Mit der Kombination aus Zinserhöhungen und Bilanzreduzierung schalten die Notenbanken aus ihrer jahrelang ultraexpansiven Geldpolitik innerhalb kurzer Zeit in den Rückwärtsgang. Dies trifft die Wirtschaft zu einem ungünstigen Zeitpunkt, da Lieferengpässe, der Ukraine-Krieg sowie zunehmende Wachstumsrisiken in China die Konjunktur bereits belasten. Die hohen Inflationsraten lassen der Geldpolitik vermutlich aber keine andere Wahl als so lange die Zinsen zu erhöhen, bis die gewünschte Verlangsamung bei Nachfrage und Investitionen die angebotsgetriebene Inflation bremst. Somit steigen die Rezessionsrisken, zudem belastet der Kaufkraftverlust durch die hohen Inflationsraten die Wachstums- und Gewinnaussichten der Unternehmen. Hinzu kommt, dass gerade in den USA die Aktienmärkte weiterhin recht teuer und die Risikoprämien gegenüber den Rentenmärkten sehr niedrig sind. Zehnjährige US-Staatsanleihen mit knapp drei Prozent Rendite werden zunehmend zu einer Alternative. Der „Sweet Spot“ der Aktienmärkte aus dem Jahr 2021 hat sich in einen „Sour Spot“ gedreht, die Rahmenbedingungen könnten kaum schlechter sein.
Zehn Jahre nach der historischen „Whatever it takes“-Rede des damaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, und dem Beginn einer expansiven geldpolitischen Dekade kündigt seine Nachfolgerin Christine Lagarde nun an, „we will take whatever action is needed“, um die davongaloppierende Inflation wieder einzufangen. Ähnliche Worte also zehn Jahre später, die allerdings nicht konträrer sein könnten, was die Folgen für die Finanzmärkte betrifft. Zusammen mit dem von der US-Notenbank vorgelegten Tempo bei der Zinswende besteht kein Zweifel daran, dass die Geldpolitik die hohen Inflationsraten nicht tolerieren und aggressiv gegensteuern wird. Die Fed sieht sich deutlich hinter der Kurve, auf den ersten zaghaften Schritt im März dürfte deshalb schon im Mai eine von mehreren großen Zinserhöhungen um 50 Basispunkte folgen – mit dem aus Fed-Sicht „neutralen“ Ziel von 2,5 Prozent zum Jahresende. Für die EZB gehen wir davon aus, dass sie ihren Ankündigungen entsprechend der Fed folgen und eine erste Zinserhöhung noch im dritten Quartal vornehmen wird. Begleitet werden diese Zinserhöhungen durch eine zeitnahe und schnelle Reduzierung der zuletzt durch die Corona-Hilfsprogramme aufgeblähten Notenbankbilanzen, womit sowohl über die Liquiditätskomponente als auch über die Zinsen die Geldpolitik restriktiv wird.
Eine Rezession ist kaum mehr vermeidbar
Das Problem besteht darin, dass die Geldpolitik ein Instrument ist, das ausschließlich die Nachfrageseite der Volkswirtschaft beeinflussen und die Inflation nur über weniger Konsum und Investitionen drücken kann. Sowohl in den USA als auch in Europa ist die steigende Inflation allerdings wesentlich durch die Angebotsseite getrieben, wobei sich Störungen in den Lieferketten und dadurch entstehende Engpässe erst durch die Corona-Pandemie und dann den Krieg in der Ukraine zu einem „perfekten Sturm“ addiert haben. Wenn die Notenbank diese angebotsgetriebene Inflation nun über die Geldpolitik korrigieren will, geht das nur zum Preis einer deutlich schwächeren Nachfrage und einer Wachstumsabschwächung. Eine Rezession ist die logische Konsequenz.
