Sie leiten gemeinsam das Nachhaltigkeit-Research der Ökoworld seit Anfang des Jahres. Wie läuft das „Geschäft“?
Kienel: Mathias und ich sind bereits seit über sechs Jahren bei der Ökoworld in der Nachhaltigkeits-Research Abteilung tätig. Wir kennen also das Geschäft sehr gut. Auch vor der Übernahme der Leitung für die Abteilung hatten wir bereits die Verantwortung für einzelne Bereiche, beispielsweise die Ausweitung unserer Engagements Strategie, Vertriebsunterstützung sowie vor allem die Umsetzung aller regulatorischen Anforderungen. Aber auch vor unserer Tätigkeit bei der Ökoworld haben wir beide in Führungspositionen gearbeitet. Zudem haben wir hier ein großartiges Team mit top qualifizierten und vor allem engagierten Mitarbeiterninnen und Mitarbeitern. Es macht derzeit großen Spaß und wir erreichen viel.
Wie sieht die Arbeitsteilung zwischen Ihnen aus und wo soll die Reise hingehen?
Pianowski: Wir arbeiten sehr eng zusammen und stehen permanent im Austausch – aktuell vor allem bei der Umsetzung der Taxonomie und Offenlegungsverordnung. Wir haben ein Konzept zur Weiterentwicklung unserer Abteilung erarbeitet und setzen das nun konsequent um. Da geht es um die Fortentwicklung unserer eigenen Prozesse durch gestiegene Anforderungen, aber auch um die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen. Wir gehen seit zwei Jahren auch wieder stärker in den persönlichen Kontakt zu Unternehmen vor Ort, was wir als sehr wertvoll erachten.
Mittlerweile sind Berater und Vermittler per Regulierung aufgefordert, die Nachhaltigkeitspräferenzen bei ihren Kunden abzufragen und entsprechend zu beraten. Inwieweit erhöht das den Druck für Ihre Tätigkeit?
Kienel: Für Ökoworld ist es seit Gründung unser Verständnis, dass wir nur nach strengen ethischen, ökologischen und sozialen Kriterien investieren. Da hat sich seit Auflage unserer Fonds nichts daran geändert. Den erhöhten Druck, den wir bei unserer Arbeit verspüren, bezieht sich eher auf die Umsetzung der zusätzlichen, komplexen, teils widersprüchlichen und aus unserer Sicht zum Teil auch unverständlichen Anforderungen der Regulierungen, also Offenlegungsverordnung, Taxonomie und weitere. Wir können nicht akzeptieren, dass Atomkraft als nachhaltig deklariert wird. Dadurch verliert aus unserer Sicht das gesamte Taxonomie-Projekt an Glaubwürdigkeit.
Immer wieder wird moniert, dass es nach wie vor an Standards und Regeln fehlt, was als nachhaltig bzw. ESG-tauglich einzustufen ist. Wie bewerten Sie diesen Umstand? Wie beeinflusst das Ihre Arbeit im Research?
Kienel: Es stimmt, dass es keine allgemein gültige Definition oder Standards gibt, nach welchen sich ein Fonds als nachhaltig bezeichnen darf oder nicht. Bei manch solcher Fonds können wir nur mit dem Kopf schütteln, wenn man dort Unternehmen wie Nestle, Bayer, Airbus oder ähnliche in den Portfolios wiederfindet. Gerade das Thema Transparenz ist aus unserer Sicht immer ein Knackpunkt gewesen, so dass man als Anlegerin oder Anleger solche Überraschungen in den Portfolios finden musste. Die Offenlegungsverordnung der EU hat immerhin dazu beigetragen, dass Fonds transparenter sein müssen hinsichtlich ihres Ansatzes. Allerdings sieht man ja auch, was jetzt mit der EU-Taxonomie passiert ist, nämlich dass Atomkraft und Gas, sowie jetzt möglicherweise auch Flugzeuge als nachhaltig eingestuft werden können. Dies kann auch nicht im Sinne eines wirklich glaubwürdigen Ansatzes zur Definition von Nachhaltigkeit sein.
Neben der Regulatorik wird nach wie vor über die Datenbasis diskutiert, die noch immer nicht flächendeckend von guter Qualität sei. Teilen Sie diese Kritik? Was hat sich diesbezüglich in den letzten Jahren getan und wie gehen Sie im Research bei Ökoworld damit um?
Pianowski: Wenn man ohnehin das Falsche misst, sind Datenlücken auch egal. Ich halte von der Regulatorik nichts, zumindest nicht von ihrer konkreten Umsetzung. Darüber hinaus halte ich das Gejammere über fehlende Daten für eine Ausrede. Jeder kann ausreichend Informationen über Unternehmen zusammentragen, um vernünftige Entscheidungen zu treffen. Ich kann Ihnen bei drei Vierteln der Dax-Unternehmen aus dem Bauch heraus sagen, warum die nicht nachhaltig sind. Da brauche ich keine tiefe Analyse mit unzähligen Daten. Bei Unternehmen allerdings, die es auf den ersten Blick in unsere Universen schaffen könnten, muss man dann natürlich viel Arbeit reinstecken in die Bewertung. Unsere Methode im Nachhaltigkeits-Research der Ökoworld berücksichtigt dabei neben quantitativen auch qualitative Informationen. Geschäftsmodell, Produkt und Dienstleistung sowie die damit verbundenen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft lassen sich damit fast immer ausreichend gut bewerten. Allerdings muss man sich eben die Mühe machen, Nachhaltigkeitsberichte und beispielsweise Auditberichte auch zu lesen. Natürlich muss ein Unternehmen auch über eine glaubwürdige Nachhaltigkeitsstrategie mit konkreten und quantitativen Zielen und Kennzahlen verfügen.
