„Emotionen können eine enorme Rolle spielen“

Foto: Christian Daitche

Verantwortungsbewusstes Investieren rückt immer stärker in den Anlegerfokus und ESG-Investments stehen ab 2021 in Europa auch ganz oben auf der politischen Agenda. Dan Sauer, Head of Institutional and Wholesale Distribution Central Europe bei Nordea Asset Management, spricht im Cash.-Interview über die ESG-Strategie des skandinavischen Fondshauses, die Herausforderung, Greenwashing zu verhindern, und über die vertrieblichen Chancen nachhaltig gemanagter Fonds.

Verantwortungsbewusstes Investieren rückt immer stärker in den Anlegerfokus und ESG-Investments stehen ab 2021 in Europa auch ganz oben auf der politischen Agenda. Dan Sauer, Head of Institutional and Wholesale Distribution Central Europe bei Nordea Asset Management, spricht im Cash.-Interview über die ESG-Strategie des skandinavischen Fondshauses, die Herausforderung, Greenwashing zu verhindern, und über die vertrieblichen Chancen nachhaltig gemanagter Fonds.

Das Thema Nachhaltigkeit oder ESG zieht derzeit immer größere Kreise. Bereits 1988 hat Nordea seine ersten Sektor spezifischen ESG-Fonds aufgelegt. Wie hat sich das Thema seit- dem entwickelt und verändert?

Sauer: Es ist nicht völlig ungewöhnlich, dass sich in der Finanzindustrie neue Trends oder Sektoren dynamisch entwickeln. In Sachen ESG ist die Geschwindigkeit aber eine ganz neue Liga. Das Ereignis ist multifaktoriell. Die Wissenschaft, die Gesellschaft, der Finanzmarkt, die Politik und damit der Regulator – alle wollen eine Veränderung.

Der Hebel ist dementsprechend groß. Zum einen wissen die Aufsichtsbehörden seit 2008, wie man die Finanzindustrie reguliert. Zudem bewegt der Finanzmarkt die gesamte Wirtschaft sehr effizient. „Geld regiert die Welt“ bekommt erstmalig eine positive Konnotation. Darüber hinaus entdecken die Anleger – und dabei spreche ich nicht nur von institutionellen Investoren – das Thema immer mehr und kreieren damit eine stetig wachsende Nachfrage für verantwortungsvolle Geldanlagen.

Wie reagieren die Unternehmen, mit denen Sie sprechen, wenn es zum Thema Nachhaltigkeit kommt? Wo sind mit Blick auf die Industrie- und Schwellenländer die positiven Auswirkungen von ESG stärker ausgeprägt?

Sauer: Unternehmen reagieren überwiegend positiv. Gehen Sie vom Begriff des ehrbaren Kaufmanns aus. Seit dem Mittelalter ist dieses Denken in Europa verankert. Neben Italien findet sich die Grundidee auch in der Hanse. Der Shareholder-Gedanke war für uns das Neue, der Stakeholder-Gedanke eine Rückkehr zu den Wurzeln. Unternehmer wollten schon immer mehr als Rendite. Zu Ihrer Frage bezüglich der Schwellenländer: hier ist das „G“ aus ESG – also eine gute Unternehmensführung – von besonders großer Wichtigkeit.

Erlauben Sie mir die Überperformance unseres Schwellenländer Aktienfonds ins Feld zu führen. Per Mitte Oktober hat der Nordea 1 – Emerging Stars Equity Fund (BP USD) im laufenden Jahr über 15 Prozent abgeliefert, während der Markt bei 2,4 Prozent lag. Seit Auflage waren es gute 45 Prozent, mit denen der Fonds die Nase vorne hatte. ESG macht den Unterschied. Neben der überragenden Leistung der Portfoliomanagerinnen leistete unser Responsible Investment Team auch einen bedeutenden Beitrag zum Ergebnis.

