Die Versicherer haben aus der Berufsunfähigkeitsversicherung ein Hochleistungsprodukt gemacht, das für einige Berufsgruppen schlicht zu teuer ist. Oder gar nicht erst erhalten. Mit Dread-Disease-, Erwerbsunfähigkeits-, Grundfähigkeits- und Multiriskversicherungen gibt es Alternativen im Markt. Arbeitskraftabsicherungsexperte Michael Franke zu den Vor- und Nachteilen der Alternativen und warum die BU ein Problem hat.
Eine BU-Versicherung ist das Maß aller Dinge. Doch nicht immer ist ein Abschluss möglich oder sinnvoll. Gerade handwerkliche oder risikobehaftete Berufe stehen hier teils vor vor hohen Hürden. Welche Alternativen gibt es für die Berufsgruppen, wenn eine BU nicht vermittelt werden kann?
Franke: Als erste Alternative bietet sich aus unserer Sicht die Erwerbsunfähigkeitsversicherung an, denn sie deckt wie die BU alle Leistungsauslöser ab. Dazu gehören auch psychische Erkrankungen, die als Ursache für Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit in den letzten Jahren stetig zugenommen haben.
Darüber hinaus kommen auch Grundfähigkeitsversicherungen als Absicherungslösung in Frage, denn diese zielen auf ganz konkrete Tätigkeiten ab, die erkrankte oder verunfallte Personen nicht mehr ausführen können.
Die Arbeitskraftabsicherungsalternativen Dread-Disease oder Grundfähigkeitsversicherung werden deutlich stärker im Vertrieb nachgefragt. Gleichwohl habe ich den Eindruck, dass die Alternativprodukte bislang als wenig attraktiv gelten? Täuscht die Wahrnehmung?
Franke: Die Versicherungsbranche hat lange Zeit die Berufsunfähigkeitsversicherung als einzig wahre Lösung propagiert. Nun, da diese Lösung quasi „überzüchtet“ ist und damit für viele Zielgruppen zu teuer, muss umgedacht werden.
Das fällt nach jahrzehntelangem Credo der Mono-Produktkultur nicht leicht und braucht Zeit. Für uns als neutrale Dritte gibt es ein solches Credo nicht. Wir messen exakt, welchen Nutzen die verschiedenen Produktarten für konkrete Kunden haben und weisen diese Eignung als AKS-Index aus. Dadurch haben wir in vielen Schulungen, Roadshows und Veröffentlichungen erreicht, auch Alternativprodukte bekannter zu machen und für eine wachsende Akzeptanz zu sorgen.
Man gewinnt den Eindruck, dass der Markt bei den BU-Alternativen doch sehr intransparent ist. Warum gibt es bislang kaum eine umfassende Übersicht?
Franke: Weil die Materie durchaus komplex ist. Grundfähigkeitsversicherungen sind durch ihre speziellen Leistungsdefinitionen nicht einfach zu durchschauen. Wir haben für unser Ratingverfahren und für unser fb-xpert AKS mit dem gleichnamigen Index mehrere Jahre Recherche gebraucht und viele Gespräche mit Rückversicherern, Ärzten und Aktuaren geführt, um einen sachgerechten Qualitätsmaßstab zu entwickeln. Dieser erlaubt es, alle Lösungen zur Arbeitskraftsicherung anhand eines statistikbasierten, exakten Indexwertes zu vergleichen.
Lassen Sie uns doch ein wenig für Transparenz sorgen. Für wen käme eine Grundfähigkeitsversicherung in Betracht?
Franke: Sie ist insbesondere für körperlich tätige Personen interessant. Denn die Fähigkeiten, deren Verlust zu einer Leistung führt, wie etwa Arme gebrauchen, Heben und Tragen, Knien oder Bücken, lassen sich sehr direkt auf das Tätigkeitsspektrum der Kunden übertragen.
Die Dread-Disease gilt als mögliche Alternative. Wie sinnvoll ist das Produkt?
Franke: Dread-Disease-Versicherungen sind immer dann sinnvoll, wenn Kunden im Leistungsfall eine große Summe Geld auf einen Schlag mehr hilft, als eine stetig ausgezahlte Rente. Also zum Beispiel für Unternehmer, die ihr Geschäft im Ernstfall umgestalten müssen oder auch für Darlehensnehmer zur Entschuldung.
