Weil kleinere Schwellenmärkte wie die Türkei oder Südkorea mit immensen Wachstumsraten locken, hoffen Investoren auf üppige Renditen. Ganz ohne Risiko sind außergewöhnliche Gewinne aber nicht zu realisieren. Der große Cash.-Emerging-Markets-Report.
Text: Marc Radke
Es ist Mai 2011. Obwohl die Klimaanlage das Istanbuler Restaurant auf ein gesundheitsgefährdendes Niveau abkühlt, wischt sich Attila Yesilada unentwegt den Schweiß von der Stirn. Das mag dem gerade verspeisten üppigen Essen oder der Leibesfülle des wohlgenährten Analysten geschuldet sein. Vielleicht liegt es aber auch an dem noch ungewissen Ausgang der türkischen Parlamentswahl.
Knapp zwei Wochen vor dem Urnengang legt der Mitgründer des wirtschaftspolitischen Think Tanks Istanbul Analytics sein Szenario für den optimalen Wahlausgang dar. Demnach sollte die Regierungspartei AKP zwar als Gewinner hervorgehen, aber ohne eine Mehrheit, die es ihr erlaubt, die anstehende Verfassungsänderung per Referendum oder gar im Alleingang umzusetzen: „Von dieser Konstellation profitieren die türkische Wirtschaft und Investoren am meisten.“
Für die Alternative, dass mehr als zwei Drittel der Sitze an die AKP gehen, findet der Vordenker dagegen nur ein Wort: „Desaster“. Türkische Intellektuelle befürchten, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan eine islamische Restauration des Landes vorantreiben und seine präsidiale Machtfülle ausbauen will: „Dauerhafter Fortschritt ist aber ohne die Gleichberechtigung von Frauen oder die Einbindung der kurdischen Minderheit nicht vorstellbar.“
Somit steht viel auf dem Spiel. Das Land gilt als eine der chancenreichsten Volkswirtschaften überhaupt. Im ersten Quartal 2011 hat die Türkei mit einem außergewöhnlichen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts auf sich aufmerksam gemacht. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum konnte die Wirtschaft um 11,7 Prozent zulegen. Langfristig soll das Land von Platz 17 in die Top Ten der größten Wirtschaftsmächte auf dem Globus vordringen. Innerhalb Europas nimmt die Türkei bereits den sechsten Rang ein.
Boom am Bosporus
Inzwischen dürfte aber die Transpiration des Strategen wieder nachgelassen haben. Die Parlamentswahl Anfang Juni zumindest ist exakt nach seinem Wunsch ausgegangen. Aber wird die Türkei damit wirklich zum Geheimtipp für Investoren? Dass die Nation zwischen Orient und Okzident momentan reüssiert, ist nicht zuletzt der anziehenden Binnenkonjunktur zu verdanken. Das größte Prä des traditionsreichen Landes bildet der Konsumhunger der jungen Bevölkerung – im Schnitt lediglich 28 Jahre alt. Die knapp 74 Millionen Einwohner kaufen, was das Zeug hält beziehungsweise was die Konsumentenkredite hergeben.
So bleibt ein Blick auf die Bankenlandschaft nicht ungetrübt. Ihre größte Rendite erzielen die Geldhäuser mit ebensolchen Kleinkrediten. Bei der in Istanbul ansässigen Akbank, eines der größten Institute der Türkei, entfällt auf diese zwar nur rund vier Prozent der Bilanzsumme. Das reicht aber bereits, um mehr als 30 Prozent des gesamten Unternehmensgewinns zu erzeugen. Da ist die Versuchung der Banker nachzuvollziehen, mit immer neuen Methoden ihre Kredite an die Konsumenten zu bringen – per SMS, Hotline, Kreditautomat, und einigem mehr. Ob diese Form, das wirtschaftliche Binnenleben anzukurbeln, von dauerhaftem Erfolg gekrönt sein wird, bleibt abzuwarten.
Gregor Holek, Türkeiexperte und Fondsmanager bei der österreichischen Raiffeisen Capital Management, sieht darin sowohl einen Schub als auch eine Gefahr für den Aufschwung des Landes: „Um eine Überhitzung der Volkswirtschaft zu vermeiden, setzt die Zentralbank derzeit Dämpfungsmaßnahmen ein. Das Kreditwachstum von 35 Prozent im Jahresvergleich soll auf 25 Prozent reduziert werden. Auf der anderen Seite gibt es in vielen Bereichen großes Aufholpotenzial, das mittels Krediten ausgeschöpft werden kann. Ein Balance-Akt also.“
Das Kreditinstitut Akbank wird wie rund 60 weitere Unternehmen, viele davon Marktführer in ihren Geschäftsfeldern, von der Sabanci Holding kontrolliert. Vorstand der Familiendynastie ist Güler Sabanci, die Nichte des Unternehmensgründers. Die Sabanci Holding ist nach der Koç Holding, ebenfalls ein Familien-Clan, der zweitgrößte Konzern des Türkei. So viel Einfluss in den Händen weniger macht Korruption und Transparenz zu wichtigen Themen. „Dies beschränkt sich aber bei Weitem nicht auf die Türkei, es sind globale Probleme. Im regionalen Kontext Osteuropas gesehen spielt das Land eine durchaus positive Rolle. Das Risiko fällt geringer aus als etwa auf dem Balkan“, argumentiert Holek.
Der Börsenkenner ist überzeugt, dass durch Bilanzierungsregeln und Kommunikation mit Investoren eine hinreichende Transparenz bei den großen börsennotierten Unternehmen vorhanden ist. Das spiegeln auch deren Aktienkurse: „Bei Familienunternehmen ist die Gefahr, dass strategische Entscheidungen nicht im Sinne der Minderheitsaktionäre getroffen werden, höher. Daher notieren diese Holdings mit einem Abschlag gegenüber ihrem zugrunde liegenden Wert.“
Wie Yesilada hält Holek die Türkei für einen der aussichtsreichsten Schwellenmärkte auf dem Globus: „Es bleibt eine außergewöhnlich dynamische Volkswirtschaft. Auch über das Jahr 2012 hinaus können wir Wachstumsraten deutlich über dem EU-Schnitt erwarten.“ Fünf Prozent im Schnitt prognostiziert der Raiffeisen-Fondsmanager.