46 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Geschäfte haben noch keine bAV. Das deutet darauf hin, dass es auch noch innerbetriebliche Hürden gibt. Wie lassen die sich überwinden?
Baumüller: Die Arbeitgeber, die heute noch diese alteingesessene Meinung haben, wird es in der Form nicht mehr lange geben, weil sie keine Mitarbeiter mehr bekommen. Ich denke, jeder muss investieren. Natürlich brauche ich ein ordentliches Gehalt. Aber ist es nicht vielleicht günstiger, ein paar zusätzliche Benefits bereitzuhalten? Der Mittelstand in unserer Region hat es schwer, gegen die großen Konzerne anzukommen. Also muss ich einige Benefits bieten. Wenn die bAV nicht funktioniert, gehe ich den Weg über die Gesundheitsvorsorge.
Guse: Wir betreuen als Kanzlei auch kleine Unternehmen unter 50 Mitarbeitern. Dort schreibt oft die Ehefrau als Buchhalterin abends noch Rechnungen, macht die Personalabrechnung. Am Ende des Tages denkt die nicht an die bAV. Das Zweite ist: Wer kümmert sich eigentlich hinsichtlich der betrieblichen Altersvorsorge um kleine und mittlere Unternehmen? Meiner Ansicht nach ist das nur die Finanzdienstleistungsbranche. Es gibt niemand anderen, der sich darum kümmert, der es vermittelt. Der Steuerberater ist es nicht. Wir als Rechtsanwälte sind es nicht. Und das ist einfach ärgerlich. Ich kenne keine Veranstaltung, selbst die Handwerkskammer nicht, wo die Betriebe von sich aus dem Thema bAV ansprechen. Oftmals kommen die bAV-Verträge über die Versicherungsbranche. Das ist gut, aber nicht ausreichend.
Böwing: Die Zahlen spiegeln es ja wider: Je kleiner ein Unternehmen, desto schlechter ist die Verbreitung. Wenn wir über SDAX, MDAX oder DAX-Unternehmen sprechen, haben wir eine ganz andere Durchdringung in der bAV. Bei Unternehmen mit 1.000 und mehr Beschäftigten haben rund 75 Prozent der Belegschaft eine bAV. In diesen Unternehmen beschäftigen sich Menschen mit der bAV, die darin ausgebildet sind, den Mehrwert kennen und als Mitarbeiter des Hauses das Thema Versorgungswerke angehen. Leider ist bei KMUs in den letzten zwei, drei Jahrzehnten ein Stück weit verbrannte Erde hinterlassen worden, die den bAV-Vertrieb auch heute noch hemmt. Bei vielen Entscheidungsträgern sind Pensionszusagen eingerichtet worden, die vernachlässigt wurden und heute chronisch unterfinanziert sind. Die Unternehmen möchten diese heute häufig „loswerden“. Daher wird die bAV bei den immer noch handelnden Entscheidungsträgern regelmäßig mit etwas Negativem assoziiert. Und das obwohl die heutige bAV für die Belegschaft wenig bis gar nichts mit den alten Pensionszusagen zu tun hat. Einen kleinen Punkt möchte ich noch ergänzen: Können nur spezialisierte Betriebe oder große Vertriebe verkaufen? Ja, weil es ein gewisses Know-how braucht, um beim Arbeitgeber professionell aufzutreten und auch verkaufen zu können. Wenn ich nicht spezialisiert bin, kann ich stets die Unterstützung des Produktpartners, sprich Versicherers hinzuziehen, für den ich mich entscheide. Die bAV zu verkaufen, ohne dass ich mich auskenne, ohne fachliche Unterstützung, wird nur dafür sorgen, dass weitere verbrannte Erde hinterlassen wird.
Birken: Können nur große spezialisierte Vertriebseinheiten bKV? Ich würde es gar nicht von der Größe abhängig machen, sondern vom fachlichen Know-how und von der Expertise der Vermittler. Verkaufe ich ein Produkt oder verkaufe ich ein Konzept? Frage ich nach dem unternehmerischen Ziel, frage ich nach personalpolitischen Herausforderungen, frage ich nach einem Zielbild, das der Unternehmer vor sich hat und entwerfe ein Konzept, das dazu passt? Oder biete ich ganz „platt“ ein Budget in Höhe von 300 Euro für zehn Euro Beitrag an? Das ist ein deutlicher Unterschied. Die bKV ist eine arbeitsrechtliche Zusage und damit kann man sehr viel Unruhe stiften. Auch wenn die bKV im Vergleich zu einer bAV einfacher ist: Ich darf nicht vergessen, dass es dort nicht nur um Leistungen oder den Beitrag geht, es geht auch um steuerrechtliche und arbeitsrechtliche Betrachtungen. Ich kann nicht einfach die Checkliste durchgehen und den Haken setzen. Es geht darum: Was ist das Ziel? Wie kann eine Lösung aussehen? Welches Netzwerk bringt vielleicht auch der Versicherer mit in Form von Versorgungsordnung, in Form von steuerrechtlicher Unterstützung? Das ist der richtige Weg.
Das Betriebsrentenstärkungsgesetz sollte der bAV einen deutlichen Schub bringen. Danach sieht es aktuell aber nicht aus. Warum gelingt es nicht, mehr Schub in die bAV zu bringen?
