Exklusiv-Interview mit Arved Fuchs über den Klimawandel: „Wir haben keine Zeit mehr“

Arved Fuchs
Foto: Florian Sonntag
Arved Fuchs

Cash. sprach mit dem Abenteurer und Klimaforscher Arved Fuchs über das nachlassende Interesse der Menschen am Klimaschutz, sein Schlüsselerlebnis in der Nordostpassage und langsame Genehmigungsverfahren.

Herr Fuchs, zu Beginn unseres Gesprächs möchte ich gerne mit Ihnen auf einige Entwicklungen des letzten Jahres zurückblicken: Die Aktionen der „Letzten Generation“ haben die Gesellschaft gespalten, „Fridays for Future“ geriet wegen mutmaßlich antisemitischer Äußerungen von Greta Thunberg unter Beschuss, dem Klimafonds der Bundesregierung fehlen seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts viele Milliarden Euro und Parteien, die den Klimawandel leugnen, sind weltweit im Aufwind. War 2023 ein verlorenes Jahr für den Klimaschutz?

Fuchs: 2023 war auf jeden Fall kein gutes Jahr für den Klimaschutz. Die Punkte, die Sie gerade aufgezählt haben, greifen. Der Klimaschutz stagniert, der Klimawandel nicht. Wir haben aber keine Zeit mehr. Umso schlimmer sind diese ganzen Rechtspopulisten, die den Klimawandel wider besseren Wissens leugnen. Kein Mensch kann mir heute erzählen, dass die Argumente der Wissenschaft nicht stichhaltig sind. Die Wissenschaft ist sich einig, dass der Klimawandel von Menschen gemacht ist. Das zu leugnen, ist Populismus und Ablenkung von den wahren Problemen. Damit erweist man den späteren Generationen einen Bärendienst, weil sie diese gravierenden Auswirkungen ausbaden müssen.

Wie kommen wir aus diesem Dilemma wieder raus?

Fuchs: Wir müssen versuchen, die Menschen mitzunehmen. Das Problem des Klimawandels ist viel zu lange auf einer rein akademischen Ebene und hinter verschlossenen Türen behandelt worden. Es gab einige wenige Wissenschaftler, die sich mutig zu Wort gemeldet haben, der Meteorologe und Klimaforscher Mojib Latif zum Beispiel hat die Gefahr immer beim Namen genannt. Wir lösen das Problem nur, indem wir den Schulterschluss aller gesellschaftlichen Player schaffen, da beziehe ich die Bevölkerung ausdrücklich mit ein. Wir müssen Bilder in den Köpfen der Menschen generieren, um sie von der Dringlichkeit des Problems zu überzeugen. Wir dürfen nicht moralisieren und mit erhobenem Zeigefinger dastehen.

War Ihnen das in der Vergangenheit zu viel erhobener Zeigefinger?

Fuchs: Nein, eigentlich nicht. Aber ich halte viele Vorträge und merke, dass die Menschen sehr sensibel reagieren würden, wenn man ihnen sagen würde: Das dürft ihr alles nicht mehr! Wir dürfen keine Gräben aufreißen, sondern wir müssen Gräben zuschütten. Das ist die richtige Strategie, um konsensfähig zu sein. Ich kann nachvollziehen, dass viele Menschen wegen der Kostenexplosion vorrangig andere Probleme haben als das Klima, die müssen jeden Euro zweimal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben. Trotzdem darf man das Thema nicht ausklammern und muss es vermitteln. Man muss die Politik und die Wirtschaft in die Pflicht nehmen, wobei ich oftmals den Eindruck habe, dass die Wirtschaft da schon viel weiter ist als die Politik.

Der Klimaschutz rückt bei den Menschen aufgrund der geopolitischen Krisen also in den Hintergrund?

Fuchs: Ja, das ist mein Eindruck. Die Krisen machen die Schlagzeilen, zum Beispiel die Konflikte in der Ukraine und in Nahost. Man muss aber einfach mal sagen, dass wir auch positive Nachrichten generieren. Darunter verstehe ich zum Beispiel, dass wir an einem Industriestandort wie Deutschland rund 50 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien generieren. Wenn Sie das in den achtziger Jahren jemandem erzählt hätten, wären Sie ausgelacht worden. Man muss den Menschen Mut machen. Diese Einstellung hängt auch mit meiner Persönlichkeit zusammen. Meine Philosophie auf all meinen Expeditionen lautete: Never give up! Wenn ich am Nordpol bin, das Eis aufbricht und mein Zelt wegweht, hilft es mir herzlich wenig, mich hinzusetzen und zu sagen: Jetzt weiß ich nicht mehr weiter, das finde ich ungerecht. Wichtig ist eine Trotzreaktion: Wir haben ein Problem, aber wir können es lösen. Wir haben die Technologien, wir wissen, wie es geht, wir müssen es nur machen. Deshalb sage ich auch beim Klimaschutz im übertragenen Sinne: Never give up!