ESG liegt in der DNA von Nordea

Immer wieder ist zu hören, ESG liege in der DNA von Nordea. Was heißt das und was bedeutet das für die strategische Ausrichtung von Nordea?
Sauer: Nun, viele Anbieter müssen sich dem Thema erstmalig annähern. Bei Nordea sieht das etwas anders aus. Im Norden gibt es seit vielen Jahren ein starkes Bewusstsein für soziale Themen oder Gleichberechtigung und eine tiefe Verbundenheit zur Natur.

Denken Sie zum Beispiel an das schwedische Jedermanns Recht. Besuchen Sie die Fahrradhauptstadt der Welt: Kopenhagen. Vielleicht kennen Sie noch nicht Begriffe wie „Plogging“? Es gibt dort viel zu entdecken. Ich lade Sie lieber dazu ein, als darüber zu dozieren. Aber nur so viel zu Plogging: Es besteht aus „plocka“ was schwedisch aufheben oder pflücken heißt und Jogging. Aber es gibt noch mehr nachhaltige nordische Spezialitäten. Es liegt halt in unserer DNA.

Ab dem kommenden Jahr soll sich die Finanzindustrie in Europa im Asset Management und in der Beratung auf das Thema ESG fokussieren. Sind die Pläne der EU-Kommission förderlich oder eher hinderlich für das Fondsgeschäft von Nordea Asset Management?

Sauer: Grundsätzlich eher förderlich. Aber wie immer, ist die Balance schwierig. Wie kann man gut regulieren, um die Ziele zu erreichen und dabei „Greenwashing“ verhindern? Die Komplexität des Themas ist für alle eine Herausforderung. Für den Regulator, für die Anbieter, für die Vermittler und natürlich auch für die Kunden. Man kann nur an die Demokratie appellieren und hoffen, dass wir uns alle gemeinsam für eine bessere Zukunft auf den Weg machen.

Alle Beteiligten sehnen sich auch nach Klarheit und Transparenz. Hier kann der Regulator ein sehr heilsamer Katalysator sein. Aber einfach ist das nicht. Schauen Sie auf die Seitenzahl der EU Taxonomie, dann haben Sie den Beleg dafür, wie groß die Herausforderung ist. Und damit wurde erst mal nur „E“ aber noch nicht „S“ und „G“ klarer beschrieben.

In einem Interview haben Sie unlängst davon gesprochen, dass ESG zur Normalität und der Rest zur Nische wird. Inwieweit muss sich Nordea dann neu erfinden, um im vermutlich schärfer werdenden Wettbewerb weiterhin als bedeutender Anbieter mit einem klaren ESG-Fokus wahrgenommen zu werden?

Sauer: Nun, ich bin seit fast 20 Jahren bei Nordea und die Bank ist 200 Jahre alt. Beides ist nur denkbar, wenn man sich immer wieder neu erfindet. Das heißt aber auch, seine Vergangenheit zu kennen und daraus zu lernen. Ein weiser Mann hat einmal gesagt: „Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“

Schauen wir einmal auf die Vermittler- und Kundenseite. Wie wichtig ist es für den Vertriebserfolg, als starke Marke in Sa- chen ESG wahrgenommen zu werden?

Sauer: Von überragender Bedeutung. Für uns gibt und gab es immer eine Konstante; der Kunde steht im Mittelpunkt unseres Tuns. Wir sind ein Dienstleister. Vermittler und Kunden sind unser Rückgrat. Da wir beobachten können, wie das Nachhaltigkeitsthema bei beiden zunehmend an Aufmerksamkeit gewinnt, freuen wir uns, wenn wir als wichtiger Anbieter wahr- genommen werden, wenn es darum geht, den steigenden Bedarf an Investmentlösungen in diesem Bereich abzudecken.

Emotionen pushen den Fondsabsatz

Fragen Ihre Kunden wirklich nach ESG-Fonds, weil sie sich damit identifizieren, oder weil behauptet wird, dass nachhaltige Produktportfolios tatsächlich eine bessere Performance liefern? Welche Rolle spielt das Thema Emotionalität in der Kundenansprache?