Kienel: Falls wir an zu wenige Informationen über das Unternehmen und seine Prozesse kommen, lassen wir lieber das Vorsichtsprinzip walten und nehmen das Unternehmen nicht in unser Anlageuniversum auf. Wir haben in den letzten Jahren die Anzahl an Nachfragen an Unternehmen im Rahmen unseres Engagement-Ansatzes deutlich ausgeweitet. Was wir in den letzten Jahren bemerkt haben, ist, dass Unternehmen häufiger und umfassender auf unsere Nach- und Anfragen reagieren.
Wie viele Werte haben Sie generell im Fokus und welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit es bei Ihnen in Richtung Portfoliomanagement heißt „Daumen hoch!“
Pianowski: Die Größen der Anlageuniversen unterscheiden sich pro Fonds, je nach Themenschwerpunkt. Wir haben insgesamt etwas mehr als 1000 Unternehmen in allen Anlageuniversen. Von denen sagen wir, dass sie nachhaltig sind oder zumindest auf einem glaubwürdigen Weg dorthin in angemessener Zeit, die uns als Gesellschaft ja davonläuft. Wenn Sie davon ausgehen, dass es mehr als 90.000 börsennotierte Unternehmen weltweit gibt und 89.000 davon nicht unseren Anforderungen genügen, sollte das vielleicht mal jemanden aufschrecken.
Kienel: Die Fonds der Ökoworld verfolgen seit Auflage einen ganzheitlichen ethisch-ökologischen Ansatz, der darauf abzielt, global in ausgewählte Unternehmen zu investieren, die geeignet sind, sich durch ihre Produkte oder Dienstleistungen nachhaltig positiv auf die Umwelt oder die Gesellschaft auszuwirken. Dazu zählen beispielsweise Unternehmen aus den Bereichen Erneuerbare Energien, Wasser, Information & Kommunikation, Bildung, Energieeffizienz und Nachhaltige Mobilität oder auch Unternehmen, die mit ihren Produkten oder Dienstleistungen einen Beitrag zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels leisten. Hierbei verfolgen wir nicht einfach nur einen Best-in-Class Ansatz oder verlassen uns auf die Einschätzung externer Rating-Agenturen, sondern bewerten jedes Unternehmen eben einzeln.
Was sind für Sie K.O.-Kriterien?
Kienel: Ökoworld hat Ausschlusskriterien festgelegt, die dazu führen, dass Unternehmen und Branchen, die aus unserer Sicht wesentliche negative Auswirkungen auf eine nachhaltige Entwicklung haben, von vornherein keine Aufnahme in die Anlageuniversen unserer Fonds finden. Dazu gehören etwa Unternehmen aus der Atomenergie oder Waffenherstellung. Die Gewinnung und Förderung fossiler Energie ist bei uns ebenso ausgeschlossen wie die Herstellung von Chlorchemie. Weitere feste Ausschlusskriterien sind systematische Verstöße gegen Menschenrechte und Arbeitnehmerrechte, u.a. auch Kinder- und Zwangsarbeit. Ganz allgemein gesagt, Unternehmen, die keinen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft und Wirtschaft leisten, werden bei uns nicht in die Anlageuniversen aufgenommen.
Wie oft erfolgt ein Review der Werte?
Pianowski: Die regelmäßigen Updates finden alle drei Jahren statt. Daneben analysieren wir anlassbezogen, z.B. bei Zu- oder Verkauf eines aus Nachhaltigkeitssicht relevanten Unternehmensteils. Darüber hinaus werden fortlaufend Kontroversenchecks durchgeführt – zur Absicherung zusätzlich auch basierend auf den Daten eines externen Anbieters. Wenn Kontroversen vorliegen, schauen wir uns die konkret an, um uns ein eigenes Urteil zu bilden.
Welche Trends sehen Sie im Nachhaltigkeit-Research in den kommenden Jahren?
Kienel: Da das Interesse von Anlegerinnen und Anlegern ihr Geld nachhaltig und damit zukunftsfähig zu investieren immer weiter zunimmt, rechnen wir unsererseits nicht nur generell mit einem verstärkten Fokus auf unsere Arbeit, sondern auch mehr Nachfragen und Hinterfragen, was genau in unseren Fonds steckt und warum.
Pianowski: Das sehe ich auch so. Ich bin daher davon überzeugt, dass eine neue Klarheit in das junge grüne Gemische einziehen muss. Kaum einer versteht, dass ESG-Titel nicht unbedingt nachhaltig sind und warum das so ist. Man darf nicht vergessen, was Nachhaltigkeit ist. Nämlich dass wir unsere ökologischen Lebensgrundlagen nicht zerreißen und die Menschenrechte für alle durchsetzen müssen. So gesehen muss Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht umfangreicher werden, sondern gezielter und besser, genauso wie das Reporting der Asset Manager. Wir müssen die planetaren Grenzen des Wachstums adressieren. Bisher gibt es das leider erst in Ansätzen.
Interview: Frank O. Milewski, Cash.