Deutschland hat Millionen Unternehmen und rund 45 Millionen Berufstätige: Ende 2022 hatten rund 1,76 Millionen Menschen eine betriebliche Krankenversicherung. Etwa 22.300 Firmen/Unternehmen hatten ihren Mitarbeitern eine bKV angeboten. Wie haben sich die Zahlen bei Ihnen entwickelt?
Wiesemann: Wir können beim Thema bKV weiterhin dynamische Neugeschäftszahlen beobachten. Der PKV-Verband hatte für den Gesamtmarkt ebenfalls eine deutliche Neugeschäftssteigerung gesehen. Bei uns im Haus hat sich das Neugeschäft mit Blick auf die Beiträge im Vergleich zum Vorjahr 2021 knapp verdoppelt. Bezogen auf die Verträge wurde mehr als jede dritte betriebliche Krankenversicherung bei der Allianz PKV (APKV) abgeschlossen.
Die Pandemie hat die Welt verändert und die Sensibilität bei den Themen Gesundheit und Gesunderhaltung erhöht. Der Ukraine-Kriege, die massiv gestiegenen Preise für Energie, Heizkosten, Werkstoffe, die deutlich steigenden Personalkosten und immer noch hohe Inflationsraten stellen viele Unternehmen vor Herausforderungen. Wie herausfordernd ist es derzeit, auf Firmen und Unternehmen zuzugehen?
Wiesemann: Wir sehen hier keine Zurückhaltung bei diesem Thema. Die Herausforderungen für die Firmen in der aktuellen Situation sind sicher vielfältig. Es gibt aber eine Herausforderung, die sich für alle Branchen als ganz besonders herausstellt und das ist der Mangel an Arbeitskräften. Wir erleben, dass die Babyboomer jetzt kohortenweise in den Ruhestand gehen. Und diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Das ist am Arbeitsmarkt – der sich zunehmend zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt – spürbar. Insofern überlegen immer mehr Arbeitgeber, wie sie sich im Arbeitsmarkt positionieren können. Und da spielt die bKV eine bedeutende Rolle.
Das heißt, dass die Unternehmen trotz der wirtschaftlich fordernden Situation bereit sind, das Benefit anzubieten?
Wiesemann: Benefits sind tatsächlich die Währung, wenn es darum geht, Talente zu gewinnen. Arbeitgeber können über wertige Benefits sehr gut zeigen, wie attraktiv sie sind. Es geht hierbei nicht nur um Mitarbeiterfindung, sondern auch um Mitarbeiterbindung. Gerade bei der Gen Z ist die Loyalität zum Arbeitgeber geringer als bei früheren Generationen. Insofern ist das eine doppelte Herausforderung für Unternehmen.
Entscheiden sich in der aktuellen Situation Unternehmen dafür, die bKV auszusetzen oder gar zu kündigen?
Wiesemann: Nein. Das können wir nicht beobachten. Im Gegenteil. Die Nachfrage ist nach wie vor hoch. Wir haben eine repräsentative Umfrage durchführen lassen, wonach in Deutschland rund 54 Prozent der Firmen, die noch keine bKV anbieten, dieser offen gegenüberstehen. Angesichts der Tatsache, dass gerade einmal rund fünf Prozent der Firmen eine bKV eingerichtet haben, ist das eine hohe Zahl. Das zeigt, die Nachfrage ist da. Das hat einerseits damit zu tun, dass Benefits gesucht sind. Andererseits ist die bKV eine sehr effiziente Maßnahme. Man kann mit überschaubaren Beträgen eine sehr hohe Wirkung als Arbeitgeber erzeugen. Denn: Mitarbeiter erleben über die bKV in den Firmen direkt, dass sich der Arbeitgeber um ihre Gesundheit kümmert. Das schafft auch eine emotionale Bindung. Gesundheit hat in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert. Es gibt dazu eine regelmäßige Erhebung, den so genannten „Werteindex“. Hier standen viele Jahre Werte wie Freiheit oder Familie ganz oben. Mittlerweile ist Gesundheit Wert Nummer Eins. Arbeitgeber haben über eine bKV die Möglichkeit, ihren Mitarbeitern bei diesem wichtigen Thema zusätzliche Wertschätzung zu zeigen.
Spielt die bKV in den Gesprächen eine wichtigere Rolle als die bAV?
Wiesemann: In unserer Umfrage haben wir gefragt, was die interessantesten Personalzusatzleistungen aus Arbeitgeber- und aus Arbeitnehmersicht sind. Da ist die betriebliche Altersvorsorge (bAV) nach wie vor Nummer Eins. Aber zu den Top-Fünf genannten Benefits gehören auch eine vom Arbeitgeber finanzierte Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) und die bKV. Interessant ist: Arbeitnehmer bewerten die bKV sogar noch höher als Arbeitgeber. Das unterstreicht die Bedeutung der bKV aus Arbeitnehmersicht.
