Der letzte Wille: Nur wenige Menschen hinterlassen tatsächlich ein niedergeschriebenes Testament. Sollte keines vorliegen, greift im Falle einer Erbschaft die gesetzliche Erbfolge. Zu beachten ist, dass Ehepartnern und Kindern – oder falls diese bereits verstorben sind, auch Enkeln – ein Pflichtteilsanspruch zusteht. Wenn nach gesetzlicher Erbfolge oder testamentarischer Verfügung mehrere Personen als Erben benannt wurden, entsteht eine Erbengemeinschaft. Diese hat die Aufgabe den Nachlass des Verstorbenen bis zur Auflösung der Gemeinschaft zu verwalten.
Gemäß Paragraph 2314 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) steht Pflichtteilsberechtigten ein Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses gegen die weiteren Erben zu. Eine Wertermittlung kann im Rahmen der Auskunft über den Bestand der Nachlassgegenstände auch dann stattfinden, wenn dieser Nachlass von den Erben nach dem Erbfall bereits veräußert wurde. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) für Immobilien in seinem Urteil vom 29. September 2021 (Az: IV ZR 328/20) entschieden.
Je nach Rang in der gesetzlichen Erbfolge entscheidet sich die Erbquote eines jeden Miterbens automatisch. In einem Testament hingegen kann die Erbquote jedes einzelnen Erben frei nach dem Willen des Erblassers festgelegt werden. Stets gilt das Testament vorrangig vor der gesetzlichen Erbfolge. Die Erbquote bestimmt den Umfang des jeweiligen Erbteils. „Während sich geldwertes Vermögen innerhalb einer Erbengemeinschaft meist einfach unter den einzelnen Miterben aufteilen lässt, verhält es sich bei Nachlassgegenständen wie beispielsweise Immobilien oft komplizierter. Ein Miterbe allein kann nicht über die einzelnen Nachlassgegenstände verfügen, sondern nur über seinen jeweiligen Anteil am Nachlass“, erklärt Tim Wistokat, LL.M., Rechtsanwalt und Head of Legal Department bei von Poll Immobilien.
Und weiter: „Eigentümer einer geerbten Immobilie sind somit alle Miterben gemeinschaftlich. Sie kann von einem Erben allein weder verkauft, noch vermietet oder verschenkt werden.“ Das Erbrecht sieht einen gemeinschaftlichen Vermögensnachlass unter allen Miterben vor, daher bilden die Erben als Erbengemeinschaft zusammen eine sogenannte Gesamthandsgemeinschaft. Kindern, Ehepartnern, eingetragenen Lebenspartnern und gegebenenfalls auch Enkeln wird eine besondere Stellung innerhalb einer Erbschaft zugeschrieben. Doch wie verhält es sich mit dem Pflichtteil?
„Der Pflichtteil beträgt gemäß Paragraph 2303 Absatz 1 Satz 2 BGB die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und wird dem Berechtigten monetär ausgezahlt. Das heißt, dass der Pflichtteil nicht durch Miteigentum an einer Immobilie oder an einem Grundstück geleistet werden kann“, weiß Rechtsanwalt Wistokat. Und weiter: „Um herauszufinden, wie hoch der Pflichtteilsanspruch ist, kann der Pflichtteilsberechtigte verlangen, dass der Wert der Nachlassgegenstände von einem zuständigen Sachverständigen ermittelt wird. Anschließend müssen die Erben das Geld aufbringen, um den Pflichtteilsberechtigten auszuzahlen.“
Nach dem aktuellen Urteil des BGH vom 29. September 2021, Aktenzeichen IV ZR 328/20 hat der Pflichtteilsberechtigte auch dann einen Anspruch auf eine Wertermittlung gemäß Paragraph 2314 Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB, wenn der Nachlassgegenstand vom Erben nach dem Erbfall bereits veräußert wurde. Im verhandelten Fall hatte die einzige Tochter des Erblassers den testamentarischen Erben verklagt, nachdem dieser zusammen mit den anderen Miterben ein geerbtes Grundstück veräußert hatte. Für das Grundstück lagen teils stark voneinander abweichende Wertermittlungen zwischen 58.000 Euro und 245.000 Euro vor. Verkauft wurde das Grundstück schließlich für 65.000 Euro. Insgesamt erhielt die Tochter des Erblassers einen Pflichtteil in Höhe von 33.364,63 Euro. Unabhängig vom Verkauf des Grundstücks wollte die Tochter den Verkehrswert zum Zeitpunkt des Erbfalles ermitteln lassen. Dies wurde von den Erben abgelehnt.
Das Landgericht hatte den Beklagten zunächst verurteilt, den Wert des Grundstücks durch Vorlage eines Wertgutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ermitteln zu lassen und sodann den zu bestimmenden Betrag einschließlich Zinsen an die Klägerin zu zahlen. Das Oberlandesgericht änderte das erstinstanzliche Urteil ab. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Tochter des Erblassers weiterhin ihr Vorhaben. „Der BGH widersprach dem Urteil des Berufungsgerichts, indem er bestätigte, dass der Klägerin ein Anspruch auf Wertermittlung gemäß Paragraph 2314 Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB zusteht. Die bereits vorliegenden Sachverständigenguthaben variieren deutlich in der Höhe des Nachlasswertes voneinander. Somit wird ein schutzwürdiges Interesse der Pflichtteilsberechtigten an einer Wertermittlung begründet“, erläutert Tim Wistokat von von Poll Immobilien.
Die Tatsache, dass das Grundstück nach dem Erbfall bereits veräußert wurde, ändert an dem Anspruch nichts. Der Pflichtteilsberechtigte muss die Möglichkeit haben, nachzuweisen, dass der Verkaufserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert entspricht. Der BGH führt weiter aus, dass das Gutachten von einem unparteiischen Sachverständigen ermittelt werden muss – unabhängig davon, ob dieser öffentlich bestellt und vereidigt ist oder nicht. Der Fall wurde unter Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils zur weiteren Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.
Fazit
„Pflichtteilsberechtigte können von den weiteren Erben eine Auskunft über den Bestand des Nachlasses verlangen. Dabei muss eine Wertermittlung der Nachlassgegenstände stattfinden – dieser Anspruch entsteht auch dann, wenn diese von den Erben nach dem Erbfall bereits veräußert wurden. Es liegt ein schutzwürdiges Interesse an einer derartigen Wertermittlung vor, wenn die von den Erben vorgelegten Unterlagen und Auskünfte nicht ausreichen, um den tatsächlichen Wert des Nachlassgegenstandes zum Zeitpunkt des Erbfalles zu bestimmen“, resümiert Tim Wistokat von von Poll Immobilien.