Es wird wieder am Rad gedreht

Die langjährige Nummer eins im globalen Investmentbanking hat im zweiten Quartal einen Nettogewinn von 3,4 Milliarden Dollar erzielt. Auch US-Wettbewerber JP Morgan verdreifachte seinen Überschuss gegenüber dem Vorjahr auf 2,7 Milliarden Dollar. Netto 1,5 Milliarden Dollar steuerte das Investmentbanking bei. Für beide Unternehmen zahlte sich ihre Risikobereitschaft aus: Der Value at Risk, das durchschnittliche Verlustrisiko pro Tag, lag bei 267 beziehungsweise 245 Millionen Dollar. Konkurrent Morgan Stanley riskierte lediglich 113 Millionen Dollar täglich und landete in der Verlustzone.

Goldman steuert Boni-Rekord an

Dass die Branche offensichtlich auf dem besten Weg zurück zum Business as usual ist, wird von Außenstehenden kritisch beäugt. Erscheinen bereits die Milliardengewinne suspekt, sorgen die Boni erst recht für Empörung. Goldman stellte dafür zwischen Anfang April und Ende Juni 6,6 Milliarden Dollar zurück – fast 50 Prozent des Quartalsumsatzes.

Sollte das Geldhaus diesen Kurs in diesem Jahr beibehalten, würde es am Ende mehr als 22 Milliarden Dollar auszahlen und einen neuen Rekord aufstellen. In Anbetracht dieser Zahlen rügte selbst US-Präsident Barack Obama, dass einige Institute aus der Krise nichts gelernt hätten. Vielleicht hat er – der im Wahlkampf mit Millionenspenden von den Wallstreet-Bankern unterstützt wurde und ein dichtes Netzwerk von Goldmännern um sich schart – verdrängt, dass es an seiner Regierung gewesen wäre, die Weichen so zu stellen, dass ein Déjà-vu ausbleibt.

Um zu verstehen, warum Unternehmen einer Branche, die noch vor Kurzem durch staatliche Nothilfen vor dem Zusammenbruch bewahrt wurde, Milliardengewinne ausweisen und wieder in alte Verhaltensschemata zurückfallen können, muss auch ein Blick auf die Rechnungslegungsstandards geworfen werden. Denn sie sind ein wichtiger Faktor der jüngsten Erfolgsstory.

„Aufgeweichte Bilanzregeln und selektive staatliche Eingriffe sorgen dafür, dass viele Zahlen momentan nicht wirklich vergleichbar sind“, erklärt Professor Dr. Peter Leibfried vom Institut für Accounting, Controlling und Auditing in St. Gallen. Aufgrund des hohen Abschreibungsbedarfs im Finanzsektor nach dem Platzen der Kreditblase passte man die internationalen Normen an. Vor allem die strikte Grenze zwischen Handels- und Anlagebestand wurde verwässert. In den einen Bilanztopf wandern für gewöhnlich Papiere, mit denen auf kurzfristige Handelsgewinne spekuliert wird, in den anderen langfristige Anlagen. Entscheidend ist, dass der Handelsbestand stets zu aktuellen Marktpreisen bewertet werden muss – es gilt das Fair-Value-Prinzip. Im Anlagebestand befinden sich dagegen häufig illiquide Werte, für die sich eine laufende Preisermittlung schwierig gestaltet. Für diese Positionen dürfen daher Anschaffungs- oder selbst ermittelte Modellwerte zugrunde gelegt werden.

Nach Erwerb eines Titels müssen die Banken entscheiden, in welchen Topf er gesteckt wird. Denn der Deckel bleibt bis zur Wiederveräußerung oder zum Laufzeitende zu. Im Normalfall. Inzwischen können Anlagen rückwirkend umgewidmet, also verschoben werden. Das bewahrt Banken vor allem bei sogenannten Level 3 Assets – das ist fachchinesisch für Papiere, für die es keine Nachfrage, also keinen Markt gibt – davor, sie abzuschreiben. Darunter fallen viele der mit Krediten hinterlegten strukturierten Vehikel, die in der Subprime-Krise von sich reden machten.

Dirk Müller-Tronnier, Partner beim Wirtschaftsprüfer Ernst & Young, betont indes, dass Banken nun nicht einfach nach Gutdünken ihre Bilanzen neu ordnen können: „Die Wahrscheinlichkeit, dass die Assets ihren ursprünglichen Wert wieder erreichen, muss gegeben sein, um diese Option zu ziehen.“

Aufschieben statt abschreiben

Derzeit kann jedoch keiner richtig abschätzen, in welchem Ausmaß Risiken in die Zukunft verschoben wurden. Nur wenn die Märkte sich weiter stabilisieren, können die noch vorhandenen Probleme abgebaut und weitere Abschreibungswellen vermieden werden.

Der Casus knacksus liegt in der Grundidee des Fair Value. Nicht erst seit der Finanzkrise ist der Ansatz umstritten. Doch in diesem Kontext wird die Methode zu einer besonders delikaten Angelegenheit. Immerhin hat die Zeitwert-Bilanzierung Bankern in den fetten Jahren satte Buchgewinne beschert. Solange die Kurse durch die Decke schossen, wurden Werte hochgeschrieben und Boni verteilt. Erst als sie in den Keller fielen, wollte die Branche von den Marktwerten loskommen.

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