EU-Crowdinvesting-Regulierung: Der deutsche Schwarm hinkt hinterher

Simon Brunke, Exporo vor Büro-Hingtergrund
Foto: Carolin Thiersch
Simon Brunke, Exporo: "Nach und nach wird ein echter europäischer Wettbewerb entstehen."

Seit November benötigen Crowdinvesting-Plattformen eine Lizenz als European Crowdfunding Service Provider (ECSP), die dann europaweit gilt. Über 100 solche Plattformen gibt es in Europa schon. Deutschland ist mächtig im Hintertreffen. Zumindest Exporo-Chef Simon Brunke hat nun umgedacht.

Am 10. November 2023 war es so weit: Die schon verlängerte Übergangsfrist ist abgelaufen. Nach diesem Tag müssen in Deutschland die Anbieter von Crowd­investments über eine Lizenz als European Crowdfundig Service Provider (ECSP) verfügen, um über ihre digitalen Plattformen weiterhin die meistens klein gestückelten Kapitalanlagen ohne umfangreiche Prospekte anbieten zu dürfen. 

Die Erlaubnis ist europaweit gültig. Erteilt wird sie von der Aufsichtsbehörde im jeweiligen Heimatland, in Deutschland also der BaFin. Das Zulassungsverfahren wird als in etwa so aufwändig beschrieben wie für ein Wertpapierinstitut nach dem Kreditwesengesetz (KWG), also durchaus anspruchsvoll. Mit der Lizenz darf das Unternehmen dann über seine Online-Plattform unter anderem ohne Prospekt Wertpapiere bis zu einem Emissionsvolumen von jeweils fünf Millionen Euro und „echte“ Schuldverschreibungen (also ohne Nachrang der Anleger) und Kredite vermitteln. 

Ohne eine solche ECSP-Zulassung ist das Angebot von Crowdinvestments nun also nicht mehr erlaubt. Wirklich? Nein, anscheinend stimmt das nicht. Schwarmfinanzierungen (behördendeutsch für Crowdinvesting oder auch Crowdfunding) nach dem Vermögenanlagengesetz wie Nachrangdarlehen und Genussrechte sind weiterhin ohne ECSP-Lizenz möglich, so jedenfalls die gängige Lesart der Branche. 

Schon 110 ECSP-Plattformen in Europa zugelassen

Sie macht, zum Teil zumindest, einfach weiter wie bisher. Das belegt eine Stichprobe bei verschiedenen Plattformen, wobei durchaus eine ganze Reihe davon aktuell kein Angebot auf der Website haben. Ob das im Einzelfall am derzeit vor allem für Projektentwicklungen desolaten Immobilienmarkt liegt oder daran, dass die Plattform dem Frieden in Sachen ECSP nicht traut, wäre Spekulation.

Jedenfalls gibt es in Deutschland auch nach dem 10. November noch Vermögensanlagen-Angebote von Plattformen, die nicht erkennbar über eine ECSP-Lizenz verfügen, etwa laut ihrem Impressum. Auch in der ECSP-Datenbank der EU-Wertpapieraufsicht ESMA findet sich bislang nur eine einzige deutsche Plattform: Zinsbaustein (Stand 19. November 2023). Damit hinkt Deutschland dem Rest Europas meilenweit hinterher.

Denn die ESMA-Datenbank umfasst schon Mitte November nicht weniger als 110 zugelassene Plattformbetreiber aus 18 EU-Ländern. Spitzenreiter ist Frankreich mit 34 ECSPs (siehe Grafik nächste Seite). Jede einzelne der 110 Plattformen könnte damit europaweit aktiv werden, also auch in Deutschland.

17 Plattformen mit Angebot auch in Deutschland

Die meisten wollen sich indes zunächst auf den Heimatmarkt beschränken. Immerhin 17 der zugelassenen Crowdinvesting-Unternehmen aus dem Ausland haben gemäß der ESMA-Datenbank aber angekündigt, ihre Dienstleistungen auch in Deutschland anzubieten. Damit könnten die deutschen Plattformen mächtig ins Hintertreffen geraten und laufen Gefahr, von den ECSPs aus dem Ausland überrollt zu werden.

Dazu zählen zwei Plattformen aus Österreich, die schon zuvor auch in Deutschland tägig waren: Dagobertinvest und Conda. Beide haben nun einen wesentlichen Vorteil gegenüber den hiesigen Anbietern ohne ECSP-Lizenz: Sie können nicht nur mit der staatlichen Zulassung und Aufsicht werben, sondern auch klassische Kapitalmarktprodukte anbieten. „Das qualifizierte Nachrangdarlehen als vermitteltes Produkt ist out!“, betonte etwa Andreas Zederbauer, Vorstand der Dagobertinvest AG, im September bei einer Online-Pressekonferenz anlässlich der Lizenzerteilung. 

Bei seinen Emissionen kann nun – anders als bei den bisherigen qualifizierten Nachrangdarlehen der Plattform – auch ein unbedingter Rückzahlungsanspruch gegen den Darlehensnehmer vereinbart werden, also auch, wenn die Zahlungsverpflichtung zu dessen Insolvenz führen sollte. Zudem sei es nun auch möglich, für die Kredite echte bankenübliche Sicherheiten zu bestellen, so Zederbauer.

Derzeit teils verspäteten Rückzahlungen

Gerade in der aktuell schwierigen Phase des Immobilienmarkts kann das ein Vorteil sein, wenn die Sache nicht plangemäß läuft. Derzeit komme es vermehrt zu Verspätungen bei der Fertigstellung, und Verkaufsprozesse nehmen mehr Zeit in Anspruch als geplant, berichtet Dagobertinvest. Damit komme es auch zu teils verspäteten Rückzahlungen für Crowdinvestoren, räumte Zederbauer ein. 

„Bisher mussten Projektträger die Crowd-Darlehen nicht zurückführen, wenn dies ansonsten zu Liquiditätsproblemen geführt hätte. Das ändert sich nun: Mit Ende der vertraglich vereinbarten Darlehenslaufzeit ist fortan auch der Kredit fällig“, erklärte er. Das erhöht den Druck auf den Kreditnehmer. Allerdings bleibt es auch dann dabei: Wenn der nicht zahlen kann, kann er halt nicht zahlen. 

Den Anlegern bleibt dann nur, auf die Sicherheiten zu hoffen. Zederbauer hat deshalb ein eigenes Inkassoinstitut gegründet, das in einem solchen Fall die Ansprüche der Anleger bündeln und die Sicherheiten eintreiben soll. Auch diese Ansprüche zu „vercrowden“, nennt Zederbauer das. Für den einzelnen Anleger ist es angesichts der meist geringen Investitionssummen in der Regel wenig sinnvoll, Ansprüche individuell mit anwaltlicher oder gar gerichtlicher Hilfe durchsetzen zu wollen.

Conda: „Breites Spektrum von Anlegern erreichen“

Mit dem Erhalt der ECSP-Lizenz startet nun auch die Expansion von Dagobertinvest nach Ost- und Südosteuropa, zunächst nach Tschechien. Danach sollen die Slowakei und Polen und später unter anderem Ungarn, Rumänien und Bulgarien folgen. 

Auch Conda will mit der ECSP-Lizenz das Geschäft ausweiten, in Deutschland aber offenbar zunächst alles beim Alten lassen. Mit der neuen Conda Capital will die Gruppe ein „breites Spektrum neuer Assetklassen“ anbieten, darunter Aktien, Anleihen und Genussscheine, ab einem Emissionsvolumen von einer Million Euro, teilte Conda Ende September anlässlich der Lizenzerteilung mit.

Geschäftsführer Dirk Littig: „Unser Ziel ist es, ein breites Spektrum von Anlegern zu erreichen, von Retail-Investoren bis hin zu professionellen und semi-institutionellen Anlegern.“ Die strategische Erweiterung betrifft den Angaben zufolge jedoch ausschließlich die neue Plattform Conda Capital. Die bestehenden Angebote in Österreich, der Schweiz und  Deutschland für regionale Crowdinvesting-Kampagnen unter lokaler Regulierung sollen demnach erhalten bleiben. 

Branche hadert mit „Schwarmfinanzierung-Begleitgesetz“

Schon im Januar hatte die österreichische Finanzmarktaufsicht FMA einem weiteren Plattformbetreiber, der auch in Deutschland aktiv ist, die ECSP-Lizenz erteilt: Invesdor. Das Unternehmen ist ein Zusammenschluss aus der finnischen Invesdor, der deutschen Kapilendo sowie der österreichischen Finnest und hat sich im November 2022 auch die One Planet Crowd aus den Niederlanden einverleibt.

„Diese Lizenz bringt uns dem Ziel näher, der führende Anbieter von Crowdfundingdienstleistungen in Europa zu werden“, erklärte Christopher Grätz, CEO von Invesdor und einstiger Chef von Kapilendo. Die Lizenz der FMA sei nun für das gesamte Portfolio des Unternehmens gültig, also auch für den deutschen Arm. 

Dass Invesdor die ECSP-Lizenz nicht in der Kapilendo-Heimat Deutschland beantragt hat, ist sicher kein Zufall. Hierzulande hadert die Branche mit dem „Schwarmfinanzierung-Begleitgesetz“, mit dem 2021 die europäische ECSP-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt wurde. Der Bundesverband Crowdfunding bezeichnete die deutsche Vorschrift gar als „Schwarmfinanzierungsverhinderungsgesetz“.

Neuregelung im Bundestag verwässert

Grund war die bis heute gültige Regelung zur Haftung der Verantwortlichen. Das Haftungsregime würde dafür sorgen, dass Geschäftsführer, Mitarbeiter und Aufsichtsratsmitglieder mit ihrem persönlichen Vermögen für das Crowdfunding haften, so der Verband. Ein No-Go.

Umso größer war die Erleichterung, als im Frühjahr 2023 der Entwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes vorsah, dass die Haftung auf den Emittenten beschränkt wird und nur bei grober Fahrlässigkeit greift. Im Gegenzug war eine Beweislastumkehr geplant. Der Emittent sollte demnach im Streitfall beweisen müssen, dass er nicht grob fahrlässig gehandelt hat und nicht der Kläger, dass dies der Fall war.

Doch es kam anders. Im Regierungsentwurf, der im November vom Bundestag verabschiedet wurde, ist zwar weiterhin die Haftung auf den Emittenten beschränkt, sie soll aber schon bei einfacher Fahrlässigkeit greifen können. Stattdessen entfällt die Beweislastumkehr.

Deutschland hinkt weiter hinterher

Dem Crowdfunding-Verband passt das gar nicht. Er hält anscheinend auch die neue Regelung für ein No-Go,  warum auch immer. Jedenfalls schreibt der Verband, er habe in der Bundestags-Anhörung zum Gesetzentwurf deutlich gemacht, „dass das ECSP-Haftungsregime dazu führen wird, dass die Emittenten weiterhin die Schwarmfinanzierungsausnahme nutzen werden“. Offenbar ist er sicher, dass dies weiterhin möglich ist.

Nach der Verabschiedung im Bundestag ist das Zukunftsfinanzierungsgesetz, das nicht nur Crowdinvesting betrifft, im Bundesrat gelandet und dort zunächst in den Vermittlungsausschuss verwiesen worden. Bei Redaktionsschluss war noch offen, ob in dem Bereich noch Änderungen vorgenommen werden. Zumindest ist wohl die persönliche Haftung der Verantwortlichen vom Tisch. Trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass Deutschland wegen des Haftungs-Themas weiter hinterherhinkt – und damit das Feld Akteuren aus dem Ausland überlässt.

Wie viele deutsche Plattformen nach Bekanntwerden des ersten Entwurfs für das Zukunftsfinanzierungsgesetz doch noch einen ECSP-Antrag bei der BaFin gestellt haben und noch im Zulassungsverfahren stecken, ist nicht bekannt. Marktführer Exporo jedenfalls hat sich nach anfänglichem Zögern dazu entschlossen.

Nächste Seite: Warum Exporo-Chef Brunke umgedacht hat

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

1 2Startseite
Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments