Ist die Versicherungsbranche die letzte analoge Festung, die durch die Digitalisierung geschliffen wird? Die These des Insurtechs und digitalen Versicherungsmanagers Clark dürfte auf Widerspruch stoßen. Doch wo stehen die Branche in Sachen Digitalisierung und ist die Coronapandemie der Brandbeschleuniger? Cash. sprach mit Dr. Marco Adelt, Mitbegründer und Geschäftsführer von Clark über die technologische Zeitenwende und die Auswirkungen auf den Versicherungsvertrieb.
Clark hatte kürzlich mit der Aussage Aufmerksamkeit erregt, die Versicherungsbranchewäre eine der letzten analogen Festungen. Woran machen Sie das fest?
Adelt: Alle über einen Kamm zu scheren, macht wenig Sinn. Allein das Gesetz der Normalverteilung zeigt, dass es einige Vorreiter gibt, einen breiten Mittelbau und einige, die hinterherhinken. Es gibt gute Beispiele von Versicherern, die bereits einen bemerkenswerten Weg gegangen sind.
Die Deutsche Familienversicherung aus Frankfurt ist in meinen Augen so eines. Ich bin seit über 20 Jahren in der Versicherungsbranche und wenn ich einen Vergleich mit der Medienlandschaft oder dem Einzelhandel ziehe, die ja bereits seit rund 20 Jahren im digitalen Umbruch stehen, ist die Versicherungsbranche als Ganzes hier noch ganz am Anfang. Es ist eine riesige Welle, die unsere Branche da erfasst.
Würden Sie bei der Digitalisierung von einer Zwei- oder Dreiteilung der Branche sprechen?
Adelt: Der Begriff Digitalisierung ist so typisch deutsch wie Tatort oder Apfelsaftschorle. Die Semantik dieses allumfassenden Begriffs lässt uns glauben, dass die Beschäftigung mit App und digitalen Hilfsmitteln ausreicht, um die Brisanz der Umbrüche zu verstehen.
Im Angelsächsischen wird von “Tech” oder “Technology” gesprochen und fundamentaler mit den damit verbundenen Herausforderungen umgegangen. Das halte ich für passender. In Bezug auf unsere Branche würde ich bei dieser Frage von einer Dreiteilung sprechen.
Einmal die Verweigerer, die glauben, dass die Veränderungen, die unter dem Deckmantel der Digitalisierung stattfinden, kaum Folgen für ihr Geschäftsmodell haben. Dann den Mittelbau.
Dort agieren Entscheidungsträger, die gesehen haben, dass die technologische Zeitenwende eingeläutet wird und etwas gemacht werden muss. Und dann gibt es die dritte Gruppe – die Speerspitze. Sie haben die Zeitenwende erkannt, investieren mutig und setzen technologische Lösungen gegen alle Widerstände um.
Die Speerspitze – sind das die großen finanzstarken Versicherer, die auch die finanziellen Fähigkeiten besitzen, das zu orchestrieren? Oder würden Sie auch kleinerer Unternehmen dazuzählen?
Adelt: Die großen Gesellschaften haben in der Tat ganz andere finanzielle Mittel zur Verfügung und den Zugang zu globalen Kooperationspartnern. Doch es braucht nicht unbedingt die Größe, wie das bereits genannte Beispiel der Deutschen Familienversicherung zeigt. Insgesamt würde ich es weniger von der Größe, sondern eher von den Managern abhängig machen.
Sie sprachen von Verweigerern. Gibt es wirklich Versicherer, die noch glauben Business as usual betreiben zu können?
Adelt: Wenn Sie sich die Glockenkurve der Normalverteilung vorstellen, würde ich von zehn bis 20 Prozent der Branche ausgehen. Es gibt hierzulande über 600 Versicherungsunternehmen, die vertrieblich maximal dezentral aufgestellt sind. Auf 100.000 Einwohner kommen derzeit rund 300 lokale Versicherungsvermittler. In dieser Dezentralität Digitalkompetenz skalierbar aufzubauen ist schwierig. Da der Wandel nicht im Eiltempo stattfindet, kann man sich eine Verweigerungshaltung kurzfristig leisten. Kommt die digitale Welle allerdings wie in anderen Branchen ins Rollen, hat das massive Auswirkungen.
Wie weit hinken die Versicherer im digitalen Bereich hinterher.
Adelt: Manche sind extrem weit, manche haben noch gar nicht richtig begonnen. Gesellschaften wie die CosmosDirekt sind beispielsweise schon sehr weit. Sie sind aber die Speerspitze und nicht der repräsentative Querschnitt der ganzen Branche. Was ich bei den meisten Versicherern vermisse, ist die technologieorientierte Ausrichtung des gesamten Geschäftsmodells. Es ist weniger das schön aussehende Frontend. Es ist vielmehr die Denke. Baue ich mein Unternehmen konsequent mit einem digitalen Mindset um? Das sehe ich bislang selten im Markt.
Glauben Sie, dass die gesamte Branche den Turnaround schafft? Oder werden einige die Segel streichen müssen?
Adelt: Ich glaube, dass es ein richtiges Beben in der Branche geben wird. Nicht im kommenden Jahr. Aber im Horizont der nächsten fünf bis zehn Jahre. Viele Versicherer laufen Gefahr, den Kontakt zur nächsten Generation zu verlieren.
Auch weil nicht mehr, wie in Vergangenheit und Gegenwart, die Hälfte des Neugeschäfts über die Ausschließlichkeitsorganisation hereinkommen wird. Damit wird der durchschnittliche Versicherer nicht mehr in dem Maße Zugriff auf den Kunden haben. Man sieht am Beispiel anderer Branchen wie dem Einzelhandel, welche Folgen die technologische Zeitenwende für Karstadt oder Neckermann hatte.
Wenige Prozentpunkte Verschiebung in den Absatzkanälen können dramatische Folgen haben. Ich glaube, die Online-Anteile in der Neukundengewinnung werden in wenigen Jahren bis zu 20 Prozent betragen. Und das wird viele etablierte Player massiv unter Druck bringen.
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