60 Prozent aller Schäden in der Wohngebäudeversicherung sind Leitungswasserschäden. Da macht ein Smarthome-Baustein, der den Leitungswasserdurchfluss misst und bei Veränderungen die Leitung sperrt, eigentlich doch Sinn, oder?
Schumacher: Für mich ist das der einzige Baustein, der Sinn macht. Etwa in einem Ferienhaus, dass mehrere Wochen leersteht. Aber was mache ich, wenn ich eine Leckage-Meldung während meines Urlaubs oder der Geschäftsreise erhalte.
Der Amaturenhersteller Grohe hat ein Gerät entwickelt, das – hinter der Wasseruhr eingebaut – den Wasserdurchfluss misst und mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Anomalien erkennt. Das Gerät zeichnet Muster auf und schlussfolgert daraus, dass irgendwo Wasser austritt. Die Wasserversorgung wird dann sofort abgeschaltet. Ein solches Gerät, das wenige hundert Euro zuzüglich Einbau kostet, ist eine Alternative.
Neuhalfen: Die Gebäudeversicherung ist mittlerweile eine Leitungswasserversicherung mit angeschlossenen Nebensparten. Aber Leitungswasserschäden kann man beeinflussen. Das Problem ist, die Gebäude werden älter. Viele Gebäude sind nach dem Krieg gebaut worden. Und das ist auch schon wieder siebzig Jahre her.
„Ich verstehe überhaupt nicht, dass in Deutschland Gebäude gebaut werden, die nicht diese Abschaltautomatik integriert haben“
Und die Gebäude der Nachkriegszeit haben nicht die beste Bausubstanz. Sechzig Jahre oder siebzig Jahre alte Rohre sind halt marode. Und das Thema wird schlimmer werden. Bei Autos ist das ABS-System inzwischen ja auch eine selbstverständliche Sicherheitseinrichtung.
Aber ich verstehe überhaupt nicht, dass in Deutschland Gebäude gebaut werden, die nicht diese Abschaltautomatik integriert haben. Bei den Gesamtkosten eines Hausbaus würden die Kosten dafür nicht auffallen. Da hat der Gesetzgeber versagt. Die Nachrüstung könnten wir fördern.
Freund: Leider ist das im Markt noch keine Selbstverständlichkeit. Es sind nur wenige Gesellschaften die Nachlässe geben, wenn ein Kunde zum Beispiel eine Abschaltautomatik einbaut.
Warum wird die Prävention kaum unterstützt?
Freund: Die Tendenz geht dahin, dass die Versicherer die Leistungspflicht umfahren oder sehr stark einschränken. Das Thema Zu- und Ableitung auf dem und außerhalb des Grundstücks ist insbesondere für ältere Gebäude nur schwer versicherbar. Und wenn, dann nur mit sehr geringen Deckungssummen.
„Viele Besitzer sind nicht gewillt, tatsächlich in das Haus zu investieren.“
Das hängt zum einen mit der Überalterung der Gebäude zusammen. Und zum anderen, dass viele Besitzer nicht gewillt sind, tatsächlich in das Haus zu investieren. Viele Eigentümer haben zudem eine Vollkasko-Mentalität entwickelt. „Ich bin versichert, dann soll der Versicherer zahlen.“
Wenn da von Gesetzgeberseite, zumindest bei den Neubauten, nicht darauf geachtet wird, dass Vorrichtungen wie eine Abschaltautomatik, von Beginn an mit eingebaut werden, wird es sicherlich noch sehr lange dauern, bis hier ein Umdenken stattfindet.
Vom Leitungswasser zum Regenwasser. Im Juni sind bei schweren Gewittern wieder Keller in der Mitte und im Süden vollgelaufen. Die Schäden waren immens. Warum gibt es für Wohnungsinhaber keine verpflichtende Versicherung gegen Naturgefahren?
Neuhalfen: Eine gute Frage, da ist die Antwort nicht so einfach. Seit 1950 ist die Regenmenge um fast 30 Prozent gestiegen. Gleichzeitig nehmen Dürreperioden zu. Leider regnet es immer in einer anderen Region mehr oder weniger als im letzten Jahr. Im Zweifel hat man Pech.
Und da hilft auch die beste Rückstauanlage und Abschaltautomatik nichts, wenn das Wasser durchs Fenster reinläuft. Diese Wetterphänomene sind zwar auch menschengemacht. Aber letztlich ist es Natur. Das muss man ein Stück weit akzeptieren.
Für die meisten Deutschen ist das Einfamilienhaus die größte Anschaffung ihres Lebens. Und wenn das dann untergeht und nicht versichert ist, ist das eine Vollkatastrophe. Tatsache ist, hier geht es um Aufklärung.
Warum, wenn ich ein Haus kaufe oder baue, inkludiere ich als Obligatorium nicht eine Naturgefahrenversicherung in die private Wohngebäudeversicherung? Wenn sich dann die Person bewusst dagegen entscheidet, gibt es keinen Schadenersatz.
Neuhalfen: Das Thema ist in Bewegung. Seit einigen Jahren zwingt uns der Gesetzgeber zur Dokumentation der Beratung. Wenn der Kunde dann sagt, ich wurde nie nach dem Baustein gefragt, kann man nur hoffen, dass der Berater seine Beratungsdokumentation auch aufgehoben hat, um den Rechtsstreit zu bestehen.
„Ein weggeflogenes Dach ist ärgerlich, lässt sich aber wieder decken. Ein vollgelaufenes Haus ist meistens unrettbar verloren.“
Aus meiner Sicht ist es eine Aufgabe der vertrieblichen Beratung, die Kunden deutlichst darauf hinzuweisen, dass es ein echtes Problem ist. Ein weggeflogenes Dach ist ärgerlich, lässt sich aber wieder decken. Ein vollgelaufenes Haus ist meistens unrettbar verloren.
Schumacher: Das kann ich zu 100 Prozent unterstützen. Es ist eine Frage des Informierens. Gut 45 Prozent der Hauseigentümer in Deutschland haben eine Naturgefahrenabsicherung. Wir liegen im Bestand bei knapp 70 Prozent. Was eben daran liegt, dass wir über Makler verkaufen. Und die sind notfalls in der Haftung.
Das Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen (ZÜRS) dient der Einschätzung von Naturgefahren. Es wurde 2001 vom GDV entwickelt. Immer wieder ist zu hören, dass die Versicherer bei der Absicherung der Naturgefahren zwar ZÜRS 1 und 2 versichern, aber bei ZÜRS 3 mauern. Ist das so?
Freund: Branchenweit sind die Beiträge bei ZÜRS 1 und ZÜRS 2 ähnlich. In ZÜRS 3 steigen die Prämien deutlich an und einige Versicherer bieten hierfür keine Versicherungsschutz mehr an oder schränken den Leistungsumfang ein.
Oder sie schliessen Starkregen und Überschwemmung aus. Und das sind genau die Risiken, die die Kunden eigentlich abgesichert haben möchten. ZÜRS 4 ist ist so gut wie gar nicht versicherbar.