In den letzten Jahren hat das Thema Nachhaltigkeit in vielen Bereichen der Gesellschaft an Bedeutung gewonnen, und auch Versicherungsprodukte sind davon betroffen. In einer Befragung unter gut 1.000 Teilnehmern aus dem Juli 2023 haben wir herausgefunden, dass die Mehrheit der Verbraucher Wert auf nachhaltige Versicherungen legt, insbesondere in der Lebensversicherung und der (fondsgebundenen) Altersvorsorge.
Von den Befragten, die in den vergangenen zwölf Monaten eine Versicherung abgeschlossen oder sich dazu beraten lassen haben, gaben über 70 Prozent an, dass ihnen das Thema Nachhaltigkeit in der Altersvorsorge wichtig oder eher wichtig ist – deutlich mehr noch als in anderen Sparten.
Dieses Ergebnis zeigt ein zunehmendes Bewusstsein der Verbraucher für die Auswirkungen von Investitionsentscheidungen auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG-Kriterien). Die Bereitschaft von Verbrauchern, nachhaltige Produkte zu wählen, bietet Versicherern die Möglichkeit, ihre Produkte entsprechend anzupassen und zu erweitern. Ein strukturiertes Angebot nachhaltiger Investmentfonds in der Altersvorsorge kann insoweit helfen, das Vertrauen der Kunden zu gewinnen und langfristig zu sichern.
Das Angebot an nachhaltigen Produkten wird auch durch externe Faktoren verstärkt. Gesetzgeber und Regulierungsbehörden setzen zunehmend auf Nachhaltigkeitsstandards und Transparenzanforderungen. Besonders die Offenlegungsverordnung und die Taxonomieverordnung haben in der EU neue Maßstäbe für nachhaltige Investitionen gesetzt. Diese Entwicklungen sollen nicht nur das allgemeine Nachhaltigkeitsbewusstsein fördern, sondern bieten auch einen regulatorischen Rahmen, in dem Versicherer ihre Produkte gestalten können.
Die Versicherungs- und Anlageberatung spielt im EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums ebenfalls eine wesentliche Rolle. Vor diesem Hintergrund sind Vermittler seit August 2022 im Sinne von IDD beziehungsweise MiFID II verpflichtet, die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden bei der Beratung von Anlageprodukten systematisch zu erfassen und zu dokumentieren. Nach dem Willen der Politik soll dadurch die Verbreitung von nachhaltigen Investitionen gefördert werden. In der Praxis funktioniert dies jedoch mehr schlecht als recht.
Einerseits stoßen die komplexen regulatorischen Umsetzungsvorgaben auf Akzeptanzprobleme auf Vermittler- und zuweilen auch auf Kundenseite. Andererseits ist das Angebot an nachhaltigen Anlagemöglichkeiten in der Breite nicht ausreichend, um die ermittelten Präferenzen des Kunden am Ende des Beratungsprozesses auch tatsächlich bedienen zu können. Hier sind die Produktgeber gefordert. Speziell in der investmentorientierten Altersvorsorge müssen sie sicherstellen, dass ihre Fondspalette sowohl finanzielle als auch nachhaltige Kriterien erfüllt. Dazu wird es in der Regel notwendig sein, die Prozesse, mit denen Fonds ausgewählt und überprüft werden, grundlegend zu überarbeiten.
Allgemeine Anforderungen an Fondsauswahlprozess
Ganz generell ist ein fundierter Fondsauswahlprozess entscheidend für die Qualität des Produktangebots in der fondsgebundenen Lebensversicherung. Dabei sollten Versicherer verschiedene Aspekte berücksichtigen.
Breite und Tiefe des Fondsangebots: Ein diversifiziertes Fondsportfolio, das verschiedene Anlageklassen, Sektoren, Branchen und Regionen abdeckt, ermöglicht es den Kunden, ihr individuelles Risikoprofil abzubilden.
Qualität über Quantität: Masse ist nicht gleich Klasse. Viel mehr als die bloße Menge an Fonds ist die Qualität der Fonds wichtig. Dies erfordert die Auswahl performancestarker Fonds und die Vermeidung von Underperformern. Auch die Volatilität spielt eine wichtige Rolle.
