Die Corona-Pandemie war ein Wachrüttler: „Das Gesundheitsbewusstsein vieler Menschen hat sich gesteigert und der Wunsch nach hochwertigem Gesundheitsschutz ist gewachsen“, sagt Miriam Michelsen, Leiterin Vorsorge und Krankenversicherung beim Finanzdienstleister MLP. Dass 2022 zum fünften Mal in Folge mehr Menschen von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in die private Krankenversicherung (PKV) als andersherum, trotz der zum Jahresbeginn 2023 abermals gestiegenen Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG) zeige, dass das Potenzial in der Krankenkostenvollversicherung nach wie vor enorm sei, sekundiert Christine Schönteich, Mitglied der Geschäftsleitung des Münchener Maklerpools Fonds Finanz.
Denn während Beamte, Selbstständige, Freiberufler oder Studenten jederzeit in die PKV eintreten können, schraubt der Gesetzgeber bei Angestellten durch das jährliche Anheben der Allgemeinen Versicherungspflichtgrenze, wie die JAEG auch genannt wird, die Messlatte seit rund 20 Jahren immer ein Stück höher. Lag diese 2003 noch bei 45.900 Euro, müssen Arbeitnehmer nun mindestens 66.600 Euro verdienen, damit sie in die PKV wechseln können.
„Die jährlich steigende JAEG erschwert den Wechsel in die PKV besonders für Angestellte. Wir beobachten, dass sich die höhere Grenze vor allem das Eintrittsalter beim Wechsel in die PKV auswirkt und dieses ansteigt“, moniert Michelsen. Gleichwohl gibt sich die Branche optimistisch, auch weiterhin neue Kunden gewinnen zu können.
„Der GKV-Höchstbeitrag beträgt aktuell fast 1.000 Euro im Monat. Konkret sind das je nach Krankenkasse inklusive Pflege etwa 980 Euro im Monat. Bei ungefähr 4,5 Millionen freiwillig Versicherten in der GKV bietet sich reichlich Potenzial, das für einen Wechsel in die PKV infrage kommt. Bei den Beamten gibt es in Deutschland jedes Jahr rund 35.000 Neueinstellungen. Also auch hier besteht nach wie vor reichlich Potenzial für eine KV-Vollversicherung“, zeigt sich Stephanie Griese, Bereichsleiterin Produktmanagement KV bei der Signal Iduna überzeugt. Ökonomisch betrachtet sei das System der PKV deutlich fairer als das Umlageverfahren der GKV, ergänzt Schönteich. Alle paar Monate seien dort die mühsam aufgebauten Reserven wieder verbraucht. „Heute anfallende Kosten werden auf nachfolgende Generationen abgeschoben und die hohen staatlichen Kosten belasten die Steuerzahler zusätzlich“, sagt die Expertin.
Nach Angaben des Verbandes Privater Krankenversicherer entschieden sich 2022 145.500 Personen für einen Wechsel aus der GKV in die PKV. Umgekehrt wechselten 115.900 Personen in die GKV. Die GKV-Versicherungspflicht betraf, so der PKV-Verband, auch tausende Selbstständige bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Im Saldo ergab sich dennoch ein Plus von 29.600 Versicherten zugunsten der PKV. 2021 lag der Saldo bei einem Plus von 23.300. Dass jedes Jahr fast 300.000 Versicherte zwischen den beiden Systemen wechseln, belege einen funktionierenden Wettbewerb, betont Thomas Brahm, Vorsitzender des PKV-Verbandes.
Und der spiegelt sich auch in den Neugeschäftszahlen der Gesellschaften wider: „Wir haben uns vor dem Hintergrund der wirtschaftlich nicht einfachen Geamtlage sehr gut behauptet“, resümiert Dr. Rainer Reitzler, CEO des Münchener Vereins, das Geschäftsjahr 2022. Der Versicherer hat zum 100-jährigen Geburtstag seine Beitragseinnahmen auf 813 Millionen Euro gesteigert. „Die Gesamtvertriebsleistung liegt auf Rekordniveau und konnte nochmals um 2,3 Prozent zulegen“, so Reitzler.
Wachstumstreiber bei der Halleschen war nach Aussagen von Wiltrud Pekarek, Vorständin der Hallesche Krankenversicherung, die Vollversicherung. Deren Neugeschäft ist gegenüber dem Vorjahr um satte 70 Prozent gewachsen und machte damit zwei Drittel des Neugeschäfts der Hallesche aus. „Das ist vor allem auf den Vollversicherungstarif NK zurückzuführen, den wir seit Jahren am Markt platziert und mittlerweile rundumerneuert haben“, erklärt Pekarek. „Neben der Vollversicherung ist auch unsere bKV im vergangenen Jahr deutlich gewachsen. Wir nehmen wahr, dass immer mehr Arbeitgeber erkennen, welche wichtigen Vorteile die betriebliche Vorsorge bei Gewinnen und Binden qualifizierter Arbeitskräfte bietet“, sagt die Vorständin.
Auch die Barmenia Versicherungen verzeichnete in der bKV eine sehr große Nachfrage. Aus dem Grund hat der Versicherer sein Portfolio in dem Segment um die zwei Ergänzungtarife „Getwell Comfort“ und „Getwell Premium“ erweitert. Zudem hat der Wuppertaler Versicherer den betrieblich und tariflich organisierten Zusatzschutz im Bereich der privaten Pflegeversicherung – Care Flex – gemeinsam mit dem Konsortialpartner R+V deutlich ausbauen können. „Besonders hoch war auch die Nachfrage nach unseren Ergänzungsversicherungen. Sicherlich verstärkt durch die Corona-Pandemie ist das Bedürfnis nach einer hochwertigen Gesundheitsversorgung noch mehr in den Fokus gerückt“, sagt Pressesprecherin Marina Weise-Bonczek. Selbst im herausfordernden Segment der Krankenvollversicherung konnte der Versicherer netto rund 2.800 Personen hinzugewinnen. „Das ist insbesondere auf unsere Beamtentarife zurückzuführen“, sagt Weise-Bonczek.
Positive Resonanz gibt es auch von der Hanse Merkur: In der Krankenvollversicherung habe man netto im oberen vierstelligen Bereich Kunden hinzugewonnen, sagt Eberhard Sautter, Vorstandsvorsitzender der Hanse Merkur. Aber auch in der Krankenzusatzversicherung gebe es ein Nettowachstum. Besonders glücklich ist man mit der Entwicklung der im Herbst 2022 eingeführten Zusatzversicherung Krebsscan.
Der Tarif, der von Cash. im September 2022 mit dem Financial Advisors Award als innovativstes Versicherungsprodukt ausgezeichnet worden war, geht nun bundesweit in den Vertrieb. „Die Resonanz ist sowohl auf Seiten der Kunden als auch im Vertrieb überaus positiv. Das dürfte vor allem darin begründet sein, dass Krebs-Scan eine große Lücke in der Krebsfrüherkennung schließt. Aktuell existieren nicht einmal für die Hälfte aller jährlichen Krebsneuerkranken konventionelle, gesetzlich geförderte Früherkennungsangebote. Dieser Zustand ist nicht hinnehmbar. Der Anspruch in einem Land mit einem der besten Gesundheitssysteme der Welt muss ein anderer sein. Die HanseMerkur möchte dazu beitragen, medizinische Innovationen in den Markt zu bringen und damit für den Einzelnen verfügbar zu machen. „Vision Zero“ – so wird der Ansatz oft genannt, den Krebs zu besiegen. Genau hier schließen wir uns mit Krebs-Scan an“, sagt Sautter.