„Die Ernennung von Gouverneur Naci Agbal im vergangenen November wurde von den Anlegern positiv aufgenommen, denn die Finanzpolitik unter seinem Vorgänger hatte sich als nicht nachhaltig erwiesen. Dessen Politik hatte zu einer hohen Inflation und einem erheblichen Abbau der Devisenreserven geführt, so dass die türkische Lira unter den Schwellenländerwährungen eine der schlechtesten Wertentwicklungen 2020 erzielte.
Während seiner viermonatigen Amtszeit an der Spitze der Zentralbank gelang es Gouverneur Agbal teilweise, das Vertrauen der Investoren wiederherzustellen: Die Preise türkischer Anlagen zogen wieder an, und der Trend zur Dollarisierung – also zur Nutzung des US-Dollars anstelle der heimischen Währung – verlangsamte sich. Ausländische Anleger begannen zaghaft, wieder an den türkischen Märkten zu investieren. Agbals Entlassung zugunsten eines Kandidaten mit politischem Hintergrund und etwas unorthodoxen wirtschaftlichen Ansichten stellt folglich einen bedeutenden Rückschlag dar, der eine Rückkehr zum vorherigen, eigenwilligen Politikmix wahrscheinlich macht.
Die fundamentalen wirtschaftlichen Herausforderungen der Türkei sind nicht verschwunden, auch wenn der Tiefpunkt der Corona-Krise vermutlich hinter uns liegt. Die hohe Inflation, der beträchtliche externe Finanzierungsbedarf bei niedrigen Devisenreserven, der gestiegene Anteil der auf Devisen lautenden Staatsverschuldung und das Ausbleiben struktureller Reformen haben die türkischen Märkte zum Spielball der Stimmung globaler Investoren gemacht.
Die stark negative Marktreaktion unterstreicht die Bedenken der Investoren: Wenn es dem neuen Gouverneur nicht gelingt, die Kontinuität der Zentralbankpolitik zu wahren – was im Moment unwahrscheinlich ist – könnte eine weitere Schwäche folgen. In jedem Fall dürfte die abrupte Entlassung von Gouverneur Agbal das Vertrauen der Anleger in den türkischen Finanzmarkt nachhaltig beschädigen. Das Risiko, dass die Krise auf andere Schwellenländer übergreift, ist zwar relativ gering. Doch dieser Vorfall erinnert Anleger daran, wie fragil die Politik in vielen Schwellenländern ist – und das in einer Zeit, in der andere Herausforderungen wie die schleppende Verteilung von Impfstoffen und steigende US-Renditen zu bewältigen sind.“