Kreditimpuls stürzt regelrecht ab
Grafisch lässt sich dies am sogenannten „Credit Impulse“, einer Messgröße für die Kombination aus geld- und fiskalpolitischen Effekten, eindrucksvoll ablesen. Der im Zuge der weltweiten Corona-Maßnahmen auf ein Rekordhoch gestiegene Indikator fällt bereits jetzt deutlich – und dass, obwohl die Notenbanken erst am Beginn ihrer Inflationsbekämpfungsmission stehen. Der Indikator zeigt einen Vorlauf zur Wirtschaftsaktivität von ca. drei Quartalen, so dass auch hier deutlich wird, dass die Rezessionsrisiken stark zunehmen, sollten die Notenbanken tatsächlich die angekündigten Zinsschritte und Bilanzverkürzungen liefern.
„Soft-Landing“ der US-Wirtschaft ist eine Illusion
Für etwas Beruhigung könnte sorgen, dass die Inflationsraten aus unserer Sicht zwar in den nächsten Monaten ihren Peak erreichen, allerdings dürfte der Rückgang nur sehr graduell sein. Deswegen ist es sehr wahrscheinlich, dass die Notenbanken trotz der Wachstumsverlangsamung zunächst ihren restriktiven Kurs beibehalten werden. Gerade in den USA ist die Fed neben den Angebotsstörungen auch mit einem sehr engen Arbeitsmarkt und einem steigendem Lohndruck konfrontiert, der eine Straffung der Geldpolitik rechtfertigt. Dies bedeutet auch, dass die Fed den Arbeitsmarkt „drehen“ bzw. eine höhere Arbeitslosenquote erwirken muss. Allerdings ist ein solches „Soft-Landing“ der Wirtschaft in der Nachkriegsgeschichte noch nie gelungen. Sobald die Arbeitslosigkeit stieg, folgte eine Rezession.
Für die Europäische Zentralbank ist die Lage noch schwieriger. Die Inflation in Europa ist nahezu vollständig angebotsgetrieben. Um sie zu bekämpfen, muss die EZB eine Nachfrage schwächen, die im Vergleich zu den USA überhaupt nicht überschüssig ist. Der Konsum liegt noch immer unter den Niveaus vor der Corona-Pandemie und das Risiko einer Stagflation bzw. Rezession einzelner Volkswirtschaften ist durch den Krieg in der Ukraine höher als in den USA. Bereits für das erste Halbjahr erwarten wir für die Eurozone ein leicht negatives Wachstum von rund 0,5 Prozent. Da zudem die Geldpolitik in der Eurozone aktuell viel weniger expansiv als in den USA ist, dürfte die EZB mit einer Straffung viel schneller an den Punkt kommen, an dem die negativen Auswirkungen auf das Wachstum sichtbar werden.
Aus dem „Sweet Spot“ am Aktienmarkt ist ein „Sour Spot“ geworden
Die restriktivere Geldpolitik dürfte zusammen mit dem Kaufkraftverlust durch die hohen Inflationsraten die Wachstums- und Gewinnaussichten für die Unternehmen zunehmend belasten. Letztlich ist die entscheidende Frage, ab welchem Niveau die Geldpolitik restriktiv wirkt bzw. wieviel „Platz“ die Notenbanken haben, diese zu normalisieren. Die Fed schätzt den neutralen Zins auf 2,5 Prozent, für die EZB wird rund ein Prozent angenommen. Wir vermuten unverändert, dass die o.g. Schätzungen zu hoch sind bzw. der „Kipp-Punkt“ der Wirtschaft schneller erreicht wird. Am Ende bleibt den Notenbanken aber nichts anderes übrig als auszutesten, ab welchem Zins sich die gewünschte Verlangsamung der Nachfrage einstellt.
Hinzu kommt, dass gerade in den USA die Aktienmärkte weiterhin recht teuer und die Risikoprämien gegenüber den Rentenmärkten sehr niedrig sind. Zehnjährige US-Staatsanleihen mit knapp drei Prozent Rendite werden zunehmend zu einer Alternative. Das wahrscheinlichste Szenario für uns ist wie oben beschrieben, dass die Notenbanken die Geldpolitik zu aggressiv in den Abschwung hinein straffen und so eine Rezession mit entsprechenden negativen Konsequenzen für die Aktienmärkte auslösen. Der „Sweet Spot“ der Aktienmärkte aus dem Jahr 2021 hat sich in einen „Sour Spot“ gedreht, die Rahmenbedingungen könnten kaum schlechter sein.