Regelmäßiges Fondscontrolling: Die Kapitalmärkte sind permanenten Veränderungen unterworfen und auch Fonds entwickeln sich in unterschiedliche Richtungen. Neben der initialen Fondsselektion sind daher die kontinuierliche Überwachung und bedarfsweise Anpassung des Fondsangebots entscheidend. Nachjustierungen können sicherstellen, dass die Fonds den Anforderungen der Kunden weiterhin entsprechen und ihre Renditeziele erfüllen können.
Transparenz und Information: Versicherer sollten ihren Vertriebspartnern und Kunden klare, verständliche und zeitnahe Informationen über die Fonds und deren Wertentwicklung zur Verfügung stellen. Dies umfasst nicht nur die reinen Performance-Daten, sondern auch Details zu den Anlagestrategien und Risiken.
Als institutionelle Anbieter stehen die Versicherer somit in der besonderen Verantwortung, die Fondsauswahl in ihren Policen zu gestalten und entscheidungsrelevante Informationen qualifiziert aufzubereiten. Dies stellt entsprechende Anforderungen an Research, Know-how und Technik.
Besondere Anforderungen: Nachhaltige Fondsauswahl
Noch höher liegt die Messlatte, wenn neben finanziellen Indikatoren auch Nachhaltigkeitskriterien bei Fonds berücksichtigt werden sollen. Denn damit kommen weitere Aspekte ins Spiel, die sich in wesentlichen Punkten von traditionellen Auswahlprozessen unterscheiden bzw. über diese hinaus gehen.
ESG-Kriterien: Nachhaltige Fonds sollten möglichst strenge Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Dies erfordert eine umfassende Bewertung der Objekte, in die investiert wird, hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitspraktiken.
Transparenz und Reporting: Nachhaltige Fonds liefern eine hohe Transparenz in Bezug auf ihre Investitionen und regelmäßige Berichterstattung über die Einhaltung der ESG-Kriterien. Hierbei gilt es, entscheidungsrelevante Fondsinformationen zu selektieren und verständlich aufzubereiten.
Spezielle Ratings und Zertifizierungen: Nachhaltige Fonds werden häufig von unabhängiger Seite bewertet und zertifiziert, um ihre ESG-Konformität sicherzustellen. Die einzelnen Bewertungsmethoden unterscheiden sich allerdings stark und sollten stets mit den eigenen Zielsetzungen abgeglichen werden.
Langfristige Perspektive: Ungeachtet der Frage, ob nachhaltige Fonds auf Dauer besser oder schlechter performen als konventionelle Fonds, sollten sie sich auch an Performance-Maßstäben messen lassen, da sonst auch der nachhaltigste Kunde diese irgendwann austauschen könnte. Nachhaltige Investitionen sind aber oft auf langfristige Wertsteigerung ausgerichtet, was eine andere Herangehensweise bei der Bewertung der Fondsperformance erfordern kann.
Die Einbettung von ESG-Kriterien in den Auswahlprozess erfordert somit eine spezifische Herangehensweise. In der Praxis stellen wir fest, dass Versicherer sehr unterschiedlich aufgestellt sind und im Detail auch verschiedene Strategien verfolgen. Dies betrifft zuvorderst die Frage, ob das gesamte Fondsangebot in einem Tarif nachhaltig ausgerichtet werden soll oder neben der bestehenden konventionellen Fondspalette eine separate nachhaltige Fondspalette angeboten werden soll. Beide Ansätze setzen voraus, geeignete Nachhaltigkeitskriterien zu definieren, diese fachlich abzusichern und konsequent anzuwenden.
Viele Versicherer orientieren sich dabei an der Offenlegungsverordnung und nehmen solche Fonds in die engere Auswahl, die mindestens „hellgrün“ nach Artikel 8, besser noch „dunkelgrün“ nach Artikel 9 eingestuft sind. Dieses Kriterium allein eignet sich allerdings nur bedingt als valider Qualitätsmaßstab, da die Einstufung von den Fondsanbietern selbst vorgenommen wird und die Kriterien nicht eindeutig sind. Vielfach werden daher auch externe ESG-Ratings berücksichtigt und zum Teil in ein „Best-in-Class“-Prinzip integriert.