In den Beratungsgesprächen gehen wir aber generell nicht vom Produkt aus, sondern kommen über die Fragestellung: Wie können wir den jeweiligen Firmenkunden am besten unterstützen, welche Benefits würden am besten zum Unternehmen passen? Dabei sehen wir betriebliche Vorsorge bei der Allianz als Gesamtkonzept. Sie setzt sich zusammen aus bAV, der BU oder Grundfähigkeitsversicherung als betrieblicher Arbeitskraftsicherung, und eben der betrieblichen Krankenversicherung.
Bei der bAV geht es um die Zukunftsvorsorge. Das ist weiterhin zentral vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung. Die bKV ist hingegen sofort erlebbar. Und die betriebliche Arbeitskraftsicherung greift im schlimmsten Fall, dass die Arbeitskraft nicht mehr vorhanden ist. Diese drei Themen ergänzen sich ideal. Der Arbeitgeber kann damit sehr wertige Benefits zusammenstellen.
Wie bringt man bei Firmen, die finanziell wirklich genau hinschauen müssen, die bKV nach vorne? Oder spielen in der betrieblichen Vorsorge bAV und bKV letztlich in einem Team?
Wiesemann: Das ist stets abhängig von der individuellen Situation. Doch im Endeffekt geht es darum, dass eine Firma ein gutes Paket aus Sofort-Erlebbarem und der Absicherung für die fernere Zukunft zusammenzustellen kann. Ich sehe hier keinen Widerspruch. Ich erlebe das auch in der Praxis, dass beide – bKV und bAV – angeboten werden. Wir sehen, dass bei Unternehmen, die eine bKV einrichten, auch häufig die Umwandlungsraten bei der bAV-Entgeltumwandlung nach oben gehen. Das liegt einfach daran, dass ich im Unternehmen eine positive Botschaft für die Arbeitnehmer habe. Wenn ich über das Benefit bKV spreche, kann ich in die Kommunikation einbauen, dass es auch noch eine Betriebsrente gibt. Die Dinge ergänzen sich mehr, als man denkt.
Laut einer Mittelstands-Umfrage eines Versicherers bieten gerade zehn Prozent der KMU eine bKV an. Haben Sie eine Erklärung, warum immer noch so viele Firmen beim Thema bKV zurückhalten?
Wiesemann: Richtig, wir stehen noch am Anfang. Aber gerade das macht die bKV doch erst spannend. Einerseits ist das Marktpotenzial groß. Andererseits bietet die bKV auch die Möglichkeit, sich als Arbeitgeber positiv von Wettbewerbern abzuheben – mit einem Benefit, den noch nicht so viele andere bieten.
Die Informationsdefizite der Unternehmen bei dem Thema bKV scheinen größer. Das zeigen zumindest Gespräche, die wir als Redaktion mit Versicherern und Vertrieb geführt haben. Viele Unternehmer oder Inhaber vermuten hier erst einmal eine weitere gesetzliche Absicherung. Fällt dann der Begriff Benefit und wird es genauer erklärt, ist das Interesse geweckt. Machen ihre Partner diese Erfahrungen ebenfalls?
Wiesemann: Aus der Perspektive der Vermittler ist der Weg, den wir empfehlen, über die spezifische Kundensituation zu kommen, nicht über das Produkt. Ein guter Vermittler positioniert sich als Lösungsanbieter. Als jemand, der seine Firmenkunden, die ja auch Arbeitgeber sind, strategisch berät, wie sie mit dem Themen Personalfindung und Personalbindung umgehen können. Wichtig ist, erst einmal zuzuhören. Wo sind die größten Druckpunkte? Um dann zu schauen, mit welchen Instrumenten man am besten agieren kann. Erst danach kommt die Produktauswahl. Ich empfehle sehr, diesen Weg einzuschlagen. Das ist kundenorientiert und entspricht dem Bedürfnis der Arbeitgeber.
Zielgruppe für die bKV sind die Mitarbeiter, also Endkunden. Entscheiden müssen aber Firmenleitung, BGM, Personalabteilung, Betriebsrat. Wie schwierig und langwierig ist der Entscheidungsfindungsprozess. Und wie groß ist der Aufwand bei der Anbahnung und den Beratungsgesprächen?
