Erzwungene Freiwilligkeit: Krisenzeit ist Lernzeit!

Foto: Michael Wiegmann Fotografie/Köln
Dr. Anke Nienkerke-Springer

Viele Unternehmen belegen in der Krise, was der Naturforscher Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie gezeigt hat: Es überleben vor allem die Firmen, die zur Anpassung und zum Lernen fähig sind. Manche wachsen dabei sogar. Voraussetzung ist, sich auf geänderte Rahmenbedingungen flexibel einzulassen.

Wenn es ein Erfolgsrezept in der Krise gibt, dann ist es der Hinweis, ständig die sich ändernden Rahmenbedingungen zu überprüfen und die Ergebnisse zu nutzen, um sich den neuen Umständen anzupassen. Aus der Krise lernen – vom Leben lernen – vom Lernen leben: Wer Lernfähigkeit als Methode etabliert, kann die Wachstums-Chancen nutzen, die sich in der Krise bieten.

Ein Beispiel ist das virtuelle Lernen, und damit die Entwicklung hin zum Homeoffice: Einige Unternehmen haben die Vorteile des Homeoffice entdeckt und analysieren nun, ob sich die neue Arbeitsform auch für die Nachkrisenzeit nutzen lässt. Warum nicht eine Balance herstellen zwischen der Arbeit im Büro und der Arbeit im Homeoffice?

Erzwungene Freiwilligkeit zur Anpassung

Bis die Führungskräfte diese Denkweise aufbauen konnten, mussten sie jedoch einen langen Weg zurücklegen. Ich erinnere mich an hitzige Diskussionen in meinen Coachings: Dort hieß es zunächst: „Homeoffice – das geht gar nicht! Ich muss meine Mitarbeiter jeden Tag sehen und direkt mit ihnen sprechen, auch, um sie kontrollieren zu können!“ Es ist schwierig, diese tief verwurzelten Glaubenssätze aufzubrechen.

Dann kam die Krise, die uns immer noch vor Augen führt, dass vieles fragil und unberechenbar ist und wir mit Unsicherheit leben müssen. Die Umstände und Rahmenbedingungen erzwangen ein Umdenken und angepasstes Handeln in einer neuen Situation, in der sich die Vorteile und der Nutzen von Homeoffice zeigte.

Auffallend war: Zu jenem Umdenken waren insbesondere die Unternehmen, Mitarbeiter und Führungskräfte in der Lage, die sich schon vorher mit Digitalisierung und flexiblem Arbeiten auseinandergesetzt hatten. Der Grund: Sie konnten sich auf die neuen Bedingungen schneller einlassen.

Es liegt nahe, den zunächst erzwungenen Lernprozess auch zukünftig zu nutzen: sich auf das Neue einlassen, in die Reflexion gehen, etablierte Glaubenssätze austauschen und ein neues Mindset aufbauen. Zukunftsorientierte Führungskräfte prüfen darum, ob sich Maßnahmen, die sich in der Krise etabliert haben, fortführen lassen.

Ich spreche von einer „erzwungenen Freiwilligkeit zur Anpassung“: Haben Sie den Mut, Althergebrachtes infrage zu stellen, neue Wege einzuschlagen, sich aus der bequemen Komfortzone herauszubewegen und sich auf neue Perspektiven und Lösungen einzulassen, indem Sie Anpassungsmaßnahmen vornehmen.

Anpassungsmaßnahmen umsetzen

Lassen Sie sich auf die Situation ein und gehen Sie gemeinsam mit den Mitarbeitern regelmäßig in die Reflexion: Was lehrt Sie die Krise, was lernen Sie daraus, welche der ad hoc und unter Zwang ergriffenen Maßnahmen sind in Zukunft tragfähig? Wann, wenn nicht jetzt, ist die Gelegenheit, grundsätzliche Anpassungen vorzunehmen und eine Lernkultur zu etablieren, die Ihr Unternehmen fit macht für die nächste Krisenbewältigung? Allerdings ohne das Bewährte über Bord zu werfen, sondern es den neuen Umständen anzupassen und die Chancen darin zu sehen.

Mein Vorschlag: Diskutieren und definieren Sie die Lebensaufgabe Ihres Unternehmens, am besten aus Kundensicht: Warum sollte es Sie (Ihr Unternehmen) auch in Zukunft geben? Welchen konkreten Nutzen stiften Sie, für Ihre Kunden, die Stakeholder, die Gesellschaft? Warum können diese froh sein, dass es Sie gibt?