Integrale Prozesse für nachhaltige Fondsauswahl nötig
Dabei werden vor allem solche Fonds gewählt, die innerhalb ihrer jeweiligen Kategorie die besten ESG-Ratings aufweisen, so dass die Fondspalette idealerweise nur aus solchen Angeboten besteht, die nachweislich hohe Nachhaltigkeitsstandards erfüllen. Sinnvoll begleitet werden kann dieser Ansatz durch den Einsatz von Negativ- und Positivlisten, um bestimmte Branchen oder Unternehmen vollständig auszuschließen, zum Beispiel im Bereich fossiler Energien, oder andererseits auch gezielt zu fördern, etwa Investitionen in erneuerbare Energien. Was einen nachhaltigen Fonds im Detail ausmacht, liegt letztlich stark im Auge des Betrachters. Versicherer sollten daher einen Fondsauswahlprozess implementieren, der mit ihrer eigenen unternehmerischen Nachhaltigkeitsstrategie korrespondiert, aber auch unterschiedlichen Interessen der Kunden gerecht werden kann. Dazu ist es notwendig, sich nicht nur auf formale Indikatoren zu stützen, sondern auch die inhaltliche Nachhaltigkeitsausrichtung der einzelnen Fonds genau zu betrachten.
Dies betrifft etwa die Frage, ob sie eher Umwelt- oder soziale Kriterien adressieren und welche ESG-Maßstäbe und -Ambitionen das Fondsmanagement bei seiner Investmenttätigkeit anlegt. Um die unterschiedlichen Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden in der Praxis bedienen zu können, sollten Versicherer zudem in Erwägung ziehen, eine Auswahl an Fonds mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten anzubieten. Ansätze hierfür sind Fonds, die sich auf besondere ökologische oder soziale Herausforderungen wie saubere Energie, Wasserwirtschaft, soziale Gerechtigkeit konzentrieren oder in nachhaltige Zukunftstechnologien investieren. Besonders bei passiv investierenden ETFs ist die Auswahl begrenzt, da sie nur selten spezifische Nachhaltigkeitsthemen mit hinreichend strengen Anlagekriterien abdecken. Wichtig ist in jedem Fall, dass die angebotenen Fonds frei von Kontroversen sind. So sollten sie beispielsweise keine Investitionsobjekte enthalten, die anerkannte Standards in den Bereichen Menschen- und Arbeitsrechte oder Umweltschutz verletzen.
Allen Besonderheiten zum Trotz sind die Kriterien für eine nachhaltige Fondsauswahl nicht losgelöst von den allgemeinen Auswahlkriterien zu sehen.
In der Praxis gibt es sowohl in prozessualer als auch in inhaltlicher Hinsicht Überschneidungen. Letzteres ist der Fall, wenn allgemeine Anforderungen an die Fonds, also etwa zu Mindest-Fondsvolumen, Ausschüttungsart, Kostenhöhe und -struktur, auch für ESG-Fonds angewendet werden. Versicherer sind daher gut beraten, die nachhaltige Fondsauswahl als integralen Prozess aufzusetzen, ohne die grundsätzlichen Qualitätsanforderungen aus dem Auge zu verlieren. Dazu gehört auch, Vermittlern und Kunden passende Informationsmöglichkeiten und Serviceleistungen zum Fondsangebot bereitzustellen.
Enorme Chancen für Versicherer und Vertrieb
Die Integration von Nachhaltigkeitskriterien im Fondsauswahlprozess stellt eine bedeutende Weiterentwicklung in der Gestaltung von Fondspolicen dar, ist aber nicht trivial. Sie erfordert den Einsatz zusätzlicher Daten, Ressourcen und Expertise. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von ESG-Kriterien in der Altersvorsorge ist es für die Versicherungsbranche unerlässlich, diesen Trend frühzeitig zu erkennen und nachvollziehbare Antworten zu finden. Ein strukturierter und transparenter Auswahlprozess kann das Vertrauen der Kunden stärken, die individuelle Beratung unterstützen und langfristige Kundenbeziehungen fördern.
. Für Versicherungsvermittler eröffnet das fundierte Wissen um nachhaltige Investmentfonds die Möglichkeit, sich als Experten zu positionieren und ihren Kunden einen zusätzlichen Mehrwert zu bieten, gerade auch jenseits regulatorischer Hürden. Dies stärkt die Kundenbindung und kann neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen. Letztlich profitieren auch die Kunden, wenn ihre Altersvorsorge sich nicht nur finanziell auszahlt, sondern gleichzeitig positive Effekte auf Umwelt und Gesellschaft hat.
Autor Lars Heermann ist Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei der Assekurata Rating-Agentur GmbH