Das Jahr 2023 hatte einen erstaunlichen Verlauf. Zunächst gab es massive Zinserhöhungen, dann folgte die Jahresend-Rally insbesondere bei Tech-Aktien und Blue Chips. Wie geht es in diesem Jahr weiter, welche Fonds- und Anlageklassen sehen Sie vorne?
Kutschera: Die Marktteilnehmer haben den Blick nach vorne gerichtet und die Zinspolitik eingepreist, in freudiger Erwartung, dass dann die nächsten Zinsschritte Zinslockerungen sein werden. Bisweilen ist nun ein wenig Ernüchterung eingetreten. Man hat auch gesehen, dass die Rallye Ende letzten Jahres zumindest temporär sehr breit angelegt war und auch qualitativ eher schwächere Unternehmen stark zugelegt haben. Da wurde wenig differenziert. Das ist der Unterschied zu diesem Jahr, wo die Marktteilnehmer angefangen haben, inklusive der Mag 7, wieder einen differenzierteren Blick auf die Märkte zu werfen. Tatsächlich sind auch Year-to-Date seit Jahresbeginn die Unternehmen deutlicher im Plus, die qualitativ auch herausstechen. Wir sind bei einem tendenziell positiven Wirtschaftsausblick insgesamt eher positiv gestimmt für die Märkte: leicht übergewichtet auf der Aktienseite, leicht untergewichtet auf der Anleihenseite zugunsten von Cash, weil am kurzen Ende die Renditen immer noch recht attraktiv sind und wir auch für den Fall einer Korrektur ein bisschen Pulver trockenhalten. Damit sind wir ganz gut gefahren. Die Emerging Markets, die seit Corona nicht mehr so wirklich en vogue waren, scheinen so langsam wieder auf das Anleger-Radar zurückzukehren. Die Inflationssorgen sind zwar noch da aber nicht mehr so ausgeprägt, wie sie es vielleicht noch vor geraumer Zeit waren, sprich der Markt glaubt eigentlich kaum noch, dass die Zinsen auf absehbare Zeit noch einmal erhöht werden könnten – was bis zuletzt zumindest noch ein Tail Risk war. Wir sehen eine Zinssenkung der Fed bis Jahresende.
Schauen wir auf die Regionen. Schwellenländern wird ein besseres Jahr vorausgesagt als den Industriestaaten. Teilen Sie diese Einschätzung und worauf fußt diese Annahme?
Kutschera: Die Aktienbewertungen in den Emerging Markets insgesamt sind attraktiv, zumindest relativ zu den USA. China kommt so langsam moderat aus dem Tal der Tränen, aber dieser Pfad der Entschuldung und die Immobilienthematik, wird uns noch eine ganze Weile lang begleiten. Aber wie immer antizipiert der Markt das, was danach kommt, und es scheint Dynamik reinzukommen. Das hilft den Inflows. Insbesondere bei den Bonds sind wir konstruktiv, und zwar sowohl bei Lokal- als auch bei Hartwährungen. Sie können über Emerging Market Corporate Bonds an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben, von dort ansässigen Emittenten. Sie haben attraktive Yield-Pick-ups relativ zu den Industrienationen. Auch nach möglichen Euro-Hedgingkosten ist das Segment aus unserer Sicht attraktiv, absolut gesehen. aber auch aus Portfoliodiversifikationsaspekten, u.a. dank teils unterschiedlicher Zinsentwicklungen. In Sachen Inflation sind die Emerging Markets den Developed Markets voraus, und es gibt dort auch schon Zentralbanken, die bereits wieder die Zinsen gesenkt haben. Wir beobachten auch seit Jahresbeginn hohe neue Emissionsvolumina mit Überzeichnungen und sehen gesteigertes Interesse.
Blicken wir mal auf das Thema ESG-Investments. Welche Rolle spielen diese in Ihrem Haus?
Kutschera: Seit Jahren haben wir uns in diesem Segment personell – wie viele andere – verstärkt, um zum einen den Anforderungen des Marktes bzw. der Kunden gerecht zu werden, zum anderen aber auch teilweise, um neue Portfolios ins Leben zu rufen. Das Thema ist intern hoch aufgehängt und derzeit insbesondere bei Institutionellen von hohem Interesse, wenngleich das Interesse auch auf der Wholesaleseite zurückkehren sollte. Bei den Privatanlegern ist ESG derzeit einfach nicht angesagt, und wenn es nur die Performance ist, die in der Wahrnehmung vieler Investoren deshalb zu wünschen übriggelassen hat. Wir haben ein globales Responsible Investing Team, das sich mit den Unternehmen auseinandersetzt und auch häufig in den aktiven Dialog tritt. Wir haben auf der Fondsebene für jeden Fonds ein CO2-Reporting, das wir veröffentlichen, sofern es die Datenlage erlaubt. Ich denke das Thema sollte global relevant sein, de facto nimmt Europa aber eine gewisse Vorreiterrolle bei der Umsetzung auf Investmentebene ein.
Schauen wir noch einmal auf das Thema Anleihen. Bereits im letzten Jahr haben viele Marktteilnehmer massiv für ein Comeback der Anleihe geworben. Inwieweit teilen Sie diese Euphorie und was folgt daraus?
Kutschera: Auch wenn es viele vielleicht noch nicht wissen: Unser Haus investiert seit über fünf Jahrzehnten in Anleihen und verwaltet dort einen soliden dreistelligen Milliardenbetrag. Letztes Jahr waren unser Zugpferd in Deutschland die europäischen Investment-Grade-Credit-Anleihen, nicht die US-Aktien oder die Wachstumswerte, die man vielleicht als Erstes mit T. Rowe Price assoziiert. Ich nenne das als Beispiel für die wieder entstandene Nachfrage nach Anleihen, die 2023 deutlich sichtbar war. Viele Kunden sind im Zweifel unterinvestiert oder parken auf der Geldmarktseite ihre Mittel – es wird ja auch viel von „Money on the side lines“ gesprochen. Wieviel davon bleibt in den Tagesgeldern, Sichteinlagen, Eigenemissionen hängen, und wieviel davon sollte und wird auf absehbare Zeit vielleicht in höherverzinsliche, zum Beispiel Fonds, gehen? Wir sehen die Möglichkeiten insbesondere im Creditbereich, u.a. weil die Defaults bis dato niedrig geblieben sind und auch unsere Default-Erwartungen gering sind. Es wird auch hier zunehmend interessanter, wenn die Zinssenkungen kommen. Dann gilt es zu schauen: Welche Unternehmen will ich weiterhin im Portfolio haben, welche veräußere ich? Wir haben ein recht breites Angebot an Rentenfonds und sehen weiter großes Momentum und gute Möglichkeiten.
Geht damit auch ein Wiedererstarken der Multi-Asset-Produkte einher, um die es in den letzten Jahren ebenfalls sehr still geworden war?
Kutschera: Ich weiß, was letztes Jahr los war, Stichwort Mittelabflüsse. Wir wissen aber auch alle, dass es gemessen an den AuM immer noch das zweitgrößte Marktsegment in Deutschland ist. Wir denken, dass es auch weiterhin Bedarf und Nachfrage geben wird nach Multi-Asset-Lösungen, weil einfach viele Endanleger bequem sind und auch weiterhin ihr Geld bevorzugt in Multi-Asset-Lösungen allokieren möchten. Auch wenn sich die Nettomittelabflüsse des letzten Jahres vielleicht zunächst noch fortsetzen, sehe ich mittelfristig und auch aus Diversifikationsanspekten keinen Grund für eine Unterbrechung des positiven Trends. Was viele nicht wissen, ist, dass unser Haus über 300 Milliarden US-Dollar in Multi-Asset-Fonds verwaltet und damit einer der größten Multi-Asset-Anbieter am Markt ist, mit ansehnlichen Track Records auch bei den hierzulande erhältlichen Fonds.
Blicken wir zuletzt noch auf den Vertrieb. Wie ist dieser bei T. Rowe Price strukturiert?
Kutschera: Wir fahren dreigleisig. Wir haben vor nicht ganz zehn Jahren mit dem Wholesale-Geschäft angefangen, u.a. Assetallokatoren, Dachfondsmanager, Vermögensverwaltungen und all diejenigen, die sozusagen per Knopfdruck Allokationen vornehmen können. Seit Ende 2018 betreuen wir auch erfolgreich strukturell und proaktiv institutionelle Anleger. Das dritte Standbein – ohne, dass es eine Wertung wäre, ist mehr die zeitliche Abfolge – ist die Advisory-Seite, das Beratungsgeschäft, die Fondsverkäufer, wo wir jetzt seit ungefähr zwei Jahren fokussierter unterwegs sind und auch erste Erfolge verzeichnen dürfen, einschließlich positiver Nettomittelzuflüsse. Wir versprechen uns perspektivisch und mit zunehmend stärkerem Branding einen zunehmenden Anteil dieses Segments an unserem Erfolg. Bei den IFAs sind wir mittlerweile schon recht gut positioniert, wenngleich ich auch hier noch viel Potenzial sehe. Wir haben gute Produkte und deutschsprachige Mitarbeiter nicht nur in Frankfurt. Dennoch ist viel Geduld gefragt, und ich glaube, viele Berater sind auch in einer gewissen Komfortzone, und diese gilt es herauszulocken. Da sind wir dran und bisher gibt uns der Erfolg recht, aber es ist noch nicht der Hauptassettreiber.
Letzte Frage: Welche Strategien stehen bei T. Rowe Price produkt- und vertriebsseitig in diesem Jahr im Fokus?
Kutschera: Wir haben in den drei primären Absatzkanälen unterschiedliche Schwerpunkte. Auf der institutionellen Seite sind unsere Steckenpferde u.a. globale Aktiendisziplinen und Emerging Market Bonds, wo auch jeweils viele Kunden investiert sind – häufig individuell auf die Bedürfnisse zugeschnitten. Auf der klassischen Wholesale-Seite, bei den Fondskäufern, ist dieses Jahr bisher unser Zugpferd ein indexnaher Fonds mit einer S&P 500 Benchmark, dessen Historie in den USA bis 1999 zurückreicht – mit beachtlichen Erfolgen. Den Ucits Fonds haben wir im Dezember nach Deutschland geholt und nähern uns nach nur sechs Monaten der Marke von einer Milliarde US-Dollar Fondsvolumen, was spektakulär ist. Diese kostengünstige, aktiv verwaltete Strategie basiert auf den besten Aktienauswahlen unserer Analysten weltweit. Darüber hinaus beobachten wir anhaltend hohes Interesse an unserem US-Nebenwerte-Fonds, wo nicht nur unser Haus positiv für die weitere Wertentwicklung des Marktsegments gestimmt ist und wir davon ausgehen, dass der Markt sich zunehmend in die Breite entwickeln wird. Man sieht es wie gesagt bei den Mag 7 schon, und Anleger kommen wohl nicht an den guten Unternehmensentwicklungen einiger Small und Mid Caps vorbei, schon gar nicht strategisch orientierte Investoren. In diesem Segment sind wir mit einer der führenden Anbieter und blicken auf über 60 Jahre Erfahrung zurück.
Interview: Frank O. Milewski, Cash.