Worauf muss bei einer Mult-Risk-Versicherungen beziehungsweise Funktionsinvaliditätsversicherung geachtet werden?
Franke: Diese Angebote sind eine Kombination aus Grundfähigkeits- und Unfallversicherung, ergänzt durch eine Dread-Disease-Komponente – allerdings zumeist auf Rentenbasis. Die Grundfähigkeitskomponente reicht von der Qualität her in der Regel nicht an die Produkte aus der Lebensversicherung heran. Dafür ist der Preis oft günstiger, wobei hier Beitrags-Anpassungsrechte und ggf. auch Kündigungsrechte der Versicherer zu beachten sind.
Statt Dread-Disease, Grundfähigkeiten oder Schwere Kranken: Die Erwerbsunfähigkeitsversicherung gilt als kleine Schwester der BU. Wann ist sie das Produkt der Wahl?
Franke: Die Erwerbsunfähigkeitsversicherung ist von den Leistungsauslösern her am nächsten dran an der BU. Von daher ist sie eigentlich die „natürlichste“ Alternative. Leider muss sie mit einem schlechten Image leben, das aufzupolieren sich von Versichererseite offensichtlich niemand so recht zutraut.
Einige Gesellschaften kalkulieren nach Art der Lebensversicherung. Andere nach Art der Unfallversicherung. Welche Auswirkungen hat dies auf Produktgestaltung und Leistungsfähigkeit?
Franke: Was die Grundfähigkeitskomponente angeht, sind die Produkte der Unfallversicherer in der Regel leistungsschwächer aufgestellt. Dafür sind sie günstiger. Der Qualitätsunterschied zeigt sich üblicherweise darin, ob Leistungsauslöser alleine anspruchsbegründend sind, wie es im Bereich der Lebensversicherung üblich ist, oder ob für eine Auszahlung mehrere Grundfähigkeiten gleichzeitig verloren gehen müssen.
Die Unfallversicherer legen hier die Hürde deutlich höher. Zudem sind bei Unfallversicherungen gegebenenfalls Beitrags-Anpassungsrechte und Kündigungsrechte der Versicherer zu beachten.
Wie steht es denn mit der Qualität beziehungsweise Güte der Lösungen, die im Markt angeboten werden? Wie groß sind die Leistungsunterschiede dort?
Franke: Die Spannbreite ist noch sehr groß. Unser Rating zur Grundfähigkeitsversicherung weist hervorragende Produkte aus – aber auch wesentlich schwächere. Es gibt Unterschiede beispielsweise im Umfang der Leistungsauslöser und in der Dauer des Prognosezeitraums. Von daher zählt wie bei BU und EU auch hier, sich eingehend mit den Tarifen zu beschäftigen.
Angesichts der Spannbreite stellt sich die Frage, wie gut der Vertrieb auf die Produkte vorbereitet ist?
Franke: Ich denke, jede Vermittlerin und jeder Vermittler, die beziehungsweise der sich mit den Produkten auseinander setzen will, findet mittlerweile genug Unterstützungsmöglichkeiten. Es gibt Tools wie unser fb-xpert AKS, die verschiedene Lösungen miteinander vergleichen können, inklusive Dokumentation, Risikoprüfung und VVG-konformer Abschlussprozess. Und natürlich umfangreiche Schulungen der Versicherer, die Alternativprodukte anbieten.
Und wo liegen Ihrer Erfahrung nach für Berater und Vermittler die Herausforderungen?
Franke: Leider ist es im Moment so, dass gerade in der Grundfähigkeitsversicherung die Versicherer durch immer neue Leistungsauslöser für eine ständige Unruhe im Markt sorgen. Vermittler können sich kaum in Ruhe mit den Produkten beschäftigen und in die Materie eintauchen, um sicher zu werden in der Argumentation gegenüber den Kunden.
Schon steht der nächste Versicherer vor der Tür mit einem neuen Feature, das aus seiner Sicht natürlich ein Must-have im Sinne der Vermittlerhaftung darstellt. Der Verbreitung der Grundfähigkeitsversicherung hilft das nicht weiter.
Das Interview führte Jörg Droste (dr)
Foto: Neuenhausen