Baumüller: 15 Prozent sind nicht attraktiv. Wir nehmen Mandate mit dem Pflichtzuschuss nicht an, weil die Durchdringungsquote erfahrungsgemäß viel zu gering ist. Somit ist es unwirtschaftlich. Als ich vor zwölf Jahren anfing bAV Beratungen durchzuführen, gab es in vielen Betrieben 20 Prozent plus Vermögenswirksame Leistungen. Es hat einige Firmen zum Handeln gezwungen, aber die Firmen die kein Interesse haben Mitarbeiterbindung professionell zu betreiben, werden 15 Prozent anbieten und somit ist die Versorgung wertlos. So hart es klingt. 15 Prozent sind der Standard und die Vorgabe. Doch kein Mitarbeiter möchte Standard. Und ist der Zuschuss zu gering, reduziert dass das Interesse an der bAV deutlich, wie eine Deloitte-Studie zeigt.
Böwing: Ich glaube, dass das BRSG gute Rahmenbedingungen zur Verbreitung der bAV geleistet hat. Die zentralen Hindernisse sind – wie schon erwähnt – die großen Wissens- und Informationsdefizite sowie die zu geringe Anzahl an bAV-Beraterinnen und Beratern. Die derzeitigen Krisen und wirtschaftlichen Probleme sowie die Corona-Pandemie haben ebenfalls ihren Teil dazu beigetragen, dass die Verbreitung zögerlich voranschreitet. Natürlich würden noch bessere Rahmenbedingungen die Attraktivität der bAV weiter steigern. Was ich mir wünschen würde, wären Anlageformen mit höheren Aktienquoten für nicht tarifgebundene Unternehmen. Warum sollen Beschäftigte nicht grundsätzlich selbst entscheiden dürfen, wie viel Garantie sie sich wünschen? So wie dies in der privaten Altersversorgung auch möglich ist. Das müsste natürlich mit der Enthaftung der Arbeitgeber einhergehen. Hinzu kommt: Beschäftigte wechseln im Vergleich zu früher häufiger den Arbeitgeber, sodass die Übernahme bereits bestehender Versorgungen einfacher möglich sein sollte. Das gilt sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber. Der übernehmende Arbeitgeber sollte aus meiner Sicht gänzlich für die vorherige Zeit enthaftet werden. Als Drittes würde ich in der Direktversicherung flexiblere Auszahlungsformen begrüßen. Zwar sollte eine lebenslange Rente immer möglich sein, gleichwohl fände ich neben der Kapitalisierungsoption die Auszahlung in Form von Zeitrenten sinnvoll. Dies sind alles Punkte, die weder den Staat noch den Arbeitgeber zusätzliches Geld kosten würden.
Frau Birken, Sie hatten die komplexe Beratung in der bKV skizziert. Ich höre aber immer wieder in Gesprächen, die bKV ist leicht umzusetzen. Wie langwierig ist der Entscheidungsfindungs- und Beratungsprozess?
Birken: Meine Erfahrung ist, dass die Entscheidungsfindung grundsätzlich kein Schnellschuss ist. Ich gehe nicht heute in die Beratung und morgen sagt der Kunde wie bei einer privaten Haftpflichtversicherung: „Komm, das machen wir!“ Das wäre aber auch aus meiner Sicht der falsche Weg. Was ich tagtäglich erlebe, ist, dass solche Entscheidungen für eine betriebliche Gesundheitsvorsorge ganz sorgfältig abgewogen werden, und dass ganz verantwortungsbewusst und nachhaltig, also eher langfristig betrachtet, ein Konzept entwickelt und umgesetzt werden soll, das den Mitarbeitern wie auch dem Unternehmen einen Mehrwert schafft.
Wie wichtig ist in dem Zusammenhang die interne Kommunikation für die betriebliche Durchdringung?
Birken: Für uns als Hallesche ist die Mitarbeiterkommunikation eines unserer Herzstücke im Vertrieb und in der Unterstützung seit Tag eins. Nur wenn der Mitarbeiter versteht, was er von seinem Arbeitgeber bekommt, wie er an seine Leistungen kommt, wie er die Gesundheitsservices nutzen kann, transparent und ohne Hemmschwellen, nur dann wird er es nutzen. Und nur dann wird der Benefit erlebbar. Herr Baumüller sagte es: Kommunikation ist das Ein und Alles in der bKV. Allein dadurch, dass ich sie abschließe, habe ich als Unternehmen noch gar nichts gewonnen.
Böwing: Die Kommunikation ist extrem wichtig. Es gibt im Markt zum Beispiel Firmen, die haben Benefit-Verantwortliche. Die sorgen dafür, das bKV- beziehungsweise bAV-Angebot im Unternehmen publik zu machen undzu vermarkten. Mit diesen Multiplikatoren arbeiten erfolgreiche bAV-Vermittler inzwischen zusammen. Ich halte das für eine richtig tolle Idee.
Baumüller: Ich sehe das als unsere Aufgabe. Wir bekommen den Abschluss, wir versorgen die Firma, also ist es auch unsere Aufgabe, die Kommunikation mit den Mitarbeitern zu führen, ob jetzt mit Unterstützung des Versicherers oder ohne. Das heißt, wenn Frau Birken Mitarbeiterin ist, soll sie nach der Präsentation sagen: „Mein Arbeitgeber hat etwas Tolles für mich gemacht“, und der Arbeitgeber ist idealerweise in der Präsentation auch dabei. Es braucht für mich als Bedingung immer auch eine Person aus dem HR oder aus der Geschäftsführung. Und wenn es implementiert wurde, braucht es dann aber die dauerhafte Kommunikation. Ansonsten hat es in einem Jahr wieder jeder vergessen.