Herr Wiedenmann, Sie sind Head of ETF, Indexing und Smart Beta Sales in Deutschland, Österreich und Osteuropa. Von außen betrachtet kann man den Eindruck gewinnen, dass das Segment ein Selbstläufer ist. Trügt der Schein? Wie sieht ihre Tätigkeit konkret aus?
Wiedenmann: ETFs werden von vielen Anlegern sehr geschätzt und sind inzwischen sowohl bei institutionellen als auch bei Privatanlegern breit etabliert. Hinsichtlich meiner Tätigkeit: Ich leite den Vertrieb für den Bereich ETF, Indexing und Smart Beta in Deutschland, Österreich und Osteuropa und betreue mit meinem Team die verschiedensten Kundengruppen. Neben den großen Banken und Finanzvertrieben zählen dazu auch institutionelle Kunden. Wenn wir zum Beispiel mit einer Versicherung einen Garantiefonds mit ETFs auflegen, dann ist das durchaus komplex. Es müssen viele Amundi-Experten-Teams zusammenarbeiten, um eine am Markt erfolgreiche Lösung zu erarbeiten, bei der idealerweise alles ineinander greift. Das institutionelle Segment ist sehr anspruchsvoll und man muss seine Expertise jeden Tag neu unter Beweis stellen. Dass ETFs als Selbstläufer angesehen werden, kommt eher aus der Retail-Welt. Und ja, ETFs sind im Privatsegment inzwischen im Mainstream angekommen. Aber auch das hat einiges an Arbiet gekostet.
Im vergangenen Jahr wurde die Integration von Lyxor abgeschlossen. Wie herausfordernd war diese Maßnahme?
Wiedenmann: Solche Maßnahmen sind naturgemäß herausfordernd. Aber es lief gut – nicht zuletzt dank unserer langjährigen Erfahrung mit Integrationen und der Mobilisierung unserer IT-Teams. Sie haben es geschafft, die Lyxor-Plattform effizient und in Rekordzeit in die technischen Systeme von Amundi zu migrieren. Jetzt geht es im Wesentlichen darum, das Rebranding der Produkte fortzusetzen und, was noch wichtiger ist, unsere Kunden weiterhin bestmöglich zu bedienen und sie bei ihren Herausforderungen in der Vermögensallokation zu begleiten.
Wie hat sich der ETF-Marktanteil dadurch erhöht, dass Lyxor jetzt integriert wurde?
Wiedenmann: Nach dem Zusammenschluss sind wir der größte ETF-Anbieter mit Hauptsitz in Europa, was für unsere Kunden – vor allem die aus Europa – ein wichtiges Argument ist. Wir haben beispielsweise nicht nur ein ähnliches regulatorisches Verständnis, sondern auch eine ähnliche Perspektive auf das Thema Nachhaltigkeit. Bei aller Individualität unserer Kunden sehen wir im Allgemeinen, dass europäische Anleger dem verantwortungsvollen Investieren einen höheren Stellenwert beimessen.
Welche Rolle spielen ESG-ETFs derzeit bei Amundi?
Wiedenmann: Seit Jahresbeginn bis Ende August hatten wir knapp 100 Milliarden Euro Nettomittelzuflüsse auf dem europäischen ETF-Markt, rund ein Drittel entfiel davon auf ESG-ETFs. Anleger haben also wieder einen größeren Anteil in ESG-ETFs als beispielsweise 2019 oder 2022 investiert. Der Trend ist also intakt. Für Amundi ist ESG seit der Unternehmensgründung extrem wichtig. Beispielsweise bieten wir den größten UCITS-ESG-ETF an und haben uns in den letzten Jahren eine sehr hohe Glaubwürdigkeit im Markt erarbeitet. Ein Beispiel dafür ist unser Abstimmungsverhalten bei Hauptversammlungen. Unabhängige Studien zeigen, dass wir regelmäßig als einer der führenden nachhaltigen Anbieter bewertet werden, der konsequent und mit einem hohen Anteil für nachhaltige Anträge auf Hauptversammlungen stimmt. Anleger erkennen heute immer mehr, dass sie bei ihren ESG-ETF-Investments immer auch einen Blick auf die Glaubwürdigkeit des ETF-Anbieters werfen sollten.
