Der jüngste Anstieg der Energiepreise wird zwangsläufig auch zu einem weiteren Anstieg der Inflation führen. Allerdings gehen Zentralbanken weltweit gelassen mit der Situation um. Sie verweisen darauf, dass die gegenwärtigen Spitzen bei den Inflationsraten nur vorübergehender Natur seien. „Für die Geldmarktpolitik ist aktuell die Überwindung des Einbruchs bei der Beschäftigung und der Konjunktur infolge der Coronapandemie ausschlaggebender als die Höhe der Inflation“, sagt Dr. Volker Schmidt, Senior Portfolio Manager bei Ethenea. „Daher sollten die hohen Energiekosten vorerst kaum einen Einfluss auf die Zinsentscheidungen der Zentralbanken haben.“
Auch für die Entwicklung der Renditen langfristiger Anleihen sei die Inflation und die Entwicklung der Zentralbankzinsen nur ein Faktor von vielen. Ein Anstieg der Langfristzinsen z.B. bei zehnjährigen US-Treasuries oder Bundesanleihen werde dank der Anleihenkaufprogramme der Zentralbanken aktuell noch begrenzt.
Länderspezifische Unterschiede im Umgang mit hohen Energiepreisen
„Generell gilt, dass Konsumenten und Unternehmen, deren Produktion stark auf den Einsatz von Energie beruht, zumindest einen temporären Schutz gegen den Anstieg der Energiepreise besitzen, da sie längerfristige Verträge eingegangen sind bzw. Sicherungsgeschäfte abgeschlossen haben“, erklärt Dr. Schmidt. „Entscheidend für sie wird die Dauer der hochpreisigen Energiekosten sein, denn irgendwann läuft auch der langlebigste Vertrag aus.“
Es gebe aber deutliche länderspezifische Unterschiede. „In Italien, Griechenland und Frankreich erhalten die Konsumenten bereits staatliche Unterstützungsleistungen“, führt der Experte aus. „Spanien hat den Preis der national aus Wasserkraft und Kernkraft gewonnen Energie festgeschrieben, Energiesteuern ausgesetzt und damit den Anstieg der Energiepreise durch staatliche Regulierungen beschnitten.
Besonders dramatisch ist die aktuelle Situation in Großbritannien. Der Düngerhersteller CF Industries hat infolge der Energiekrise seine Werke in Großbritannien stillgelegt.“ Da jedoch als Nebenprodukt der Herstellung von Düngemittel CO2 erzeugt würde, welches für die Konservierung von Lebensmitteln unerlässlich ist, sei die Regierung eingeschritten und habe CF zur Wideraufnahme der Produktion gebracht.
Wie können Anleger profitieren?
„Derzeit ist es schwer den Überblick zu behalten, welche Unternehmen von den Entwicklungen profitieren und welche besonders zu kämpfen haben“, sagt Dr. Schmidt. Insbesondere für Energieversorger sei die Situation verzwickt. „Einerseits wollen die Versorger ihren Kunden möglichst niedrige Preise im Wettbewerb anbieten, was bei niedrigen Preisen für kurzfristige Verträge zwischen Versorger und Erzeuger von Strom spricht“, erklärt der Fondsmanager.
„Andererseits sind langfristige Verträge mit den Erzeugern für eine verlässliche Kalkulation der Versorger wichtig. Wenn sich ein Versorger aber zu lange auf zu hohem Preisniveau abgesichert hat, wird dieser im Fall eines Preisrutsches von der Konkurrenz, die sich kurzfristig abgesichert hat, überholt.“
Am Beispiel des britischen Energieversorgers Green werde deutlich, wieso es beim Investieren auf die gründliche Analyse der einzelnen Unternehmen ankomme. „Green hat aufgrund der geltenden Regularien kapituliert, die vorgeben, dass Kundenverträge nicht an aktuelle Marktsituationen angepasst werden können. Die Kosten für den Gaseinkauf liegen deutlich über dem Preis, den die Firma von seinen Endkunden verlangen darf.“
Auch wenn Green weder mit Aktien noch mit Anleihen am Kapitalmarkt vertreten ist, so zeigt dieses doch eindringlich, dass eine fundamentale Einzelfallanalyse sowie das Verständnis der wichtigsten Preismechanismen gerade bei kleineren Unternehmen besonders wichtig sind. Mindestens 6 weitere Energieversorger im Vereinigten Königreich haben alleine im September aufgegeben, da die Anbieter nicht auch die Erzeuger der Energie sind.
Konsequenzen für das Portfolio
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Anleihen, die von Unternehmen aus der Energiebranche begeben werden, derzeit selten ein attraktives Investment darstellen“, sagt Dr. Schmidt. „Die Besitzer von Strom- oder Gasnetzen beispielsweise zahlen aktuell keine attraktiven Risikoprämien. Investoren halten sie zurecht für risikoarm, da ihr Geschäftsmodell kaum von Änderungen der Energiepreise abhängig ist und sie außerdem meistens noch teilweise im Staatsbesitz sind.“
Das wesentliche Risiko sei der potenzielle Ausfall eines oder mehrerer Kunden. „Klarer Gewinner der aktuellen Energiekrise sind die Gas- und Ölexplorationsunternehmen sowie die reinen Stromerzeuger, inklusive die aus Nachhaltigkeitsgründen zurecht gescholtenen Erzeuger von Kohlestrom, wenn sie über eigene Kohlevorkommen verfügen. In Deutschland gilt dieses nur für die Produzenten von Braunkohlestrom, Steinkohle wird schon länger nicht mehr abgebaut, sondern importiert. Aktuell liegt die Priorität der Verbraucher und energiekonsumierenden Unternehmen sicherlich bei der Versorgungssicherheit und weniger bei der Nachhaltigkeit.“
Das zeige sich auch daran, dass Kohlestrom in Deutschland die erneuerbaren Energien als wichtigsten Träger im ersten Halbjahr 2021 wieder abgelöst habe.