Sauer: Unsere Kunden sind Intermediäre. Daher sollten Sie ihre Frage vielleicht besser an sie richten. Ich denke, die Nachfrage nach ESG-Fonds hat verschiedene Ursachen; wie schon erwähnt, wollen sich im Grunde genommen alle Beteiligten hin zur Nachhaltigkeit entwickeln. Dabei wollen Investoren aber, wenn möglich, nicht auf Performance verzichten. Wenn es darum geht, wie stark der Nachhaltigkeitsgedanke bei der Investmententscheidung im Vordergrund steht, können Emotionen eine enorme Rolle spielen. Es ist am Ende kaum zu verallgemeinern.

„Jeder Jeck ist anders“, wie man im Rheinland sagt. Es kommt auf viele individuelle Faktoren wie Risikoneigung, Renditewartung, Haltedauer und Ziele an. Was soll vermieden, aber auch was soll mit meinem Geld erreicht werden? Solche Komplexität lässt sich über Emotionen oft einfacher transportieren, birgt aber auch die Gefahr von Mogelpackungen, also Greenwashing.

Greenwashing erfordert den Regulator

Viele Anbieter springen derzeit auf den „ESG-Zug“ auf. Wie nachhaltig ist das aus Ihrer Sicht und wie sehr bereitet Ihnen das Thema Greenwashing Sorgen, das sicherlich zunehmen wird? Haben Sie diesbezüglich Wünsche an die Politik?

Sauer: Ich denke die Problemstellung haben wir bereits umrissen. Das Thema ist komplex. Damit ist Tür und Tor offen für Trittbrettfahrer. Wir brauchen den Regulator. Wie immer, macht die Menge das Gift. Übrigens, war Ihnen bewusst, dass der Begriff Greenwashing aus den 80er stammt und Sie dem Phänomen schon unzählige Male begegnet sind? In einem Essay kam Jay Westervelt zu dem Schluss, dass die Hotelindustrie mit dem berühmten Schild im Bad, das Handtuch erneut zu nutzen, keinesfalls Energie und Wasser sparen wollten, sondern lediglich den Profit steigern.

Kommen wir zur Produktpalette. Blickt man als Außenstehender auf Nordea gewinnt man den Eindruck, dass der Kampf gegen den Klimawandel und für den Umweltschutz einen besonders hohen Stellenwert im Rahmen der Investmentstrategien genießt. Welche Gründe gibt es dafür?

Sauer: Natürlich hat dieses Thema in den vergangenen Monaten vor dem Hintergrund immer intensiverer Klimadebatten an Aufmerksamkeit gewonnen. Somit ist das „E“ im besonderen Fokus der Industrie. Soziale Themen oder Aspekte der Unternehmensführung sind für viele weniger eingängig. Auch die Messbarkeit ist im Hinblick auf Klima- und Umweltaspekte oft einfacher bzw. besser zu illustrieren – Stichwort CO2-Fußabdruck oder die Tonnen produzierten Mülls. Daher nimmt das „E“ bei Investoren derzeit eher Geschwindigkeit auf. Bei uns im Hause hat dies aber keinen höheren Stellenwert als die beiden anderen Themen.

Vertrieblich gesehen haben Sie aber Recht. Unsere Global Climate and Environment Strategie hat derzeit mit ca. vier Milliarden Euro sicher eine hohe Bedeutung. Allerdings liegt das gesamte Anlagevermögen in unseren ESG-optimierten Fonds bei knapp 70 Milliarden Euro. Wir bieten unseren Kunden eine Vielzahl nachhaltiger Investmentlösungen an, die verschiedenste ESG-Aspekte abdecken.