Für Ihre Expeditionen sind Sie auf der ganzen Welt bekannt. 1989 gelang es Ihnen als erster Mensch, innerhalb eines Jahres beide Pole zu Fuß zu erreichen. Wann und wo haben Sie den Klimawandel zum allerersten Mal wahrgenommen? Gab es einen Schlüsselmoment?

Fuchs: Die Thematik begleitet mich schon sehr lange. Als wir 1989 zum Nordpol gelaufen sind, haben wir das unter der Schirmherrschaft der UN gemacht. Auch damals ging es schon um das Thema Erderwärmung – was ich ehrlich gesagt noch gar nicht glauben konnte, weil es dort so bitterkalt war. In den neunziger Jahren sind wir mit meinem Segelschiff „Dagmar Aaen“ häufig in der Arktis gewesen und dort dreimal am Eis der Nordostpassage gescheitert. Es war völlig aussichtslos, einen Weg hindurch zu finden, weil dort eine so hohe Eisbedeckung war. Kein Mensch scheitert gerne viermal an der gleichen Aufgabe, dennoch habe ich mich von der Crew im Jahr 2002 noch einmal überreden lassen, es ein viertes Mal zu versuchen. Und wir haben es tatsächlich geschafft. Es war, als wenn es ein völlig anderes Seegebiet ist, wir hatten so gut wie keine Eisberührung. Das Eis war weitgehend weg. Das war acht Jahre nach dem letzten Versuch, als wir noch im Eis steckengeblieben waren. Es war ein Schlüsselerlebnis, das ganz viel mit mir gemacht hat. Natürlich habe ich mich gefragt, ob das nur eine Laune der Natur ist oder doch schon eine Tendenz. Damals habe ich angefangen, mich intensiv mit Wissenschaftlern auseinanderzusetzen und Publikationen zu lesen. Wissenschaftler haben mir bestätigt, dass dies eine Entwicklung ist, eine Tendenz. Daraufhin sind wir 2003 durch die Nordwestpassage gefahren, um Vergleiche zur Nordostpassage herzustellen. Wir waren bereits 1993 in der Nordwestpassage und sahen nun auch dort gravierende Veränderungen.

Seitdem nutzen Sie Ihre Reisen dafür, die Weltöffentlichkeit auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Was war vorher Ihr Antrieb?

Fuchs: Als ich als junger Mann anfing, diese Expeditionen zu machen, standen für mich der Extremsport und das Abenteuer im Vordergrund. Ich bin gewiss nicht aufgebrochen, um über irgendwelche Umweltprobleme zu berichten. Für mich war der große Reiz, mich mit archaischen Mitteln in einer wilden Naturlandschaft behaupten zu können, die Gesetzmäßigkeit der Natur zu lernen. Der Natur ist völlig gleichgültig, ob ich auf dem Weg zum Südpol erfriere oder nicht. Ich habe das Interesse, da wieder herauszukommen, ich muss die Spielregeln kennen, deshalb habe ich auch mit den Inuit zusammengelebt, die mir vieles beigebracht haben. Im Zuge dieser Reisen wird man aber auch zu einem sehr guten Beobachter, weil diese Beobachtungsgabe die eigene Lebensversicherung ist. Wenn ich dünnes Eis nicht von tragfähigem Eis unterscheiden kann, breche ich durch und ertrinke oder erfriere. Es ist an mir, die Spielregeln zu kennen. Mit der Zeit ist mir klar geworden, dass ich ein sehr privilegierter Mensch bin, der Zugang zu all diesen Landschaften in ihrem Naturzustand hatte – auch insofern privilegiert, weil ich all diese verrückten Sachen überlebt habe. Ich bin mittlerweile in einem Lebensalter, in dem ich der Welt und mir nicht mehr beweisen muss, was ich kann. Mir ist wichtig, der Natur etwas zurückzugeben, Lobbyarbeit für die Natur zu leisten.

Arved Fuchs im Gespräch (Foto: Florian Sonntag)

Wo erleben Sie den Klimawandel heute am drastischsten?

Fuchs: Die Arktis erwärmt sich gut dreimal so schnell wie der Rest der Welt, sie ist das Frühwarnsystem der Natur. Ein gutes Beispiel ist die Ostküste Grönlands. Dort gibt es eine Meeresströmung, die vom Nordpol nach Süden zieht. Mit dieser Strömung wandert das ganze schwere Packeis runter bis an die Südspitze Grönlands. Im Sommer war es früher extrem schwierig und gefährlich, dort durchzukommen. Wir sind 1997 mit meinem Segelschiff dort reingefahren und waren außer einem Eisbrecher das einzige Schiff. Wenn man heute im Sommer dorthin fährt, ist das Eis weg, weil das Meer viel wärmer geworden ist. Wir haben festgestellt, dass die Seewassertemperatur um drei bis fünf Grad über der zu erwartenden Temperatur lag. Wenn man weiß, dass die Wassertemperatur dort im Sommer sowieso nur fünf bis sieben Grad beträgt, dann entspricht das fast einer Verdoppelung. Die Ozeane erwärmen sich, und je wärmer sie werden, desto mehr Energie haben sie gespeichert. Daraus nähren sich Wirbelstürme, die eine Seewassertemperatur von mindestens 27 Grad benötigen. Je mehr Energie im Wasser ist, desto heftiger werden die Stürme.

