Vielmehr wird zunehmend die Auffassung vertreten, dass die beiden Verordnungen hauptsächlich nebeneinander existieren und kaum etwas miteinander zu tun haben. So muss ein Artikel-9-Fonds nicht zwingend die Taxonomie erfüllen. Anders herum macht neuerdings der Begriff von „taxonomie-konformen“ Fonds die Runde, die höher einzustufen seien als Artikel-9-Fonds (nach Offenlegungsverordnung). Das verstehe, wer will.
Dieses Neben- und nicht Miteinander von Taxonomie- und Offenlegungsverordnung schlägt sich auch in den Vorschriften für die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen in der Anlageberatung nieder. Sie stehen in einem vollkommen anderen Strang der Regulierung: Einer Untervorschrift („Delegierte Verordnung“) zur Finanzmarktrichtlinie MiFID II. Dort sind drei Kategorien definiert. In die erste fallen alle Fonds, die der Taxonomieverordnung entsprechen. Die zweite Kategorie umfasst grundsätzlich Produkte, die der Offenlegungsverordnung genügen, wobei Artikel-8-Fonds dafür weitere Voraussetzungen erfüllen müssen (wofür sich wiederum „Artikel-8-plus“ eingebürgert hat).
MiFID-Klassifizierung hat ihre eigenen Regeln
Die Differenzierung nach Artikel 8 und Artikel 9 der Offenlegungsverordnung, die in Bezug auf die Produkte meistens im Vordergrund steht und auf die auch der Vertrieb lange fixiert war, führt bei der Einsortierung nach MiFID also nur bedingt weiter. So empfahl Daniel Berger, Anwalt in der Kanzlei Wirth, im Januar auf der Tagung „Vertriebsgipfel Tegernsee“ den anwesenden Finanzdienstleistern für die Anlageberatung sinngemäß: „Vergessen Sie Artikel 8 und Artikel 9“.
Die MiFID-Klassifizierung hat demnach ihre eigenen Regeln. Der Rechtsanwalt rät Finanzdienstleistern, sich auf die Einstufung und Angaben der Anbieter zu verlassen und zu beziehen. Er rät dringend davon ab, diese zu hinterfragen oder gar eigene Einstufungen vorzunehmen. „Sonst kommen Sie in Teufels Küche“, so Berger.
Fonds fliegen aus Angebotspalette
Die größte Herausforderung für den Vertrieb dürfte indes die dritte MiFID-Kategorie sein. Dabei geht es um Ausschlusskriterien (Principal Adverse Impact Indikators, PAI), die teilweise vorgegeben sind, der Kunde aber auch selbst definieren kann. Gerade für Artikel-6-Fonds sind die PAI von Bedeutung, weil sie sonst gar keine MiFID-Nachhaltigkeitseinstufung haben und der Vertrieb die Produkte nicht vermitteln darf, wenn der Kunde entsprechende Präferenzen bejaht oder PAI benennt, die der Fondsanbieter nicht zuvor ausgeschlossen hat.
So kompliziert und teilweise unverständlich die MiFID-Klassifizierung der Produkte ist, so wichtig ist sie. Denn wenn die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden und die Produktmerkmale nicht zusammenpassen, muss der Fonds aus der Angebotspalette fliegen, die auf diese Weise ziemlich zusammenschrumpeln kann. Anders als bei Wertpapier-Investmentfonds, von denen es einige 1.000 gibt, kann das bei Publikums-AIFs angesichts der aktuell ohnehin überschaubaren Anzahl leicht zu einem sehr dünnen Angebot führen.
Nachhaltigkeit wird zum „Problemthema“
Die Finanzdienstleister haben zwei Möglichkeiten, all dem aus dem Weg zu gehen: Entweder sie verzichten auf Beratung und führen eine reine Vermittlung durch, was allerdings nicht selten rechtlich auf wackeligen Beinen steht. Oder der Kunde verzichtet von vornherein auf die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten. Dazu darf der Berater den Kunden nicht drängen, aber na ja, Sie wissen schon.
Dazu passt, dass das Interesse der Kunden an dem Thema deutlich nachgelassen hat, wie der AfW Anfang Februar unter der Überschrift „Nachhaltigkeit bleibt ein Problemthema im Vertrieb“ als ein Ergebnis seines neuesten Vermittlerbarometers berichtete (wobei sich dies nicht speziell auf Sachwertanlagen bezieht, sondern generell auf die Arbeit von Finanzdienstleistern).
Demnach sind nur 22 Prozent der Kunden laut der befragten Vermittler daran interessiert, über ihre Nachhaltigkeitspräferenzen zu sprechen. Jeder sechste Kunde (16 Prozent) lehnt glatt ab und der großen Mehrheit (62 Prozent) ist das Thema schlichtweg egal, so der AfW.
Im Vorjahr noch ganz anders
Noch im Vorjahr war die Antwort auf diese Frage ganz anders ausgefallen: 2022 waren noch 53 Prozent der Kunden bereit, über ihre Nachhaltigkeitspräferenzen zu sprechen, 22 Prozent lehnten ab und 25 Prozent war das Thema egal. Für Versicherungsvermittler ergibt sich im Versicherungsanlagebereich, in dem ebenfalls eine ESG-Abfrage erfolgen muss, laut AfW ein ähnliches Bild. Inwieweit die veränderte Weltlage sich auf die Prioritäten der Kunden ausgewirkt hat, ob sie nach ersten Erfahrungen mit der ESG-Abfrage nun entnervt abwinken oder ob sie vielleicht doch vom Vertrieb entsprechend gelenkt werden, wäre Spekulation.
So oder so ist das einstige Trend- inzwischen zum „Problemthema“ geworden. „Der AfW setzt sich intensiv in Brüssel dafür ein, dass Kunden und Vermittler ein weniger aufwändiges und komplexes Prozedere bei der Nachhaltigkeitsabfrage durchlaufen müssen“, kündigt AfW-Vorstand Norman Wirth an. Die anfängliche Zustimmung der Branche ist also längst verflogen, zumal sich herausgestellt hat, dass Produkte ohne explizite ESG-Berücksichtigung bislang keine erkennbaren Nachteile im Vertrieb haben.