Wiesemann: Das ist durchaus unterschiedlich und kann manchmal auch ein etwas längerer Weg werden. Es lohnt sich aber, ihn einzuschlagen. Das zeigen die Wachstumszahlen im Markt sehr eindrücklich. In der Regel ist es so, dass die Personalverantwortlichen einer Firma die ersten sind, die sich für eine bKV begeistern. Weil sie ganz konkret vor der Herausforderung stehen, gutes Personal zu finden und zu halten. Und sie erkennen sehr schnell, dass eine „Krankenversicherung bezahlt vom Chef“ eine sehr positive Wirkung auf die Mitarbeiter hat. Hier kann man in der Regel sehr schnell andocken.
Im Gespräch mit den Finanzverantwortlichen ist es dann sinnvoll, den ökonomischen Hebel aufzuzeigen. Denn die bKV ist ja im Regelfall arbeitgeberfinanziert. Aber auch hier lohnt sie sich für Unternehmen, wenn man betrachtet, wie hoch Mitarbeitergewinnungskosten, Ausfallkosten und Fluktuationskosten sein können. Es gab vor einigen Jahren eine Berechnung der RWTH Aachen vom dortigen Institut für Arbeitswissenschaften, wonach die Fluktuationskosten je Mitarbeiter etwa 125 Prozent eines Jahresgehalts betragen. Es lohnt sich also durchaus ökonomisch, als Unternehmen Instrumente zu nutzen, die die Fluktuation niedriger halten und die Bindung stärken können. Und da sollte man im Hinterkopf haben, dass ein wertige bKV mit Budgettarif in der Regel schon ab 25 bis 30 Euro pro Mitarbeiter und Monat eingerichtet werden kann. Außerdem zeigt der Arbeitgeber mit einer bKV glaubwürdig, dass er für seine Mitarbeiter auch eine soziale Verantwortung übernimmt.
Man sieht: Vermittler können im Anbahnungsprozess gut aufzeigen, dass die bKV personalpolitisch, finanziell und eben auch unter sozialen Gesichtspunkten, einzahlt. Sie ist aber kein Produkt, das ich eben mal im Vorbeigehen verkaufe.
Stößt das, was Unternehmen planen, bei den Mitarbeitern dann wirklich auf die Wertschätzung. Welche Erfahrungen machen Sie hier?
Wiesemann: Auch bei der Allianz in Deutschland haben wir für unsere eigenen rund 26.000 Mitarbeiter eine bKV eingerichtet. Das war eine Maßnahme, die extrem viel positives Feedback aus der Belegschaft bekommen hat. Und so erleben wir das auch bei unseren Firmenkunden. Es ist allerdings auch wichtig, als Arbeitgeber die bKV nicht nur einzurichten, sondern ihre Leistungen gut zu kommunizieren und das neue „Extra“ über das Intranet, Mailings, oder Mitarbeiterveranstaltungen bekannt zu machen. Alle bKV-Angebote der Allianz enthalten zum Beispiel zusätzliche Gesundheitsservices, wie ärztliche Videosprechstunden, Terminvermittlung beim Facharzt oder auch Pflegeassistance-Leistungen – und Arbeitgeber können damit noch einmal mehr bei ihren Angestellten punkten. Die Gesundheitsservices sind übrigens auch für die Familienangehörigen der Versicherten kostenfrei. Sprich: Kinder, Partner, Eltern der Mitarbeiter. Das wird sehr positiv angenommen. Aus Sicht des Arbeitgebers ist das ebenfalls vorteilhaft: Wenn ich weiß, dass meine Mitarbeiter schnell einen Facharzttermin erhalten, nutzt das auch dem Unternehmen.
2022 ging mehr als jeder dritte bKV-Vertrag an die Allianz. Was gibt eigentlich den Ausschlag, für welchen Anbieter sich ein Unternehmen entscheidet. Ist es der Namen, also die Marke, der Service, der Preis?
Wiesemann: Wie häufig im Vertrieb ist das nie monokausal. Es ist das Gesamtpaket, das in Summe stimmen muss. Der Vorteil bei uns im Haus ist für Vermittler der gute Zugang zu Firmenkunden. Viele haben bei uns bereits eine bAV eingerichtet oder sind in der Gewerbeversicherung mit der Allianz unterwegs. Daneben spielt sicherlich auch die Reputation des Versicherers beim Arbeitgeber eine Rolle. Er vertraut schließlich seine Arbeitnehmer dieser Versicherungsgesellschaft an. Ebenfalls wichtig ist, wie gut ein Versicherer Vermittler und Arbeitgeber im gesamten Prozess unterstützt: Vom ersten Gespräch bis hin zur tatsächlichen Einrichtung der bKV und der Mitarbeiterinformation am Schluss. Wir begleiten den Vermittler auf dem ganzen Weg, wenn er es wünscht. Zu all dem kommt natürlich die Flexibilität der Produktpalette – es geht ja letztlich darum, eine Lösung zu finden, die genau zu der Situation des jeweiligen Betriebs passt. Deshalb bieten wir sowohl Budget- als auch Bausteintarife sowie Kombinationsmöglichkeiten an – dazu die Services in allen Tarifen.
