Interview mit Zurich CEO Carsten Schildknecht: „Es braucht umso mehr Anstrengungen, je gefährdeter das Ziel ist“

Foto: Jörg Droste/Cash.
Carsten Schildknecht: "Wir müssen uns auf die Reduzierung von CO₂-Emissionen konzentrieren.

Boris Herrmann hat mit seiner neuen Segeljacht die Route de Rhum geschafft. Nach 3542 Seemeilen segelte die „Malizia-Sea Explorer“ in Guadeloupe jetzt über die Ziellinie. Die Zurich ist Sponsor und Partner des Ausnahmeseglers. Cash. sprach mit Dr. Carsten Schildknecht, Vorstandschef der Zurich Gruppe Deutschland, über die Partnerschaft und das Image, den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft und den Kampf gegen den Klimawandel.

Boris Herrmann und das Malizia-Team haben ihr neues Schiff, die „Malizia-Sea Explorer“ in Hamburg taufen lassen. Die Zurich ist einer der Sponsor-Partner und Sie waren bei der Schiffstaufe dabei. Was bedeutet das für die Zurich?
Schildknecht: Für uns war das ein wichtiger Meilenstein. Wir hoffen, dass Boris Herrmann damit solche Rennen wie das Ocean Race oder die Vendee Globe gewinnt. Denn je erfolgreicher er mit seinem Segelsport ist, desto erfolgreicher ist auch unser gemeinsames Ansinnen, auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Und wir wollen möglichst viele Initiativen lancieren, um dem Klimawandel zu begegnen.

Wir hatten uns im September vergangenen Jahres auf der Kieler Woche getroffen und über die Partnerschaft der Zurich Gruppe Deutschland mit Boris Herrmann gesprochen. Wenn Sie zurückblicken: Zahlt sich das Engagement auf Image und Marke aus?
Schildknecht: Eindeutig ja. Aber das ist nicht das Wichtigste: Die Partnerschaft mit Boris Herrmann ist ein Nucleus für weitere Aktivitäten in unserer Ambition, eines der verantwortungsbewusstesten und wirkungsvollsten Unternehmen weltweit zu werden. Wir wollen für das Thema Klimawandel sensibilisieren. Auch im aktuellen schwierigen geopolitischen und energiewirtschaftlichen Umfeld darf das nicht nach hinten priorisiert werden. Um Aufmerksamkeit für nachhaltige Innovationen und Initiativen zu erzeugen, die sich um Klimaschutz, Biodiversität oder Ozean- und Gewässerschutz kümmern haben wir 2021 den Planet Hero Award entwickelt, wo Boris auch Teil der Jury ist.

Sie sagten im vergangenen Jahr: „Wir wollen das Rennen gegen den Klimawandel gewinnen“. Das Jahr 2022 war eines der trockensten, heißtesten und das Sonnenreichste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Ist das Rennen noch zu gewinnen?
Schildknecht: Haben wir eine Alternative, es zu versuchen? Jedes zehntel Grad Erderwärmung, das wir vermeiden, hilft uns, Schäden von der Erde fernzuhalten. Ob wir das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen können? Vermutlich eher nicht. Aber es geht nicht darum, punktgenau das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Sondern darum zu vermeiden, dass wir bei drei oder vier Grad liegen. Denn dann haben wir eine Erde, die in weiten Teilen nicht mehr bewohnbar ist. Es braucht umso mehr Anstrengung, je gefährdeter das Ziel ist, die 1,5 Grad zu erreichen.

Sollte nicht alles unternommen werden, um die Klimaneutralität vor 2050 zu erreichen?
Schildknecht: Das IPCC sagt, dass wir bis 2050 klimaneutral sein müssen, um damit die Erwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken. Und das bedeutet, dass bis 2030 50 Prozent der CO2-Emissionen reduziert sein müssen, gegenüber 1990. Die Europäische Kommission hat das Ziel bereits nachgeschärft. In dem Prozess haben wir als Versicherer mehrere Rollen: Wir produzieren Policen, wir haben Gebäude und Menschen, die dort arbeiten. Wir sind Versicherer, Risikoberater und wir haben eine sehr einflussreiche Rolle als Investor. Denn mit den milliardenschweren Kapitalanlagevolumina hat die Assekuranz einen bedeutenden Hebel beim Thema nachhaltige Investments. Zudem sind wir auch Teil der Gesellschaft. In diesen vier Rollen haben wir uns konkrete Ziele gesetzt. 2019 hatten wir einen CO2-Abdruck von 15.000 Tonnen CO2. Den wollen wir bis 2030 um 70 Prozent reduzieren.

Wie bewerten Sie, dass der fossile Brennstoff Gas als nachhaltig eingestuft wird?
Schildknecht: Wir halten es für bedenklich unter ESG-Kriterien einen fossilen Brennstoff zuzulassen. Aber man muss dieses komplexe Thema auch angemessen differenziert betrachten. Was die Investitionen in Energieunternehmen betrifft, haben wir harte Ausschlüsse. Unternehmen, die mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes mit fossilen Brennstoffen, Kohle, Gas, Öl, machen, werden ausgeschlossen. Gleichzeitig plädieren wir aber auch für Technologieoffenheit. Wenn also ein Verbrennungsmotor CO2 neutral betrieben werden kann, etwa durch E-Fuels, sollte man diesem Thema ideologiefrei begegnen. Kein Politiker kann den technologischen Fortschritt der nächsten zehn Jahre voraussagen. Hier sollte man auf das Potenzial von Wissenschaft und Forschung vertrauen – und weniger mit Verboten und Ausschlüssen agieren. Das entspricht auch unserer Strategie, unsere Kunden auf dem Weg zur Klimaneutralität zu begleiten statt sie auszuschließen. Gerade dies gilt auch für Unternehmen, die durch die Industrie, in der sie agieren – und das muss nicht immer mit dem Unternehmen selbst zu tun haben – extrem hohe CO2-Fußabdrücke haben, aber einen sehr glaubhaften und sehr überzeugenden Pfad beschreiten wollen, diesen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Wenn wir solche Unternehmen unterstützen, tun wir sehr viel mehr, um die CO2-Emissionen zu reduzieren.

