ESG-Abfrage in der Praxis: Start mit Hindernissen

Meeresschildkröte in türkis-blauem Wasser
Foto: PantherMedia / [email protected]
Meeresschildkröte als Symbol: Manager von Artikel-8- und Artikel-9-Fonds müssen auch Punkte wie den Schutz der Meere und die Artenvielfalt im Auge behalten.

Spätestens seit April 2023 müssen Anlageberater die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kundinnnen und Kunden abfragen und mit den Eigenschaften der Produkte abgleichen. Doch auch im Vertrieb von Sachwertanlagen ist inzwischen ziemliche Ernüchterung eingekehrt.

So hatten die meisten Akteure sich das wohl nicht vorgestellt: Ein Jahr, nachdem die Verpflichtung, in der Anlageberatung die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kundschaft abzufragen, auch für Finanzanlagenvermittler mit Zulassung nach Paragraf 34f Gewerbeordnung in Kraft getreten ist, scheint die Bedeutung des Themas eher in den Hintergrund getreten zu sein. So ist bislang weder ein Absatz-Turbo für entsprechende Fonds zu beobachten noch hat sich die Erwartung bestätigt, dass Produkte ohne die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien im Vertrieb kaum noch Chancen haben werden.

Die meisten der aktuellen alternativen Investmentfonds (AIFs) für Privatanleger „berücksichtigen nicht die EU-Kriterien für ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten“, wie es in den betreffenden Fondsprospekten als Zitat aus der entsprechenden EU-Verordnung regelmäßig heißt. Viele Finanzdienstleister verdrehen nur noch die Augen, wenn das Thema zur Sprache kommt und der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW forderte Anfang des Jahres von der EU-Kommission gar einen „Neustart“ der Vorschriften.


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Was ist passiert? Schließlich ist das Thema Nachhaltigkeit doch eigentlich positiv besetzt. So war das Vorhaben der EU, privates Kapital in nachhaltige Investitionen zu lenken, in der Branche – sowohl bei den Asset Managern als auch im Vertrieb – anfangs überwiegend gut angekommen. Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass sie ausnahmsweise von der Politik nicht mit undifferenzierter Kritik, Misstrauen und Vorurteilen übergossen wurde, sondern ihr durchaus ein positiver Beitrag zu dem Vorhaben zugebilligt wurde, die Welt besser zu machen. „Win-win“ also, wie es auf neudeutsch oft heißt.

Realität sieht anders aus

Doch die Realität sieht anders aus. Die EU-Vorschriften haben sich zu einem riesigen Bürokratieberg ausgewachsen, der Gesetzgebungsprozess zog sich ewig hin, er verlief reichlich chaotisch und die verschiedenen Verordnungen sind schlecht oder gar nicht aufeinander abgestimmt. Die Umsetzung verursacht einen gewaltigen Aufwand und einmal mehr sind Heerscharen von Juristen und anderen Beratern erforderlich, um die Sache wenigstens einigermaßen rechtssicher umzusetzen.

Um das zu verstehen, ist es notwendig, etwas auszuholen. Ausgangspunkt ist das Ziel der EU, Kapital in nachhaltige Investitionen und Unternehmen zu lenken und nicht-nachhaltige Aktivitäten zu erschweren. Eines der Kernelemente ist die EU-Offenlegungsverordnung, auch bekannt unter dem englischen Kürzel SFDR, die seit März 2021 sukzessive in Kraft getreten ist. Sie sieht unter anderem drei Kategorien für die Fonds vor: Artikel 6, Artikel 8 oder Artikel 9 der Offenlegungsverordnung – so jedenfalls die ursprüngliche Lesart.

Grenze noch immer schwammig

Artikel 9 hat die höchsten Anforderungen und setzt voraus, dass der Fonds nachhaltige Investitionen in Bezug auf wenigstens einen Bereich als zentrales Ziel verfolgt. Für Artikel 8 reicht es aus, bestimmte Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen, wobei die Grenze noch immer schwammig ist. In beiden Fällen darf der Fonds die weiteren Nachhaltigkeits-Ziele der EU, die er nicht explizit verfolgt, nicht wesentlich beeinträchtigten („Do not significant harm“, DNSH). Unter Artikel 6 fallen alle anderen Fonds, die auch ohne Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsmerkmalen weiterhin erlaubt bleiben.

Eine Herausforderung für die Asset Manager ist dabei auch das DNSH-Prinzip. Demnach müssen sie neben ihren primären auch alle anderen Ziele der EU in Bezug auf die Umwelt (Environment), soziale Aspekte (Social) und Unternehmensführung (Governance), zusammen kurz ESG, im Auge behalten. Die Umweltziele etwa umfassen neben Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel auch den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Umweltverschmutzung, den Schutz der Wasser- und Meeresressourcen sowie den Schutz der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme.

Auch seltene Meeresbewohner im Blick behalten

All diese Punkte müssen die Manager von ESG-Fonds nach Artikel 8 oder Artikel 9 im Blick haben – zumindest insofern, als sie diese mit ihren Investitionen, den verwendeten Materialien oder durch ihre Vertragspartner nicht wesentlich gefährden dürfen.

Dazu zählen nicht nur generelle Umweltaspekte oder zum Beispiel heimische Insektenarten und seltene Meeresbewohner, sondern auch die EU-Ziele unter den Stichworten Social und Governance, also unter anderem Arbeitnehmerrechte und dergleichen auch in fernen Ländern. Auch wenn die DNSH-Latte wohl nicht allzu hoch liegt und hauptsächlich die Vermeidung offensichtlicher grober Beeinträchtigungen und Verstöße umfasst, verursacht die Dokumentation doch einigen Aufwand.

Die konkreten Maßstäbe für nachhaltige Investitionen wiederum sind in der EU-Taxonomieverordnung und umfangreichen technischen Regulierungsstandards (RTS) dazu festgehalten. Allerdings: Inwieweit die Taxonomie überhaupt relevant für die Einstufung gemäß Offenlegungsverordnung ist, ist zuletzt ungewiss geworden.

nächste Seite: „Vergessen Sie Artikel 8 und Artikel 9″

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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