EU-Kleinanlegerstrategie: Ziel, Anleger stärker am Kapitalmarkt zu beteiligen, könnte scheitern

Symbolbild EU Regulierung ESMA
Foto: PantherMedia / designer491 (YAYMicro)
Neue EU-Kleinanlegerstrategie hinterlässt in der jetzigen Entwurfsform viele Fragezeichen.

Die Experten der Wirtschaftskanzlei Simmons & Simmons sehen in dem von der EU-Kommission vorgelegten Gesetzentwurf einer Kleinanlegerstrategie viel Interpretationsspielraum und die Gefahr der Einführung eines Provisionsverbots durch die Hintertür.

Die EU-Kommission hat ihre finalen Pläne für die EU-Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategy) vorgestellt. Mit der neuen Richtlinie soll die Beteiligung von Kleinanlegern am Kapitalmarkt durch strenge Schutzmaßnahmen und durch kostensenkende Regelungen verstärkt werden. Hierzu plant die EU, eine Verbesserung der Transparenz, insbesondere in Bezug auf die Kosten, verschärfte Vorschriften gegen irreführende Marketingkommunikation, Vorschriften zur Gewährleistung einer unparteiischen und qualitativ hochwertigen Beratung sowie dafür, dass die an Kleinanleger vertriebenen Produkte ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten.  

„Sowohl auf Anlegerinnen und Anleger als auch auf die Finanz- und Versicherungsbranche kommen erneut einige wesentliche Veränderungen zu. Gleichzeitig bleibt bei einigen Punkten weiterhin ein großer Interpretationsspielraum, der zu Rechtsunsicherheit bei Finanz- und Versicherungsunternehmen führen könnte und weiterer Spezifizierung bedarf“, kommentiert Jochen Kindermann, Partner und Spezialist für Bank- und Kapitalmarktrecht bei der Kanzlei Simmons & Simmons.

Zwar ist ein generelles Provisionsverbot nicht in der Richtlinie enthalten, doch für Teilbereiche des Marktes könnte die vorgeschlagene Regelung sehr wohl relevant werden. Über das vorgesehene Provisionsverbot bei „execution-only“-Geschäften zusammen mit dem kommentierenden Q&A könnte nach Einschätzung von Jochen Kindermann das ursprüngliche Ziel der EU-Kommission eines generellen Provisionsverbots zumindest zum Teil doch verwirklicht werden. 

Speziell mit Hinblick auf Provisionen im Bereich Versicherungen legt der Richtlinienentwurf fest, dass den Anlageinteressenten und späteren Kunden Informationen zu den direkten und indirekten Kosten der Produkte und Anlagen mitgeteilt werden. Neu ist dabei die Pflicht, auch über die Kosten jährlich zu informieren. Nach Ansicht von Udo Pickartz, Counsel und Spezialist für Versicherungsrecht bei Simmons & Simmons, bedeutet dies, dass sich nicht nur die Produktinformationsblätter, sondern auch die Wert- und Performancemitteilungen werden ändern müssen. „Es wird interessant sein, wie die entsprechenden Kosten auszuweisen und zu berechnen sind, da insbesondere bei Lebensversicherungen eine Verteilung von Kosten über einen Teil der Laufzeit stattfindet. Wie bei jeder Richtlinie stellt sich ferner die Frage, wie die Umsetzung in nationales Recht aussieht und ob eine uneinheitliche Umsetzung dem erklärten Ziel der EU, den EU-Kapitalmarkt zu vereinheitlichen und zu stärken, nicht entgegenläuft“, erklärt Udo Pickartz.

Provisionsverbot nur aufgeschoben – Finanzbranche sollte sich vorbereiten

Auch wenn ein generelles Provisionsverbot für die Vermittlung von Finanz- und Versicherungsprodukten nicht in die EU-Richtlinie integriert wurde, sieht Jochen Kindermann die Finanz- und Versicherungsbranche in der Pflicht, sich zu wappnen. „Die EU-Kommission hat klargemacht, dass die im Vorfeld durchgeführte Konsultation durchaus Argumente für ein generelles Provisionsverbot geliefert hat. Drei Jahre nach Inkrafttreten der neuen Regeln will die Kommission prüfen, ob die gewünschten Verbesserungen eingetreten sind. Sollte es weiter aus ihrer Sicht verbraucherschädliche Praktiken geben, könnte ein generelles Provisionsverbot also spätestens in drei Jahren auf den Weg gebracht werden”, erklärt Kindermann.

Kindermann rät Unternehmen der Finanzbranche, das Thema anzugehen und sich frühzeitig Gedanken über ein generelles Provisionsverbot zu machen. „Die Konsequenz wird vielfältig sein. Es geht einerseits darum, für sich zu definieren, wie Beratung künftig ausgestaltet wird und welchen Stellenwert unabhängige Beratung haben soll. Andererseits werden sich auch diverse Dokumentationsprozesse ändern müssen”, erklärt Jochen Kindermann.

In der Versicherungsbranche ist ein Provisionsverbot schon lange Thema, selbst in Sparten, die mit Investments nichts zu tun haben. Als Hintergrund wurde und wird regelmäßig die Vermeidung möglicher Interessenkonflikte genannt. „Es stellt sich die Frage, ob der derzeitige Entwurf der Richtlinienverordnung hier nicht bereits ein Schritt der Einführung eines Verbots durch die Hintertür und der nächste Schritt zur verpflichtenden Honorarberatung ist“, erklärt Udo Pickartz.

Provisionsverbot bei „execution-only“-Geschäften: Hemmschwelle für Anleger?

Einige Vorgaben in der EU-Richtlinie könnten nach Ansicht von Jochen Kindermann das Ziel, Anleger stärker am Kapitalmarkt zu beteiligen, im Ergebnis konterkarieren. Beispielsweise würde ein Provisionsverbot bei „execution-only“-Geschäften beim Kauf eines Fonds anfallende Ausgabeprovisionen, jährlich wiederkehrende Bestandsprovisionen für das Halten von Fonds im Bestand, aber auch die bei Neobrokern besonders umsatzrelevanten und jeweils beim Kauf von ETFs anfallenden Kickbacks betreffen. „Dem bisherigen Geschäftsmodell von Neobrokern, die durch benutzerfreundliche Apps viele Anleger für den Kapitalmarkt gewonnen haben, könnte dadurch die Grundlage entzogen werden. Eine Einführung von monatlichen Abogebühren oder auch die Erhöhung von Transaktionsgebühren könnten denkbare Folgen sein. Dies könnte wiederum die Nutzerzahlen stark sinken lassen und somit abschreckend auf eine Beteiligung am Kapitalmarkt wirken”, führt Kindermann aus.

Verschärfte Transparenzpflichten für Anlageberater, mögliche Entschädigung für unangemessene Kosten

Weiterer Bestandteil der EU-Kleinanlegerstrategie ist eine Verschärfung der Transparenzpflichten und Verhaltensregeln für Anlageberater. Der neue „Best-Interest“-Test für Finanzberater sieht vor, dass sie eine breitere Produktpalette heranziehen und das kostengünstigste Produkt empfehlen müssen. Um Produkte vergleichbar zu machen, sollen die EU-Finanzaufsicht ESMA und die Versicherungsaufsicht EIOPA Benchmarks entwickeln, anhand derer nachgewiesen werden kann, dass die Kosten eines Produkts gerechtfertigt und verhältnismäßig sind.

„Eine Abweichung von diesen Maßstäben bedeutet, dass das Produkt kein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis hat. Die Folge wäre ein faktisches Verkaufsverbot, denn Vermögensverwalter, Versicherer und Banken sollen nur noch dann Fonds und andere Anlageprodukte in der EU verkaufen dürfen, wenn sie nachweislich ein gutes beziehungsweise angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten”, erklärt Jochen Kindermann. Sollte es dazu kommen, dass dem Anleger unangemessene Kosten in Rechnung gestellt werden, sieht die Richtlinie eine Entschädigung der Anleger für unangemessene Kosten vor.

Warnhinweise sollen Kleinanleger zudem vor besonders risikoreichen Produkten schützen. Hierzu werden Wertpapierfirmen, Versicherungsvermittler und Versicherungsunternehmen in die Pflicht genommen, auch können zuständige Behörden die Verwendung von Risikowarnungen für besonders riskante Produkte vorschreiben.

Auch sollen berufliche Anforderungen an Finanzberater verschärft werden. Um die Qualität der Beratung zu verbessern und gleiche Wettbewerbsbedingungen in der gesamten EU zu gewährleisten, sollen strengere gemeinsame Mindeststandards für die erforderlichen Kenntnisse und Kompetenzen eingeführt werden. Regelmäßige berufliche Weiterbildung und Schulungen wären demnach obligatorisch.

Auf der anderen Seite senkt die EU die Schwelle für das Anlagevermögen, ab dem man sich als professioneller Anleger qualifiziert – und zwar von 500.000 auf 250.000 Euro. An Kunden  ab diesem Anlagevermögen können bestimmte Produkte somit leichter verkauft werden.

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