Und wie unterstützen Sie hier ihre Partner beim nachhaltigen Umbau?
Schildknecht: Zurzeit bauen wir unsere Renewable Energy Practise aus. In dem Zusammenhang bieten wir Versicherungslösungen, um die Energiegewinnungsanlagen für erneuerbare Energien abzusichern. Zudem helfen wir Kunden, die aus dem Klimawandel resultierenden Klimarisiken zu identifizieren und reduzieren. Wir haben die Zurich Climate Change Resilience Solution, mit rund 900 Risikoingenieuren weltweit, die sich Standorte und Lieferketten anschauen und für Firmen ein Risikoprofil erstellen, welchen Naturkatastrophen sie ausgesetzt sein könnten. Und erstellen Empfehlungen, die Risiken zu minimieren.

Wie entwickelt sich die Nachfrage?
Schildknecht: Die ist sehr groß. Wir können das, was wir für die Großunternehmen anbieten, leider nicht beliebig nach unten skalieren. Aber weil das Interesse so hoch ist, arbeiten wir an Lösungen, für Mittelständler. Wir haben diesen Ansatz kürzlich mit Gewerbemaklern besprochen, die Kunden im Mittelstand betreuen. Und dort war das Interesse sehr hoch. Ziel ist, dass die Makler mit ihren Kunden die Fragen gemeinsam ausfüllen und daraus einen Bericht erstellen, der zeigt, wie und in welcher Form die Firmen dem Klimawandel ausgesetzt sind. Und was sie unternehmen müssen, um die Risiken zu minimieren. Und wenn entsprechend den Ergebnissen der Analyse die Risikoreduzierung angegangen würde, hätte das natürlich Auswirkungen auf die Prämie.

Bei einer Umfrage, ob der Bewusstseinswandel in Sachen Nachhaltigkeit auch beim Thema Geldanlage angekommen ist, sagten 37,5 Prozent der Befragten, dass sie das Thema Nachhaltigkeit in der Geldanlage für eine Modeerscheinung hielten.
Schildknecht: Wenn wir auf die großen Krisen und Risiken schauen, die die Welt aktuell in Atem halten – Rezession, Inflation, Krieg, die geopolitische Lagerbildung: So besorgniserregend das ist – das alles haben wir schon kommen und gehen sehen. Was nicht verschwinden wird, ist der Klimawandel. Deswegen dürfen nachhaltiges Verhalten und nachhaltige Produkte keine Modeerscheinung sein – es muss um die Reduzierung von CO2 Emissionen gehen. Allerdings bin ich der festen Überzeugung, dass jegliche Reaktionen auf den Klimawandel – die über Verzicht kommen und die Errungenschaften der letzten 100 Jahren in Frage stellen – die falsche Antwort sind. Wieso sollte man aufs Fliegen oder individuelle Mobilität verzichten, wenn das klimaneutral möglich ist? Wir müssen nach vorne denken. Nicht zurück.

Am 2. August ist die ESG-Abfragepflicht für Finanzprodukte in Kraft getreten? Die Regulierungsstandards liegen immer noch nicht vor, sollen aber am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Wie lösen Sie dieses Dilemma der Klassifizierung und Bewertung?
Schildknecht: Wir haben natürlich versucht zu antizipieren, was im Januar 2023 kommen wird. Und wir gehen davon aus, dass wir sehr nah an dem liegen, was wir erwarten. Wir haben bereits vor dem 2. August das Thema Nachhaltigkeit oder nachhaltige Investitionen mit abgefragt, wenn wir über Altersvorsorge und die Fondsauswahl mit dem Kunden gesprochen haben. Ich gehe davon aus, dass viele Vermittlerinnen und Vermittler das ohnehin längst mit abfragen. Es ist ein relevantes Thema, das dadurch nicht relevanter wird, dass man es zur Pflicht macht. Wir hatten bereits im vergangenen Jahr rund 40 Prozent ESG-Produkte im Neugeschäft. Und dieses Jahr ist die Nachfrage auf rund 50 Prozent in der Altersvorsorge gestiegen. Es war schon lange vorher ein Thema, bevor es jetzt zur Pflicht wurde.

Nicht nur die Kunden, sondern auch die Vermittler haben derzeit noch große Probleme nachzuvollziehen, was nachhaltig ist, und was nicht. Was tun Sie hier?
Schildknecht: Da sind wir als Versicherer in der Pflicht und helfen. Wir sind ja der Produktgeber. Wir orientieren uns immer an der verbindlichen Taxonomie. Wir prüfen aber auch selber, ob Fonds die nach Artikel 8 oder 9 gelabelt sind, diesen Kriterien auch wirklich entsprechen. Letztlich müssen sich die Vermittler aber auf uns als Produktgeber verlassen können. Wenn wir das ESG-Label setzen, ist es auch ESG.

Das Interview führte Jörg Droste, Cash.

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