, dass die Überschuldung mit der außerinsolvenzlichen Sanierung aller Voraussicht nach nicht beseitigt werden kann“, sagt der Insolvenzrechtsexperte, der am Mannheimer Standort von Schultze & Braun tätig ist.

Zahlungsunfähigkeit: Höchstens drei Wochen bis zum Insolvenzantrag

Die Zahlungsunfähigkeit ist aber auch weiterhin der mit Abstand häufigste Grund für Unternehmensinsolvenzen. „Grundsätzlich gilt: Kann ein Unternehmen seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen, ist es zahlungsunfähig. In einem solchen Fall ist ein Geschäftsleiter dazu verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Frist – in der Regel drei Wochen – einen Insolvenzantrag zu stellen“, sagt Erbe. „Beim Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit gilt zudem das Gleiche wie bei der Überschuldung: Geschäftsleiter sollten die Frist von drei Wochen nicht ausschöpfen, sondern einen Insolvenzantrag frühzeitig stellen, um eine strafrechtliche und zivilrechtliche Haftung zu vermeiden.“

Grundsätzlich gilt: Geschäftsleiter sind gut beraten, eine notwendige Restrukturierung oder Sanierung rechtzeitig angehen, wenn ihr Unternehmen noch Reserven hat. Wenn Gegenmaßnahmen frühzeitig eingeleitet werden, bestehen bessere Chancen auf einen erfolgreichen und nachhaltigen Ausgang. Einfach abzuwarten und auf eine baldige Besserung der Konjunktur und der wirtschaftlichen Gesamtlage zu setzen, ist keine sinnvolle Strategie.

Verschiedene Möglichkeiten und Verfahren

Geschäftsleiter, deren Unternehmen sich in einer Krise befindet oder absehbar darauf zusteuert sollten auch eine Neuaufstellung mit Hilfe des Sanierungsrechts, das unterschiedliche Möglichkeiten und Verfahren bietet, zumindest als Option ansehen. Bei finanziellen Schwierigkeiten ist gleichwohl zunächst immer der Versuch einer außergerichtlichen Sanierung sinnvoll. Dies erfordert jedoch oft schwierige Verhandlungen mit den Gläubigern, die in der Regel sämtlich dem Sanierungskonzept zustimmen müssen. Stimmt auch nur ein Gläubiger nicht zu, kann es schwierig werden, auf diesem Weg eine Lösung zu finden. Ist eine außergerichtliche Sanierung nicht möglich, stehen im deutschen Sanierungs- und Insolvenzrecht verschiedene weitere Möglichkeiten und Verfahren zur Verfügung.

  • StaRUG (vorinsolvenzlich): Ist die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens (noch) gesichert, gibt es seit dem 1. Januar 2021 die Möglichkeit einer Restrukturierung nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -Sanierungsgesetz, kurz StaRUG. Dies kann ein erfolgversprechender Schritt sein, da im StaRUG-Verfahren nur noch drei Viertel der betroffenen Gläubiger dem Restrukturierungsplan zustimmen müssen. Mit dem StaRUG kann ein Unternehmen sich mit einem angepassten Finanzplan außerhalb eines Insolvenzverfahrens und unter Ausschluss der Öffentlichkeit neu ausrichten.
  • Schutzschirmverfahren, Eigenverwaltung, Regelinsolvenzverfahren: Kommt das StaRUG nicht in Betracht, weil das Unternehmen seine Zahlungsfähigkeit absehbar nicht (mehr) sicherstellen kann, stehen mit dem Schutzschirmverfahren, der Eigenverwaltung (Sanierung in eigener Regie), aber auch mit der Regelinsolvenz weitere Sanierungsverfahren zur Verfügung. Allerdings ist die Antwort auf die Frage „Ist mein Unternehmen noch zahlungsfähig?“ nicht nur mit dem Blick auf eine mögliche Haftung, sondern insbesondere bei einer vorinsolvenzlichen StaRUG-Restrukturierung und bei einem Schutzschirmverfahren von Belang. Beide Verfahren können Unternehmen nur dann beantragen, wenn einem Unternehmen die Zahlungsunfähigkeit nur droht, sie aber noch nicht eingetreten ist.