Da wäre unsere ständig wachsende „ESG STARS-Produktpalette“, die wir seit Anfang letzten Jahres um vier Rentenfonds mit echter ESG-Integration erweitert haben. Wir bieten auch thematische Investmentlösungen an, wie beispielsweise unsere Strategie für globale Geschlechter-Diversität. Zudem haben wir unsere Ambitionen für verantwortungs- bewusstes Investieren auch in Private Equity ausgedehnt.

ESG ist am besten über Aktien umsetzbar

In welcher Assetklasse lässt sich ESG am leichtesten umsetzen?

Sauer: Aktien sind der klare Kandidat. Die Ziele und Auswirkungen sind klar, der Einfluss durch Investoren und das Management ebenfalls. Nun denken Sie mal an Staatsanleihen und versuchen das Prinzip zu übertragen. Was machen Sie mit der Todesstrafe, die in Europa außerhalb jeder Diskussion steht und bringen das in Einklang mit den USA, die größter Emittent von Staatsanleihen sind, aber die Todesstrafe nicht ablehnen.

Welche Lenkungen und Einflüssen haben Sie als Investor? Aber alles ist besser, als nichts zu tun. Wie eben erwähnt, bieten wir unseren Kunden inzwischen auch nachhaltige Lösungen im Anleihenbereich an. Sprechen Sie mit unserem Portfoliomanager für Schwellenländer-Anleihen, Thede Rüst. Ein enthusiastischer Manager von Anleihen der ebenso für das Thema ESG glüht. Spannend auch seine Vita mit beruflichen Stationen in Kapstadt und Kabul. Thede war u.a. auch Mitglied des UN PRI Fixed Income Advisory Komitee. Kurzum mit dem nötigen Personal können Sie sich professionell auch solchen Herausforderungen stellen.

Die ESG STARS-Fondspalette wurde explizit mit dem Fokus ESG geschaffen. Wie viel E, S und G steckt in den Fonds oder anders gefragt, gibt es Schwerpunkte hinsichtlich der drei Kriterien? Wo- her stammt die Expertise für die Umsetzung?

Sauer: Alle drei Aspekte sind von großer Wichtigkeit. Das „E“ ist, wie schon beschrieben, bisher nur am besten definiert, weil am besten beschreibbar und messbar. Soziales und Unternehmensführung ist viel diffuser. Noch mal: Wir als Europäer und gerade wir Deutschen haben einen geschichtlich bedingten Standortvorteil. Wir haben dies seit Jahren, eher Jahrhunderten gelebt.

Wie geht es mit ESG bei Nordea weiter, was ist in Planung?

Sauer: Wir stehen am Anfang einer großartigen Reise – auch wenn ESG in unserer DNA liegt. Es gibt noch so viel zu entdecken und zu tun. Wollen Sie mit auf unsere Reise? Wollen Sie mit gestalten?

Letzte Frage: Die Corona-Pandemie hält die Finanzmärkte weiterhin auf Trab. Wie wird sich die Pandemie langfristig auf ESG-Investitionen auswirken?

Sauer: Gerade die letzte Frage würde ich gerne konkret beantworten, kann es aber nicht. Es ist ein offener Ausgang. Ein Teil der Rettung der Welt liegt im Verzicht. Teilweise ist dieser schmerzhaft, teilweise gehen neue Türen auf. Wir entdecken unser Land neu, reisen anders, stellen fest, dass die Produktion von Medizin in Indien offensichtlich weder nachhaltig ist – die Flüsse dort stinken, wegen unserer billigen Medizin – noch Unabhängigkeit oder Standards sichert. Am Ende müssen Transformationen und Entwicklungen aber auch bezahlt werden. Lassen Sie uns hoffen, dass der Schaden in der Realwirtschaft nicht zu groß wird.

Ich habe genügend Freunde und Bekannte die unmittelbar von der Pandemie betroffen sind und deren Einnahmen seit März auf null oder zumindest dramatisch gefallen sind. Wir sollten uns als Menschheit zutrauen, aus Vernunft und nicht aus Leid die Welt von morgen aktiv zu gestalten.

Interview: Frank O. Milewski, Cash.

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