Michael Beck, Bankhaus Ellwanger & Geiger, hofft auf eine gelassene Reaktion der Finanzmärkte, wenn das Ergebnis des Italien-Referendums feststeht.
So langsam gewöhnt man sich daran, dass derzeit weder Konjunkturdaten noch Unternehmensgewinnausweise die entscheidenden Markttreiber zu sein scheinen. Diese Woche nun schauen alle Marktteilnehmer auf das Verfassungsreferendum in Italien, das Ministerpräsident Renzi ebenso ohne Not wie David Cameron seine Brexit-Abstimmung in Großbritannien vom Zaun gebrochen hat.
Neuwahlen sind keine Option
Und ebenso wie in Großbritannien besteht die Gefahr, dass die Abstimmung schiefgeht, das heißt, dass das Renzi-Begehren, u. a. die Regierungsstrukturen effizienter zu gestalten, abgelehnt wird. Dumm nur, dass Renzi sein politisches Überleben an dieses Referendum geknüpft hat. Diese Formulierung hat er jedoch in einem Interview wieder aufgeweicht und es ist davon auszugehen, dass ihm die Berliner Runde, die zum Abschied von US-Präsident Obama zusammenkam, nahelegte, dass ein Rücktritt von ihm in der derzeitigen fragilen Lage nicht opportun ist. Das Letzte, was Europa derzeit brauchen könnte, wären Neuwahlen in Italien mit einem populistischen Gewinner Grillo, der den Euro und/oder die EU verlassen möchte. Zum Glück ist dieses Szenario derzeit noch recht unwahrscheinlich und weit weg.
Vorsprung des „Nein“-Lagers
Die Umfragen in Italien sehen das Nein-Lager mit sieben bis zehn Prozent im Vorsprung. Nun haben dieses Jahr die endgültigen Wahlergebnisse mehrfach das demoskopische Lager düpiert, so dass der Wahlausgang bei 20 Prozent unentschlossenen Wählern als offen bezeichnet werden kann. Die Katastrophenszenarien bei einem Nein-Votum, die von einem Aktiencrash bis zu Anleihenausverkäufen reichten, werden wohl aus besagten Gewöhnungseffekten nicht mehr so dramatisch erwartet. Wenn zudem der Rücktritt Renzis ausbleibt, wird das zur Beruhigung der Lage beitragen. Es bleiben dann aber der Makel der wieder einmal bewiesenen Reformunfähigkeit Italiens, die Herkulesaufgabe der Sanierung des notleidenden italienischen Bankensektors und die Aufgabe der generellen Wiederbelebung der Wirtschaft.
Was machen die Finanzmärkte?
Die Finanzmärkte schauen seit geraumer Zeit weniger auf fundamentale Konjunkturdaten als auf politische Ereignisse. Diese haben seit jeher eigentlich nur kurzzeitige Auswirkungen auf Kursverläufe an den Börsen. Leider reihen sich diese politischen Ereignisse wie Perlen auf einer Schnur aneinander und lösen sich in ihren Einflussnahmen ab. Zudem sind die letzten Abstimmungen und Wahlen (Brexit, US-Präsidentschaftswahl) nicht im Sinne der meisten Marktteilnehmer ausgefallen. Am Sonntag dürfte es ihnen ähnlich ergehen. Es bestehen jedoch Chancen, dass die Finanzmärkte dennoch gelassen reagieren.
Michael Beck ist Leiter Asset Management beim Bankhaus Ellwanger & Geiger in Stuttgart.
Foto: Thomas Bernhardt