Einige Gesellschaften setzen auf Budget-Tarife, andere auf Bausteine. Welches ist Ihren Augen die bessere Option? Wie geht die Allianz das Thema bKV an?
Wiesemann: Der Charme der Budgettarife liegt darin, dass man sich als Arbeitgeber nicht festlegen muss, welche Leistungen die bKV abdeckt. Das ist sehr flexibel für die Arbeitnehmer. Doch es gibt Bereiche, in denen das Budget relativ schnell an seine Grenzen stößt, etwa beim Zahnersatz. Hier hat die gesetzliche Krankenversicherung besonders große Lücken. Wir wollten deshalb von Anfang an eine Lösung schaffen, bei der sich die Flexibilität des Budgets mit einer hohen Absicherung beim Zahnersatz kombinieren lässt. In den entsprechenden Tarifen belasten daher die Zahnersatzleistungen nicht das Budget, sondern werden extra erstattet. Das kommt gut bei unseren Firmenkunden an: Arbeitgeber fragen häufig diese Kombination nach.
Im Geschäftsfeld setzen sich nur wenige hundert Vermittler mit dem Thema auseinander. Wie sieht es bei der Allianz PKV ist. Sind es nur die Gewerbevermittler und der bAV-Experten oder die PKV-Spezialisten? Der Einzelkämpfer dürfte eher kaum die bKV anbieten?
Wiesemann: Das glaube ich nicht. Wir haben bei der Allianz eine sehr breite Basis im Vertrieb, die die bKV vermittelt. Das sind große Agenturen, Industriemakler und viele mittelständische Vermittler. Wir haben aber auch sehr viele kleine Vermittler, die das Thema angehen. Sie alle haben unterschiedliche Zugänge zu unterschiedlichen Segmenten des Firmenkundengeschäfts. Und wenn wir uns die deutsche Unternehmensstruktur anschauen, gibt es eine sehr große Anzahl an kleinen Unternehmen. Wir bieten die bKV ab fünf versicherten Risiken, also Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an. Auch ein kleines Unternehmen kann also eine bKV installieren. Die Herausforderungen für Arbeitgeber sind dabei gar nicht so unterschiedlich. Gerade kleine Firmen im ländlichen Raum tun sich eventuell noch schwerer, Personal zu finden. Ich sehe die bKV nicht nur als Spielwiese der großen Vermittler. Und das sehe ich auch an unseren Zahlen.
Welche Rolle spielen die sozialen Medien in der bKV für den Vertrieb?
Wiesemann: Sie spielen eine Rolle dabei, Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen und Bewusstsein zu generieren. Wir unterstützen unsere Vermittler hier auf Wunsch mit einer Social Media Toolbox und entsprechenden Vorlagen. Als Firmenlösung, bei der der Arbeitgeber Versicherungsnehmer ist, ist die bKV aber ein Beratungsprodukt. Für den ersten Impuls kann da Social Media hilfreich sein. Der Beratungsprozess findet jedoch in persönlichen Gesprächen oder Videokonferenzen statt.
Gesundheit ist ein Megatrend und in den ESG-Zielen definiert. Aktuell konkurriert die bKV auf steuerlicher Ebene mit betrieblichen Zusatzleistungen wie Tankgutscheinen. Braucht es hier Änderungen durch den Gesetzgeber?
Wiesemann: Arbeitgeber haben mit der Erhöhung der Sachbezüge von 44 auf 50 Euro einen erweiterten Spielraum bekommen, die bKV zu nutzen und steuer- und sozialversicherungsfrei einzusetzen. Aber vor dem Hintergrund, dass das Thema Benefits immer wichtiger für die deutsche Wirtschaft wird, wäre es sicherlich wünschenswert, die Grenze in Zukunft dynamisch weiterzuentwickeln und perspektivisch eine eigene Förderung für betriebliche Gesundheitsvorsorge einzuführen.
Ausblick 2023: Welchen Stellenwert, welches Marktpotenzial erwarten Sie beim Thema bKV in diesem Jahr?
Wiesemann: Wir sehen in den Zahlen der ersten vier Monate, dass sich die Nachfrage und damit auch die Abschlüsse weiter dynamisch positiv entwickeln. Das Thema Arbeitskräftemangel wird für viele Firmen erst jetzt richtig präsent. Die Nachfrage der Firmen, wie man sich am Arbeitsmarkt positionieren kann, bleibt hoch und dürfte weiter steigen.