Das Jahr 2024 ist noch nicht vorbei, aber es hat auch in Deutschland und Europa wieder einmal gezeigt, dass der Klimawandel und seine Folgen kein abstraktes Phänomen sind: Mitte Mai sorgte Dauerregen im Saarland und Rheinland-Pfalz für Überschwemmungen und vollgelaufene Keller; knapp zwei Wochen später zog ein Tiefdrucksystem vom Mittelmeer über die Alpen und setzte Teile Baden-Württembergs und Bayerns unter Wasser.
Mitte September ließ Mittelmeertief „Annett“ mit tagelangen Regenfällen in Österreich, Ungarn, Polen und Rumänien Donau und Oder überlaufen und ganze Regionen absaufen. Und Ende Oktober traf dann eine Unwetterfront mit noch nie dagewesenen Regenfällen die spanische Mittelmeerregion Valencia. Bilanz der Jahrhundertereignisse in Europa: Milliardenschäden und Hunderte von Toten.
Auf der anderen Seite ist es ruhig geworden um „Friday for Future“ und Greta Thunberg. Zwar protestieren die Klimaaktivisten nach wie vor, der Zulauf ist jedoch überschaubar. Stell Dir vor es ist Klimawandel und kaum jemand interessiert sich dafür. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit.
Denn Nachhaltigkeit und Klimaschutz bestimmen zunehmend die Agenda der Wirtschaft. Und die Assekuranz spielt bei der grünen Transformation eine gewichtige Rolle. „Versicherer haben in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Auch wenn sie auf den ersten Blick, verglichen mit produzierenden Unternehmen, für den Endkunden weniger sichtbare Stellschrauben haben, ist ihre Verantwortung in Bezug auf Nachhaltigkeit keineswegs geringer. Die Kapitalanlagen stellen hier einen zentralen Hebel dar. Versicherer verwalten erhebliche Vermögenswerte und haben dadurch einen wesentlichen Einfluss auf nachhaltige Entwicklungen in der Wirtschaft“, erklärt Elena Frickmann, ESG und CSRS-Analystin beim Rating- und Analysehaus Morgen und Morgen.
Kein Sprint, sondern ein Marathon
Allein die deutsche Versicherungswirtschaft will bis 2050 rund 1,7 Billionen Euro nachhaltig und klimaneutral anlegen. Für die BarmeniaGothaer etwa bedeutet die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten bei der Auswahl von Kapitalanlagen, dass bestimmte Geschäftsfelder, wie zum Beispiel die Kohleenergiewirtschaft grundsätzlich aus dem Anlageuniversum ausgeschlossen sind. „Genauso wie für Verstöße gegen die international anerkannten Normen für Menschenrechte und verantwortungsvolle Unternehmensführung“, sagt Alina vom Bruck, Vorständin der BarmeniaGothaer Lebensversicherung.
Darüber hinaus strebt der Konzern an, die finanzierten Treibhausgasemissionen seiner Kapitalanlagen bis 2050 auf Netto-Null zu reduzieren und damit zur nachhaltigen Transformation der Realwirtschaft beizutragen.
„Hierfür haben wir uns Zwischenziele gesteckt, wie zum Beispiel die Reduktion des CO2-Fußabdrucks bei Unternehmensanleihen oder jährliche Investitionen in Kapitalanlagen mit Nachhaltigkeitszielen. Diese Ziele haben wiederum eine Auswirkung auf die Auswahl der Kapitalanlagen“, erklärt vom Bruck.
Die Alte Leipziger hat nach Aussage ihres Kapitalanlage- und Finanzvorstands Martin Rohm für jede ihrer Anlageklassen spezifische ESG-Anforderungen für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung definiert. „Emittenten und Anlageprodukte, die diese Anforderungen nicht erfüllen, schließen wir bei der Kapitalanlage aus. Insbesondere schließen wir Unternehmen vom Investment aus, deren Geschäftsmodell oder -verhalten mit besonders hohen negativen Auswirkungen auf den Klimaschutz verbunden ist. Soziale Kriterien und Aspekte der Unternehmensführung berücksichtigen wir ebenfalls über unsere Ausschlüsse“, erklärt Rohm.
Damit ließen sich Kapitalanlagerisiken konsequent reduzieren und gleichzeitig Chancen identifizieren und realisieren. „Wir investieren bevorzugt dort, wo hohe ESG-Standards erfüllt werden“, erklärt Rohm. Gleichzeitig nutze man den Einfluss als Investor, um Unternehmen im Hinblick auf die jeweils relevanten ESG-Faktoren zur Weiterentwicklung ihrer Geschäftsmodelle zu motivieren. Dafür arbeitet die ALH-Gruppe mit Columbia Threadneedle zusammen.
„Dadurch können wir unsere Stimmrechte gemeinsam mit anderen Investoren bündeln und positiv auf Verbesserungen der Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit hinwirken“, so Rohm. „Die Umsetzung von nachhaltigen Kapitalanlagen ist jedoch kein Sprint, sondern ein Marathon“, gibt Rohm zu bedenken.
Ein Teil des Transformationsprozesses
Die Ausrichtung der Kapitalanlagen ist jedoch nur ein Teil des Transformationsprozesses. Ende Oktober hat Morgen und Morgen sein neues Nachhaltigkeitsrating für Versicherungen vorgestellt. Die Analyse bescheinigt vielen Versicherern auch in anderen Bereichen eine klare strategische Ausrichtung auf das Thema Nachhaltigkeit: Insbesondere im Bereich der Unternehmensführung (Governance) sei eine deutliche Verankerung von ESG-Kriterien zu erkennen, so Frickmann. Dies spiegele sich in einer hohen Ernsthaftigkeit bei der Umsetzung der Berichtspflichten wider.
„Die Versicherungsbranche hat hier eine solide Grundlage geschaffen und ist auf einem guten Weg, ein integrativer und nachhaltiger Akteur zu werden“, sagt Frickmann. Während die Versicherer momentan noch nach der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) berichten würden, zeige sich im Rahmen der Analyse, dass sich die Versicherer bereits intensiv auf die ab 2024 geltende CSRD-Berichtspflicht vorbereiten, so Frickmann.
CSRD als zukünftiger Gamechanger hebe das Thema ESG auf eine neue Ebene. Mit ihr wandele sich der Anspruch an die ESG-Berichterstattung. „Sie wird zu einem Berichtsfeld, das strengen regulatorischen Anforderungen unterliegt, die prüfungsrelevant sind. ESG wird daher aktuell vor allem im Rahmen der betrieblichen Vorsorgelösungen zum Erfolgsfaktor, wenn Wirtschaftsunternehmen einen Versicherer als Partner auswählen, der auch im Bereich ESG gut aufgestellt sein soll oder sogar muss“, betont Frickmann.
Laut Marian Klemm, Vorstandsvorsitzender des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) sind nachhaltige Geldanlagen inzwischen im Mainstream angekommen. So wurde im diesjährigen FNG-Marktbericht 2024 für Deutschland alles in allem 542,6 Milliarden Euro an Nachhaltigen Geldanlagen und 1.570 Milliarden Euro an „Verantwortlichen Investments“ erfasst. 2019 lag die Gesamtsumme nachhaltiger Geldanlagen noch bei 269,3 Milliarden Euro.
Ob BarmeniaGother, Stuttgarter, Swiss Life, Alte Leipziger, Pangaea Life, Fonds Finanz oder Vema: Bei Versicherern wie Vertrieb steht das Thema „Nachhaltigkeit“ voll auf der Agenda. Bei den Kunden, also den Anlegern und Altersvorsorgesparern, ist das aktuell eher weniger der Fall.
„Das Thema Nachhaltigkeit hat insgesamt in allen Belangen an Relevanz in der Gesellschaft nachgelassen. In den meisten Gesprächen steht in der Regel aktuell das Thema Rendite im Vordergrund“, sagt Gottfried Baer, Makler und Geschäftsführer der Mehrwert GmbH. Baer hat sich seit 2010 auf die Segmente nachhaltige Altersvorsorge und Kapitalanlage fokussiert und kennt den Markt wie seine Westentasche.
Grundsätzlich seien die Kunden für das Thema Nachhaltigkeit offen – sie sei aber nicht der Anlass, Beratung in Anspruch zu nehmen. „Wenn man das Thema aktiv anspricht, stößt es grundsätzlich auf positive Resonanz. Jedoch werden nachhaltige Fonds aktuell dann sehr schnell in den Renditevergleich mit konventionellen Fonds gestellt“, sagt Baer.
Nach Aussage von Volker Bohn, Nachhaltigkeitsbeauftragter der Stuttgarter Lebensversicherung, ist das sich hartnäckig haltende Klischee, dass nachhaltige Geldanlagen mit Renditeverzicht einhergingen, durch Studie der vergangenen Jahre längst widerlegt. „Das Risiko solcher Investments ist dabei nicht grundsätzlich höher oder niedriger; es hängt vielmehr von der jeweiligen Anlageform ab“, erklärt Bohn.
Zwar seien auch Unternehmen mit nachhaltigen Geschäftsmodellen nicht vor wirtschaftlichen Risiken gefeit, so Bohn, allerdings böten Unternehmen, die langfristig auf nachhaltige Ziele setzen würden, entscheidende Vorteile: Dies seien wirtschaftliche Vorteile aufgrund eines nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen, zufriedenere Mitarbeiter, gute Wachstumsperspektiven oder eine höhere Innovationsfähigkeit.
Seite 2: „Es gibt Kundengruppen, denen das Thema sehr wichtig ist“