Insolvenzrechtliche Eingriffe ins Arbeitsrecht

Es gibt mehrere Regelungen in der Insolvenzordnung, die in das Arbeitsrecht eingreifen. Ein zentraler Punkt ist die Tatsache, dass in einem Insolvenzverfahren die Kündigungsfrist von Mitarbeitenden auf maximal drei Monate reduziert werden kann. „Das heißt: Ich habe die Option, bei Bedarf in bestehende Verträge einzugreifen und Kündigungsfristen zu verringern“, sagt Alexander von Saenger. „Das ist insofern von besonderer Bedeutung, da durch die Insolvenzordnung mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die verkürzten Kündigungsfristen auch dann wirksam sind, wenn es im Unternehmen zum Beispiel Tarifverträge gibt, die Bestandsschutz oder Beschäftigungssicherung geben oder den Standort sichern. Das klingt zunächst hart, kann für den Erhalt des Unternehmens und zumindest eines Teils der Arbeitsplätze aber entscheidend sein, wenn dafür notwendige Kündigungen schneller wirksam oder überhaupt erst möglich werden.“

Für die Stabilisierung des Geschäftsbetriebs und die Neuaufstellung eines Unternehmens bietet die Insolvenzordnung zudem einen weiteren Vorteil. Das Insolvenzgeld – also, dass die Löhne und Gehälter der Mitarbeitenden nach dem Insolvenzantrag für bis zu drei Monate über die Insolvenzgeldumlage von der Bundesagentur für Arbeit gesichert sind – ist im Rahmen einer Sanierung ein essenzieller Faktor. „Wenn man den Mitarbeitenden klar machen kann, dass sie sich für die nächsten drei Monate keine Gedanken machen müssen, da auf das Insolvenzgeld zurückgegriffen werden kann, ist das zu Beginn eines Verfahrens auf jeden Fall eine positive Botschaft“, sagt der Fachanwalt für Arbeitsrecht, der am Bremer Standort von Schultze & Braun tätig ist. „Für das Unternehmen bedeutet das Insolvenzgeld, dass es bis zu drei Monate ohne Personalkosten produzieren und verkaufen und die dabei erzielten Einnahmen für den weiteren Sanierungsweg zurücklegen und nutzen kann. Das ist maßgeblich, denn das Unternehmen muss nach den bis zu drei Monaten im vorläufigen Verfahren nach dem Insolvenzantrag im eröffneten Verfahren wieder unter Vollkosten operieren und die Löhne und Gehälter aus dem laufenden Betrieb erwirtschaften.“ Wenn dieser Schritt erfolgreich geschafft wurde, ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg aus dem Verfahren erreicht. 

Das Ziel – die erfolgreiche Sanierung und das Verlassen des Verfahrens – ist mit Hilfe eines Insolvenzplans oder einer Übertragenden Sanierung möglich. „Um das Ziel zu erreichen, benötigt das Unternehmen aber häufig Zeit und diese Zeit gewinnt es dadurch, dass es in der Phase des vorläufigen Verfahrens, in der es das Insolvenzgeld gibt, sich einen finanziellen Puffer für die weiteren Sanierungsschritte schafft“, erläutert von Saenger. „Denn dadurch wird eine Sanierung teilweise überhaupt erst machbar, da insolvente Unternehmen ja oftmals keine finanziellen Rücklagen haben.“

Frühzeitig, schnell und konsequent handeln

„Es zeigt sich: Geschäftsleiter, deren Unternehmen in eine wirtschaftliche Krise geraten sind oder absehbar geraten werden, haben mehrere Möglichkeiten und Verfahren, um Krisen zu meistern: Dieses Ziel wird am besten erreicht, wenn alle Beteiligten wissen, was sie zu tun haben, und wenn frühzeitig, schnell und konsequent gehandelt wird“, fassen Erbe und von Saenger zusammen. 

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments