Demnach konnten die Verantwortlichen für etwaige Fehler in den Unterlagen schon bei leichter Fahrlässigkeit persönlich mit ihrem Privatvermögen in die Haftung genommen werden. Als „Schwarmfinanzierungsverhinderungsgesetz“ bezeichnete der Branchenverband die Vorschrift nach der Verabschiedung im Mai 2021 gar.
Korrigiert wurde dies erst mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz, das im November 2023 Bundestag und Bundesrat passierte und Anfang 2024 in Kraft getreten ist (nicht zu verwechseln mit dem etwa zur gleichen Zeit diskutierten Wachstumschancengesetz). Seitdem haften bei ECSP- wie bei anderen Kapitalmarkt-Emissionen grundsätzlich nur die Unternehmen, nicht aber die Geschäftsführer persönlich. Das gilt zwar auch bei einfacher Fahrlässigkeit, was dem Branchenverband gar nicht schmeckt, der wesentliche Bremsklotz ist damit aber beseitigt.
Einbruch am Immobilienmarkt
Der dritte Grund für die noch wenigen ECSP-Zulassungen in Deutschland dürfte der Einbruch am Immobilienmarkt sein. Die meisten deutschen Plattformen haben Immobilien-Projektentwicklungen finanziert und dabei die Lücke zwischen dem Eigenkapital des Entwicklers und der (regelmäßig vorrangigen) Bankfinanzierung gefüllt. Gerade dieses Marktsegment ist durch die stark gestiegenen Zinsen, die Explosion der Baukosten und kräftig erodierende Immobilienpreise mächtig unter die Räder gekommen. Nach dem Eigenkapital und eventuellen Bürgschaften der Entwickler am stärksten gefährdet: Das nachrangige Mezzanine-Kapital der Crowdinvestoren.
Die Schlagzeilen dominierten vor allem eine Reihe an Großpleiten in der Immobilienbranche. Doch auch ungezählte kleine Projektentwickler, Bauträger und Projektgesellschaften hat die Krise wohl hinweggefegt. So veröffentlichte die Zeitschrift „Finanztest“ unlängst (Ausgabe 2/2024) eine Untersuchung aller 2.760 Schwarm-Vermögensanlagen seit 2015 bis 2022 und machte bis Ende Oktober 2023 insgesamt 255 Insolvenzen aus. Davon entfielen allein 61 auf 2022 und 63 auf Januar bis Oktober 2023. Fast alle der 16 größeren Plattformbetreiber (einschließlich vier Unternehmen aus Österreich) haben demnach Insolvenzen in ihrem Portfolio zu verzeichnen. Bei gut 300 weiteren Projekten waren laut Finanztest Zahlungen überfällig. Insgesamt rund 20 Prozent aller Schwarm-Emissionen sind demnach notleidend oder zumindest gefährdet.
Das beflügelt auch das Neugeschäft nicht unbedingt. So liegen nicht wenige der deutschen Plattformen mit Immobilien-Schwerpunkt, die etwa das Informationsportal crowdfundig.de auflistet, brach. Die wenigsten davon dürften derzeit über die Ressourcen für ein ECSP-Zulassungsverfahren verfügen. Manche Plattform-Websites machen den Eindruck, als sei dort seit Monaten oder gar Jahren nichts passiert und es habe bislang nur niemand daran gedacht, die Seite abzuschalten.
Zu den Ausnahmen mit einiger Aktivität zählen Geno Crowd, DKB Crowd und GLS Crowd, bei denen bekannte Bank-Logos für Vertrauen sorgen (wobei Geno- sowie DKB Crowd von Portagon-Tochtergesellschaften betrieben werden und GLS Crowd ein gebundener Vermittler des Haftungsdachs Concedus ist). Auch Finexity agiert als gebundener Vermittler der Effecta im regulierten Segment und bietet Ende April auf der Plattform vier Token-Emissionen – mit jeweils unter 100.000 Euro Zielvolumen – zur Zeichnung an: Digitale Beteiligungen an zwei Brillianten, einer Kollektion mit 156 Flaschen Wein aus Kalifornien, einem Auto und einer Immobilie.
Aktivität auf ECSP-Plattformen
Aktivität verzeichnen auch die Seiten der ECSP-Plattformen Zinsbaustein, Exporo sowie Engel & Völkers Digital Invest. Dort finden sich sowohl aktuelle Emissionen als auch die Ankündigung weiterer Projekte. Lediglich bei Bergfürst ist bis Redaktionsschluss noch keine Neuemissions-Aktivität auf der Website ersichtlich, was wahrscheinlich auch darauf zurückzuführen ist, dass die Plattform die ECSP-Lizenz erst wenige Tage zuvor erhalten hat.
Wie haben sich nun aus Sicht der Plattformen das Produktangebot und das Kundenverhalten nach dem Erhalt der ECSP-Erlaubnis verändert, etwa hinsichtlich Art, Anzahl und Größe der Emissionen oder der Platzierungsgeschwindigkeit? „Zunächst ermöglicht die ECSP-Lizenz, eine regulierte europäische Plattform deutlich einfacher umzusetzen. Exporo kann jetzt auch schneller Partnerschaften schließen und natürlich auch Investments in beispielsweise Frankreich oder Portugal bieten. Hinsichtlich der Größe und Anzahl der Emissionen sind Auswirkungen noch nicht zu erkennen, da wir erst im Dezember 2023 mit ECSP-Projekten gestartet sind“, antwortet Simon Brunke, CEO von Exporo.
Die ECSP-Lizenz trage grundsätzlich dazu bei, das Vertrauen der Investoren weiter zu stärken, da diese ein streng regulatorisches Umfeld biete, in dem Investitionen noch besser geschützt sind, so Brunke. „Allerdings waren wir als Wertpapierinstitut bisher auch schon der Aufsicht der BaFin und den strengen regulatorischen Vorgaben aus der Wertpapierinstitutsverordnung unterworfen. Eine konkrete Veränderung im Verhalten unserer Anleger konnten wir bisher nicht feststellen, dies lässt sich gegebenenfalls ebenfalls erst nach einem längeren Zeitraum von der Einführung der Lizenz ableiten“, sagt er.
EV Digital Invest hingegen berichtet über die ersten ECSP-Projekte, die das Unternehmen seit Erhalt der Lizenz im Januar 2024 platziert hat: „Die durchschnittliche Zeichnungssumme hat vergleichbar mit vorherigen Projekten einen spürbaren Sprung nach oben gemacht.“ Es handelte sich unter anderem um zwei nachhaltige Logistikimmobilien-Projekte mit einem Volumen von jeweils 1,9 Millionen Euro. „Bereits innerhalb weniger Stunden konnten die ersten ECSP-Projekte vollständig finanziert werden“, so EV Digital Invest.