Es wird wieder am Rad gedreht

Die prozyklische Wirkung des weitgehend auf Fair-Value-Grundsätzen basierenden internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS belegt eine Studie von Professor Dr. Bernhard Pellens, der den Lehrstuhl für internationale Unternehmensrechnung an der Uni Bochum besetzt. Fazit: „Im Aufschwung hatte die Anwendung zur Folge, dass insbesondere Finanzinstrumente und Immobilien unabhängig von einer Realisierung höher bewertet wurden und zu erheblichen Gewinn- und Eigenkapitalsteigerungen geführt haben.“

Faire Werte oder fauler Zauber?

Nach Auffassung von Professor Dr. Karlheinz Küting, Direktor des Instituts für Wirtschaftsprüfung an der Universität des Saarlands, ist das nichts als Schönwetterbilanzierung und Etikettenschwindel. Küting, der auch als Sachverständiger versucht hat, Einfluss auf das ab 2010 in Deutschland geltende Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) zu nehmen, betreibt mit einer Gruppe von Hochschulprofessoren eine Initiative gegen den Fair Value. In der Krise ist das Prinzip laut Küting ein Brandbeschleuniger gewesen. Aber auch unter normalen Bedingungen funktioniere es nicht: „Für 95 Prozent aller Bilanzwerte können keine eindeutigen Marktpreise ermittelt werden.“

Die Resultate seien lediglich „Als- ob-“, also reine Buchgewinne, die noch nicht realisiert wurden und unter Umständen niemals realisiert würden. Sie dienten einzig dem Zweck, die kurzfristigen Interessen von Investoren zu befriedigen. Dass der IFRS-Ansatz im BilMoG für Bankbilanzen stärker betont wurde, ist laut Küting in großem Umfang der Großbanken-Lobby zu verdanken: „Die wollen weiterzocken und haben aus den Erfahrungen nicht gelernt“. Im Finanzsektor führt das Fair-Value-Modell in der Tat zu abstrusen Bilanzeffekten. So nutzen einige Geldhäuser den IFRS-Standard IAS 39, um die eigene Passivseite hochzuschreiben. Praktisch bedeutet das, dass ein Unternehmen durch marktgerechte Bewertung von seiner eigenen wirtschaftlichen Schieflage profitiert.

Sinkt die Bonität eines Hauses, fallen auch die Kurse seiner Anleihen, die am Markt gehandelt werden. Fällt beispielsweise der Wert einer eigenen Schuldverschreibung, die zum Laufzeitende mit 120 Euro getilgt werden muss, auf 50 Euro, kann das emittierende Unternehmen dieses als positiven Effekt in Höhe von 70 Euro buchen. Ein Kunstgriff, der unterstellt, dass sich ausreichend Gläubiger finden, die bereit sind, ihre Anleihen unter Nennwert abzugeben. Die Citigroup machte im ersten Quartal einen Marktwertgewinn von netto 2,7 Milliarden Dollar durch diesen bilanzkosmetischen Kniff.

Die Tage der Regel sind allerdings gezählt. David Tweedie, der Vorsitzende des IASB, dem IFRS-Rechnungslegungs-Gremium der USA, erklärte kürzlich: „Wenn Sie meinen, IAS 39 zu verstehen, dann haben Sie es nicht richtig gelesen.“ Er will die Standards deshalb noch in diesem Jahr überarbeiten.

Fest steht: Kreative Bilanzierung ist ein Spiel auf Zeit, bei dem in erster Linie auf das Prinzip Hoffnung gesetzt wird. „Offensichtlich will der Markt belogen werden und hören, alles sei gut. Die Realität ändert sich aber nicht, bloß weil man in einen anderen Spiegel schaut“, sagt Bilanzexperte Leibfried.

Goldman bewertet seine Level 3 Assets mit 54 Milliarden Dollar. Die Deutsche-Bank-Bilanz wies Ende Juni 64 Milliarden Euro an Level-3-Papieren aus – bei einem Eigenkapital von 35,4 Milliarden Euro. Ähnlich sieht es bei Crédit Agricole oder Credit Suisse aus.

Was die Renaissance des Investmentbankings betrifft, bleibt ein fader Beigeschmack. Einige Häuser haben ihre Staatshilfen zwar zügig zurückgezahlt, im letzten Jahr hätte aber kaum eines – nicht mal Goldman – ohne staatliche Eingriffe eine Zukunft gehabt.

Die jüngste Erfolgswelle der Branche ist ein temporäres Phänomen, das vor allem auf dem Zusammenwirken ungewöhnlicher Umstände basiert. Dass wieder die großen Räder gedreht werden, zeigt, dass an der Wallstreet und in der City offenbar vor allem eine Nachricht angekommen ist: Das Risiko kann wieder hochgefahren werden, im Notfall springt die öffentliche Hand ein.

Foto: Shutterstock

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