Der Schätzerkreis der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat heute den rechnerisch durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz für das Jahr 2021 in Höhe von 1,3 Prozent ermittelt. Dabei ist es nicht zu einer einvernehmlichen Schätzung der Ausgabenentwicklung der Jahre 2020 und 2021 gekommen.
Die Experten des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) und des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) werden dem BMG eine Erhöhung des GKV-durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes um 0,2 Prozentpunkte auf 1,3 Prozent im Jahr 2021 empfehlen. Die Experten des GKV-Spitzenverbandes schätzen die Ausgabenentwicklung dagegen dynamischer ein und gehen von einem durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz in Höhe von 1,4 Prozent aus.
Schätzung: GKV-Ausgaben übersteigen die Einnahmen
Für das kommende Jahr prognostizieren die Experten des BMG und des BAS ohne Einbeziehung des Maßnahmenpakets zur Sozialgarantie GKV-Einnahmen in Höhe von 242 Milliarden Euro und Ausgaben in Höhe von 275 Milliarden Euro. Jenseits des geltenden Zusatzbeitragssatzes in Höhe von 1,1 Prozent ergibt sich daraus ein Fehlbetrag in Höhe von zirka 16 Milliarden Euro. Dieser soll laut Maßnahmenpaket der Bundesregierung über die Anhebung des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes um 0,2 Prozentpunkte auf dann 1,3 Prozent, die einmalige Steigerung des Bundeszuschusses um fünf Milliarden Euro für Corona-bedingte Mehrausgaben und Mindereinnahmen sowie den Zugriff auf kassenindividuelle Rücklagen in Höhe von rund acht Milliarden Euro ausgeglichen werden.
Zugesagter Steuerzuschuss reicht nur für ein Drittel des Fehlbetrags
„Das Schätzerkreisergebnis bestätigt die drohende Misere: Das Versprechen der Sozialgarantie wird nicht eingehalten. Die Bundesregierung hatte zugesagt, die Sozialversicherungsbeiträge zu stabilisieren und die Finanzierungsverantwortung für die 2021 entstehende Lücke in der GKV über einen erhöhten Bundeszuschuss vollständig zu übernehmen. Der zugesagte Steuerzuschuss von fünf Milliarden Euro reicht aber gerade mal für knapp ein Drittel des Fehlbetrags.
Die anderen zwei Drittel, elf Milliarden Euro, sollen doch die Beitragszahler aufbringen, indem der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz angehoben und die Kassenrücklagen in einer Größenordnung von rund acht Milliarden Euro angezapft werden. Davon trägt die AOK-Gemeinschaft den Löwenanteil, was eine massive Wettbewerbsverzerrung darstellt. Damit sollen im Wahljahr Beitragssatzanhebungen verhindert werden. Das dürfte mit den geplanten Maßnahmen aber kaum gelingen.
Aufgrund von Vorgaben aus dem sogenannten Versicherungsentlastungs-Gesetz VEG, das einen dreijährigen Rücklagenabbau bis 2022 vorsieht, hatten viele Kassen für die kommenden Jahre Haushalte mit negativen Finanzergebnissen geplant. Dieser Rücklagenabbau wird nun ins laufende Haushaltsjahr 2020 vorgezogen, was insbesondere diese Kassen vorrausichtlich zu einer Anhebung der Zusatzbeiträge schon Anfang 2021 zwingen wird. Für weitere Kassen ist allein die Anhebung des rechnerischen Zusatzbeitrages eine erhebliche Herausforderung.
Dabei kann die im Versorgungsverbesserungsgesetz GPVG vorgesehene Verschärfung des ohnehin unsinnigen Verbotes zur Anhebung von Zusatzbeiträgen zu unkontrollierten Haftungsfällen führen. Sie sollte deshalb entfallen. Auch eine Streckung des Rücklagenabbaus hilft nicht, da die Rücklagen für die Kassen nicht mehr zur Stützung des Beitrages verfügbar sind.
Eine zweite Welle von Anhebungen droht dann im Jahr 2022, denn der für 2021 gemeinsam zwischen dem BMG und den Kassen ermittelte Fehlbetrag von über 16 Milliarden Euro ist nur mit rund 3,4 Milliarden Euro direkt durch die Pandemie bedingt. Der Großteil wird durch kostspielige Gesetze verursacht, die dauerhafte Finanzwirkung haben. Dies wird im Jahr 2022 zu einem immensen strukturellen Ausgabenüberhang führen. Da die Rücklagen der Kassen weitgehend im Wahljahr aufgebraucht werden, drohen 2022 drastische Erhöhungen der Beiträge und unpopuläre Spargesetze“, sagt Jens Martin Hoyer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes.