Kaum ein Trend hat die Finanzmärkte in den letzten zehn Jahren so stark bewegt wie die Entwicklungen im Bereich ESG. Das Akronym steht für eine Anlageform, die sich daran orientiert, wie sehr Unternehmen Umweltaspekte („Environmental“), soziale Aspekte („Social“) und vorbildliche Führungsstrukturen („Governance“) in ihrer Geschäftspolitik berücksichtigen. Wer in solche nachhaltigen Aktien investiert, tut nicht nur etwas Gutes für die Welt, sondern hat auch Aussicht auf höhere Renditen. So lautet das Versprechen vieler Fondshäuser. Ob moralisch oder strategisch motiviert: Zahlreiche Investoren zogen Nachhaltigkeitskriterien in ihre Anlageentscheidungen mit ein.
Doch der zwischenzeitliche Boom verlor zuletzt an Fahrt. Während sich viele Anleger bei der Bewertung der komplexen Kriterien überfordert fühlten, bemängelten Berater den erhöhten administrativen Aufwand. Eine im Dezember veröffentlichte Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY zeigt, dass die Wirklichkeit oft anders aussieht als es die Hochglanzbroschüren suggerieren. Die Umfrage unter institutionellen Anlegern zeigte, dass 92 Prozent der Investoren nicht bereit waren, kurzfristige Gewinne für die längerfristigen Vorteile von ESG-Investitionen zu opfern. Zwei Drittel (66 Prozent) waren der Ansicht, dass ESG-Faktoren bei künftigen Anlageentscheidungen ihres Unternehmens weniger Gewicht haben. Mit 85 Prozent waren knapp neun von zehn der Befragten der Meinung, dass Greenwashing ein drängenderes Problem darstellt als noch vor fünf Jahren.
Gerade diese Grünfärberei von Unternehmen, die sich „grün“ geben, obwohl ihr Geschäft tatsächlich auf der Zerstörung der Umwelt oder des Klimas beruht, hat den Hype um nachhaltige Geldanlagen besonders gebremst. Laut einer Analyse der Ratingagentur Morningstar investierten hierzulande im Frühjahr 2024 von 693 als sauber deklarierte ESG-Fonds knapp die Hälfte (46,6 Prozent) in fossile Energieträger.
Kein grundsätzlicher Trendwechsel
Viele ESG-Produkte enttäuschten zudem mit einer deutlichen Underperformance gegenüber ihren traditionellen Pendants. Dies hat dazu beigetragen, dass nachhaltige Fonds in der Beratung häufig nicht mehr erste Wahl sind. „Anleger sollten sich auch nicht der Illusion hingeben, dass sich mit einem Nachhaltigkeitsfonds alle Kontroversen um Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen komplett vermeiden lassen“, gibt Andreas Görler zu bedenken. „Gegenüber Anlegern sollte mit offenen Karten gespielt werden, was die Finanzebene umsetzen kann und was nicht“, fordert der Senior-Wealthmanager bei Wellinvest-Pruschke & Kalm in Berlin. Ansonsten baue sich ein erhebliches Enttäuschungspotenzial auf und der Diskussionsbedarf steige, wenn ein differenzierterer Blick auf ein „nachhaltiges Fondsportfolio“ nach EU-Taxonomie geworfen werde.
Einen grundsätzlichen Trendwechsel sehen Experten in der ESG-Flaute nicht. „Unternehmen mit hohen, mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen vereinbarenden Umsätzen und geringen ESG-Risiken werden grundsätzlich immer attraktiv sein“, ist Dirk Söhnholz, Gründer und Geschäftsführer von Soehnholz ESG, überzeugt. „Viele dezidiert nachhaltige Unternehmen sind relativ klein und die Aktien solcher Unternehmen haben in den letzten Jahren auch nicht gut rentiert“, beobachtet der Pionier nachhaltiger Geldanlage. Mit Blick auf die aktuelle Unterbewertung solcher Unternehmen attestiert er konsequent nachhaltigen Investments gute Renditechancen.
„Nachhaltigkeit bleibt ein zentraler Imperativ“, glaubt auch Daniel Dadun von der Frankfurter Management- und Technologieberatung Capco, „mit einem klaren, angepassten ESG-Ansatz werden Investoren, die langfristig denken, auch in einem herausfordernden Umfeld erfolgreich sein“.
Aufsichtsbehörde verschärft die Regeln
Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (European Securities and Markets Authority) leistet dazu ihren Beitrag, indem sie das Regelwerk verschärft. Künftig sollen Begriffe wie „nachhaltig“, „sauber“ oder „ESG“ nicht mehr für Fonds verwendet werden dürfen, die in kohlenstoffintensive Branchen investieren. Für neu aufgelegte Fonds gilt diese Vorgabe seit Mitte November, bereits davor bestehende Angebote müssen bis Mitte Mai dieses Jahres umbenannt sein.
Die Ratingagentur Morningstar erwartet, dass zwischen 30 und 50 Prozent der ESG-Fonds in der EU bis Mitte dieses Jahres ihren Namen ändern werden, während andere Fonds ihre Anlageziele und/oder Portfolios anpassen, um ihre ESG-bezogenen Begriffe im Namen zu behalten. „Wir gehen davon aus, dass 2025 ein kritischer Zeitpunkt für die Glaubwürdigkeit der EU sein wird, insbesondere mit den bevorstehenden Ergebnissen der Überprüfung der EU-Offenlegungsverordnung und der ersten Welle der Berichterstattung der Richtlinie zur Nachhaltigkeits-Berichterstattung von Unternehmen“, unterstreicht Hortense Bloy, Global Head of Sustainability Research bei Morningstar – und prognostiziert: „Ende dieses Jahres wird die globale ESG-Fondslandschaft ganz anders aussehen als jetzt.“
Hellgrün oder dunkelgrün
Schon jetzt haben Anleger die Qual der Wahl. Laut des Ratinghauses Scope waren in Deutschland Ende November insgesamt rund 6402 Artikel-8-Fonds mit einem Vermögen von 5,14 Billionen Euro zugelassen. Die Anzahl der Artikel-9-Fonds belief sich auf 628 mit einem Gesamtvermögen von 223 Milliarden Euro. Diese Zahlen spiegeln das gesamte deutsche Fondsuniversum wider. Dazu gehören auch Mitarbeiterfonds und Großanlegerfonds, die für Privatanleger nicht zugänglich sind. Als „hellgrün“ bezeichnete Produkte nach Artikel 8 bewerben soziale oder ökologische Merkmale und können in nachhaltige Anlagen investieren, ohne dass Nachhaltigkeit das Hauptziel wäre. Fonds nach Artikel 9 gelten als „dunkelgrün“ und haben ein nachhaltiges Anlageziel.
Diese Klassifizierung hat allerdings einen Haken: Eine Analyse des Forums Nachhaltige Geldanlagen zeigt, dass die Einordnung von Finanzprodukten gemäß der SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation, deutsch: Offenlegungsverordnung) keine Auskunft über deren Nachhaltigkeitsanspruch gibt. „Die Unterscheidung der Produkte wird häufig für Marketingzwecke genutzt“, bemängelt auch Scope-Fondsanalyst László Zoltán Harsányi. Ein weiteres Problem der SFDR sieht der Experte darin, dass sie klare und bedeutende Schwellenwerte vermissen lasse. Beispiele hierfür könnten bestimmte Anteile von Portfolios sein, die im Sinne der EU-Taxonomie nachhaltig angelegt werden sollten.
„Beispielsweise könnten 50 Prozent des Portfolios nachhaltig investiert sein müssen, um als Artikel-8-Produkt zu gelten, und 75 Prozent, um die Qualifikation als Artikel-9-Produkt zu erreichen“, schlägt Harsányi vor. Zusätzlich könnten jährliche CO₂-Reduktionsziele als weitere Kriterien herangezogen werden. Die Leitlinie der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA versuche, dieses Problem zu adressieren. „An erster Stelle wäre es jedoch hilfreich, die EU-Regulierungen wie die SFDR, die Taxonomie-Verordnung und neue Richtlinien wie etwa die ESMA-Leitlinie zu harmonisieren und dabei klare Schwellenwerte festzulegen“, argumentiert Scope-Analyst Harsányi. Zudem könnten seiner Ansicht nach stärkere und standardisierte Offenlegungspflichten die Vergleichbarkeit der Fonds aus ESG-Perspektive weiter verbessern.
Auch Dr. Oliver Pfeil, seit Januar neuer Vorstandschef bei der Fondsboutique Ökoworld aus Hilden erhofft sich durch ESMA eine Trendumkehr und eine Stärkung des Vertrauens in nachhaltige Geldanlagen (siehe auch Interview ab Seite 36): „Das ist sehr wichtig, denn wir dürfen die Umwelt-, Natur- und Artenschutz nicht aus den Augen verlieren. Private Kapitalanlagen sind bitter nötig, um den Weg der Transformation unserer Wirtschaft umzusetzen. Gleichzeitig bieten sich auch attraktive Renditequellen für Anleger. Insofern muss Nachhaltigkeit kein Selbstzweck sein.“
Scorings als Entscheidungskriterium
Angesichts dieser Gemengelage stellt sich die Frage, wie Investoren das für ihr individuelles Anlage- und Anforderungsprofil passende Investment finden können. „Anleger finden auf der Internetseite des Forum Nachhaltige Geldanlagen unter dem Reiter ‚Qualität und Standards‘ die Rubrik ‚FNG-Nachhaltigkeitsprofile‘. Hier sind gut 500 Fonds gelistet und verschiedene Auswahlkriterien möglich“, weiß Andreas Görler. Für jeden Fonds steht eine Datenbank mit relevanten Nachhaltigkeitskriterien zur Verfügung. „Man darf aber nicht vergessen, sich noch das dazugehörige Factsheet von der Internetseite der Fondsgesellschaft anzuschauen“, fügt der zertifizierte Berater für nachhaltige Geldanlagen hinzu.
„Inzwischen haben sich einige ESG-Rating-Anbieter etabliert, so dass es sowohl auf Anbieter- als auch auf Investorenseite gute Optionen gibt, sich mit den jeweiligen Scorings für Unternehmen und Fonds auseinanderzusetzen“, ergänzt Marc Gabriel, Kundendirektor beim unabhängigen Vermögensverwalter Oberbanscheidt & Cie im nordrheinwestfälischen Kleve. Als Beispiele nennt er neben dem Stimmrechtsberater Institutional Shareholder Services (ISS) die ESG-Ratingagentur Sustainalytics.
Falk von Boehn von der Hamburger Vermögensverwalterboutique Hövelrat empfiehlt, Fonds zu bevorzugen, die aktiv Einfluss auf die von ihnen gehaltenen Firmen ausüben. Dabei sei eine Unterscheidung zwischen Engagement auf Hauptversammlungen und kontinuierlichem Engagement unterjährig sinnvoll. Ein Anlagepool, der für von Boehn durch Performance und Seriosität überzeugt, ist der im Juli 2022 aufgelegte Fight for Green Aktienfonds. Im Portfolio liegen vorrangig Aktien von Unternehmen, die einen positiven Beitrag zum UN-Nachhaltigkeitsziel „Klimawandel“ leisten. Der Fonds strebt aber keine nachhaltigen Anlagen im Sinne der EU-Taxonomie-Verordnung an. Mit anderen Worten: Das Management berücksichtigt nicht die EU-Kriterien für ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten. Mit einem Plus von 23,2 Prozent im vergangenen Jahr zeigt der von Hauck & Aufhäuser beratene Fonds, dass sich Nachhaltigkeit und Rendite nicht ausschließen.
Auch die Fonds der Ökoworld aus Hilden verwenden strenge Anlagegrundsätze, die durch ein eigenes Nachhaltigkeitsresearch bei etwaigen Engagements überprüft werden. Dabei macht sich die Fondsboutique aus Hilden, die in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag feiert, die Arbeit nicht leicht, was auch die aktuell immer noch in der Diskussion stehenden Investitionen in Waffen und Rüstungsgüter zeigt.
Während viele diese aufgrund des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine als moralisch vertretbar ansehen, lehnt Ökoworld diese weiterhin ab. „Rüstungsunternehmen oder Waffenhersteller können nicht als nachhaltig deklariert werden. Zum einen ist ein Beitrag von Waffen zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen nicht gegeben. Zum anderen können doch die Schäden, die sie verursachen, sowohl menschlich als ökologisch, nicht dem Anspruch der EU-Regulierung von „Do no significant harm“ entsprechen. Diesen Standpunkt und die damit verbundene konsequente Umsetzung vertritt die Ökoworld bereits seit Auflage des ersten Fonds im Jahr 1996. Die Glaubwürdigkeit nachhaltiger Geldanlagen hängt auch von der Stabilität und Konsequenz der Kriterien ab, denen sie unterliegen“, sagt Verena Kienel, Leiterin des Nachhaltigkeitsresearch bei Ökoworld.
Mit einer guten Performance überzeugt auch der proud@work – purpose von Hansainvest, der auf soziale Verantwortung und Mitarbeiterzufriedenheit setzt. Eine quantitative und qualitative Untersuchung von Unternehmen, die ihre Mitarbeiter besser behandeln, so dass die Mitarbeiter stolz darauf sind, dort tätig zu sein, hat eindeutig ergeben, dass diese Unternehmen langfristig erfolgreicher sind.
Zumindest in den vergangenen beiden Jahren hat sich dieses Konzept mit einer Wertsteigerung von 24,8 Prozent (2023) und 15,7 Prozent (2024) ausgezahlt. Zu den am höchsten gewichteten Positionen zählten zuletzt der US-Immobiliendienstleister CBRE Group, Microsoft und die Londoner Börse. Zu den Top-Werten zählen der US-Personalberater ServiceNow, der Zahlungsdienstleister Mastercard und die Investmentbank Goldman Sachs.
ETFs als kostengünstige Anlagealternative
Auch der Robeco Sustainable Global Stars Equities Fund zählt zu den wenigen aktiv verwalteten Anlagepools, die im vergangenen Jahr den MSCI-World-Index hinter sich lassen konnten. Während Letzterer um 19,2 Prozent vorrückte, schaffte der Robeco-Fonds 27 Prozent. Die Anteile der großen Technologiekonzerne sind auffallend hoch. Mit Apple, Nvidia, Microsoft und Amazon bilden gleich vier der als „Glorreiche Sieben“ bekannten US-Giganten die größten Positionen.
Unter den passiv gemanagten Anlagevehikeln schnitt der Invesco Quantitative Strategies ESG Global Equity Multi-Factor ETF mit 22,3 Prozent im vergangenen Jahr und 24,1 Prozent in 2023 gut ab. Der Index orientiert sich zwar am MSCI World, bündelt statt rund 1400 aber nur 200 Aktien. Nvidia und Microsoft waren Mitte Januar die größten Positionen, gefolgt von der Royal Bank of Canada und dem irischen Klimaspezialisten Trane Technologies. Unternehmen aus den Branchen Versorger und Energie sind tabu.
Der Xtrackers MSCI World ESG ETF erzielte seinen Wertzuwachs von 47 Prozent in den vergangenen zwei Jahren vor allem durch US-Big-Techs wie Nvidia, Microsoft, Tesla und Alphabet. Apple wurde nicht berücksichtigt, da das Unternehmen nicht zu den ESG-Leadern zählt. Im UBS MSCI ACWI Socially Responsible ETF hingegen sind –gerade aus ESG-Gründen – mit Nvidia und Tesla nur zwei der „Glorreichen Sieben“ mit von der Partie. Auf den Plätzen folgten zuletzt Taiwan Semiconductor, die US-Baumarktkette Home Depot und der dänische Pharmariese Novo Nordisk. Die Bilanz der Jahre 2023 und 2024 beläuft sich auf plus 43,29 Prozent.
Autor Christian Euler ist Buchautor und Wirtschaftsjournalist.