Viele Märkte sind bereits oder nähern sich rasch ihrem All-Time-High. Dadurch würden, so die Meinung einiger Experten, für ETFs schwere Zeiten anbrechen und aktive Portfolios an Attraktivität gewinnen. Erwarten Sie ebenfalls eine Konsolidierung im ETF-Markt?
Wiedenmann: Es wird ja immer wieder gesagt, dass jeder ETF seine Phase hat. Sie werden sich bestimmt daran erinnern, dass der Interbankenzinssatz früher schon mal bei vier, fünf Prozent lag und dass in der Folge Geldmarkt-ETFs Milliarden zugeflossen sind. Interessant ist, dass ETFs aus jeder volatilen Phase gestärkt hervorgegangen sind. Bezüglich der Inflation sehen wir, dass Privatkunden vor allem in Deutschland am Monatsende weniger Geld zur Verfügung haben und weniger investieren. Andererseits beobachten wir auch, dass Sparpläne quasi unverändert weiterlaufen. Das ist sehr interessant. Das hat allerdings nichts mit dem Markt zu tun, sondern mit der finanziellen Disposition jedes einzelnen. Bei allen Krisen hat man ETFs Schwierigkeiten vorausgesagt. Das Gegenteil ist aber passiert. Jede Krise und jede volatile Marktentwicklung deckt Schwächen auf. Das sind Phasen, in denen ETFs nicht überlegen sind aber das liefern, was man erwartet – positiv wie negativ. Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass ETFs auch von Portfoliomanagern für ihre aktiv verwalteten Fonds immer mehr als Bausteine eingesetzt werden.
Derzeit scheint sich ein Trend hin zu Themen-ETFs zu verfestigen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Wiedenmann: Wir bieten mittlerweile 16 Themen-ETFs mit einem Volumen von über 5,3 Milliarden Euro an. Themen-ETFs sind somit für uns und den ETF-Markt ingesamt wichtig. Je nach Marktentwicklung kommen immer wieder neue Themen hinzu – jetzt sind es beispielsweise Themen-ETFs Halbleiter und Robotics, die das Anlegerinteresse auf sich ziehen. Themen-ETFs werden im Allgemeinen zur Diversifizierung eines Portfolios eingesetzt oder mit dem Ziel, von einer bestimmten Marktdynamik zu profitieren und nicht als Kerninvestment. Dennoch sind sie eine interessante langfristige Anlagestrategie, die man in Betracht ziehen sollte.
Eine aktuelle Studie spricht davon, dass der US-ETF-Markt dem europäischen trotz einer deutlich größeren Zahl an Einwohnern in Sachen Volumina um drei bis fünf Jahre voraus sei. Ist der Gap auch aus Ihrer Sicht so gewaltig? Welchen Beitrag kann der größte europäische ETF-Anbieter leisten, um diese Lücke zu verringern?
Wiedenmann: Der US-Markt ist reifer und der Anteil der Privatkunden ist viel höher als in Europa. Dies ist hauptsächlich auf den Steuervorteil zurückzuführen, den Investments im ETF-Mantel bieten, aber auch auf die Art des Spar- und Rentensystems. In Europa gehören die deutschen Anleger wahrscheinlich zu den fortschrittlichsten ETF-Retail-Investoren, was sich beispielsweise in der Entwicklung der ETF-Sparpläne zeigt. Anleger sind sich zunehmend der Notwendigkeit bewusst, frühzeitig und regelmäßig zu investieren, um ihre finanzielle Zukunft auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. ETF-Investitionen als solche können einen echten Beitrag leisten, um Rentenlücke für die gesamte Bevölkerung zu schließen.
Schauen wir zum Schluss auf das nächste Jahr. Welche Trends sehen Sie da?
Wiedenmann: Der ETF-Markt sollte auch künftig weiter wachsen – auch dadurch, dass immer mehr Privatkunden auch in Europa in ETFs investieren. Deutschland war hier schon in der Vergangenheit einer der Vorreiter. Jetzt schwappt der Trend in alle europäischen Länder. Ein wichtiger Wachstumsmotor der kommenden Jahre wird auf jeden Fall der ETF-Sparplan sein. Auf der institutionellen Seite werden wir mehr und mehr ETF-Lösungen sehen. Dabei werden wir verschiedenste Kapazitäten bei Amundi nutzen, um zum Beispiel in München gemanagte Garantiefonds oder Multi-Asset-Portfolios auf ETF-Basis anzubieten.
Interview: Frank O. Milewski, Cash.