Wie untersuchen Sie auf Ihren Expeditionen den Klimawandel und seine Folgen?

Fuchs: Schiffe wie die „Dagmar Aaen“ werden von der Wissenschaft als „Ships of Opportunity“ bezeichnet, weil sie die Gelegenheit bieten, in Gegenden Daten zu erfassen, wo die großen Forschungsschiffe nicht hinkommen. Dort ist die Datenlage sehr dürftig. Wir werden ergänzend tätig, denn wir können nicht mit den großen Forschungsschiffen konkurrieren. Die heutige Messtechnik erlaubt es aber auch Laien, wie wir es letztlich sind, Daten zu erfassen. Wir setzen zum Beispiel eine CTD-Tauchsonde ein, die pro Sekunde viermal Temperatur, Salz- und CO2-Gehalt des Wassers misst. Diese Daten werden dann sofort über einen Satellitenkanal ans Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel oder ans Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde übermittelt und dort ausgewertet. Die Wissenschaftler sagen immer: Wir brauchen Daten, Daten, Daten. Die Ozeane sind nach wie vor die Naturlandschaften, die am allerwenigsten erforscht sind. Wir versuchen, ein kleines Mosaiksteinchen zur Erforschung beizusteuern.

Sie haben vorhin gesagt, dass Sie oftmals den Eindruck haben, dass die Wirtschaft in Sachen Nachhaltigkeit viel weiter ist als die Politik. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Fuchs: Ich spreche viel mit Wirtschaftsvertretern, zum Beispiel wenn Unternehmen mich für Vorträge über den Klimawandel einladen. Dabei habe ich den Eindruck gewonnen, dass man mit den technischen Komponenten schon sehr weit ist. Schwierig sind dagegen häufig die behördlichen Auflagen und Genehmigungsverfahren. Die Verwaltung ist da teilweise eher behäbig und langsam, dadurch versäumen wir hierzulande ein Entwicklungsstadium, das andere Nationen besser genutzt haben. Da würde ich mir besser strukturierte Entscheidungswege und eine schlankere Verwaltung wünschen. Man darf Maßnahmen nicht verhindern, man muss sie fördern. Und man muss mit Umwelttechnologien auch Geld verdienen können und dürfen, das ist völlig legitim. Nur so rechnet sich das ja für die Unternehmen. Es gibt viele pfiffige Unternehmen in Deutschland, die da sehr gut aufgestellt sind.

Was erwarten Sie grundsätzlich in Sachen Nachhaltigkeit von Unternehmen?

Fuchs: Die Bemühungen müssen ehrlich und transparent sein. Es darf nicht sein, dass man sich einfach das Mäntelchen der Nachhaltigkeit umhängt und ansonsten so weiter macht wie bisher. Das ist nicht statthaft und das muss auch enttarnt werden. Wenn man mit Rüstungsaktien handelt, darf man nicht so tun, als wäre das nachhaltig.

Nach all den Negativmeldungen der letzten Monate – was macht Ihnen eigentlich Hoffnung, dass die Klimaziele doch noch erreicht werden können?

Fuchs: Im Jahr 2015 ging von der Pariser Klimakonferenz so etwas wie Aufbruchstimmung aus – endlich mal ein Durchbruch, das Problem Klimawandel wurde nicht nur verwaltet, vertagt und ausgesessen, sondern es wurden verbindliche Ziele formuliert und festgeschrieben. Aber das ist jetzt acht Jahre her. Bis auf einige wenige Ausnahmen haben alle Länder die Klimaziele gerissen, auch Deutschland. Wir reden heute nicht mehr von einer Erderwärmung von 1,5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts, sondern von 2,5 bis 3 Grad. Der Klimawandel führt dazu, dass immer mehr Landstriche unbewohnbar werden, das Migrationsproblem ist unmittelbar damit verknüpft. All diese Fakten sind nicht ermutigend, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir müssen das Problem sachlich, transparent und leidenschaftlich erklären, damit die Menschen es verstehen. Wir dürfen das Feld nicht den Populisten überlassen. Wer Kinder oder Enkelkinder hat, dem kann es nicht egal sein, wie das Ende dieses Jahrhunderts aussieht.

Das Gespräch führte Kim Brodtmann, Cash.

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