Leiten Sie daraus Ihre Kernbotschaft ab und prüfen Sie, welche Kompetenzen Ihre Mitarbeiter und Sie auf- und ausbauen müssen, um der Kernbotschaft gerecht zu werden. Damit sind wir bei den so wichtigen Weiterentwicklungen und Lernprozessen. Grundsätzlich ist es notwendig, eine Haltung des Gelingens aufzubauen und sich die selbstbewusste Überzeugung zu erarbeiten, dass Ihre Mitarbeiter und Sie fähig, willens und motiviert sind, selbst die schwierigsten Situationen und Krisen zu meistern.

Hybride Lernprozesse

Zu erfolgreichen Lernprozessen gehören Aktivitäten und Maßnahmen, die zur Weiterentwicklung beitragen: Die Krise hat gezeigt, dass Blended-Learning-Konzepte mit hohem E-Learning- und Onlineanteil ein Modell für die Zukunft sind. Vorausschauende Firmen haben bereits vor Corona den Methoden-Mix gelebt und Präsenzveranstalten wie Seminare sinnvoll mit Onlineschulungen kombiniert. Meine Beobachtung ist: Nach wie vor müssen sich viele Unternehmen intelligente didaktisch-pädagogische Konzepte, die die Kombination der traditionellen und der modernen virtuellen Lernmethoden ermöglichen, erst noch erarbeiten.

Darum: Begreifen Sie spätestens jetzt die Einführung von Blended Learning als Projektaufgabe. Das beginnt bei der Aufbereitung der Lerninhalte sowie der Kombination der Lernmethoden und hört bei der Überzeugungsarbeit bezüglich derjenigen Mitarbeiter, die Berührungsängste mit den Onlinetrainingsmethoden haben, noch lange nicht auf.

Allerdings: Virtuelle Begegnungen schaffen zwar eine neue Qualität des Lernens, ersetzen aber keine persönliche Begegnung. Corona hat auch gezeigt, dass wir den persönlichen Kontakt und die Gemeinschaft mehr denn je brauchen, um lebendige und vertrauensvolle Beziehungen zu gestalten.

Neues Mindset aufbauen

Neben der Etablierung hybrider Lernprozesse gehört der Aufbau eines agilen Mindsets zu den wichtigsten Anpassungsmaßnahmen, um zu einer flexiblen Lernkultur zu gelangen. Mit Mindset ist das Zusammenspiel aller Glaubenssätze, Überzeugungen, Denkweisen, Werte und Prinzipien gemeint, die auf das Denken, Fühlen und Handeln von Menschen einwirken.

Unsere digitale Zeit benötigt ein Mindset, das die Fähigkeit zur Anpassung und zur Veränderung als Normal- und Dauerzustand definiert. Dazu sind Menschen in der Lage, die bereit sind, ständig neue Erfahrungen nicht nur zu machen und zuzulassen, sondern sich emotional mit ihnen auseinanderzusetzen und das Ergebnis dieser Auseinandersetzung in ihr Bewusstsein zu integrieren und sie zur Grundlage für neue Verhaltensweisen zu erheben.

Um es wiederum konkret zu machen: Eine Führungskraft erkennt die Vorteile des Homeoffice, kann sich von der Prägung lösen, dass Mitarbeiter nur im Büro gute Leistungen erbringen können, weil man sie dort kontrollieren kann, und prüft nun, ob die Homeoffice-Lösung über die Krise hinaus tragfähig ist.

Wer sich hingegen sträubt, aus neuen Erfahrungen zu lernen, entwickelt sich nicht weiter. Führungskräfte, die trotz positiver Erfahrungen mit flexiblen Arbeitsformen zur traditionellen Arbeitsweise mit Anwesenheitspflicht rund um die Arbeitsuhr zurückkehren, können kein Mindset aufbauen, mit dem sich Zukunft gestalten lässt.

Wann lassen Sie sich auf die neuen Rahmenbedingungen ein und verwirklichen das evolutionäre Denken in Ihrem Unternehmen und in Ihrem Verantwortungsbereich?

Autorin Dr. Anke Nienkerke-Springer ist Expertin für Top- Managementcoaching. Sie berät und begleitet ambitionierte Unternehmen in Veränderungs- und Wachstumsprozessen. Ihre Bücher „Personal Branding durch Fokussierung“ und „Evolution statt Revolution. Unternehmerische Zukunft verantwortungsvoll gestalten“ sind bei GABAL erschienen. Kontakt: [email protected], www.nienkerke-springer.de

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