Exklusiv-Interview mit Deniz Aytekin: „Entscheidungen muss man auf Augenhöhe vermitteln“

Deniz Aytekin
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Deniz Aytekin

Cash. sprach mit dem DFB-Schiedsrichter Deniz Aytekin über emotionale Situationen in der Fußballbundesliga, die Fehlerkultur auf dem Platz und die Körpersprache der Spieler.

Herr Aytekin, Sie haben in Ihrem Vortrag im letzten Jahr auf der DKM gesagt, dass Sie zu Beginn Ihrer Karriere als Schiedsrichter in der Bundesliga ein zu großes Ego gehabt hätten. Wie hat sich das auf dem Platz geäußert?

Aytekin: Ich habe damals jede noch so banale Rückfrage als Kritik und Angriff auf mich gewertet. Wenn ein Spieler in einer Entscheidungssituation noch einmal nachgefragt hat, habe ich sehr schroff und teilweise auch sehr überheblich reagiert. Das war natürlich der Akzeptanz meiner Entscheidungen und meiner Person nicht zuträglich. Ich habe das für mich reflektiert und vieles verändert. Ich habe angefangen, die Rückfragen der Spieler ernst zu nehmen und mich um sie zu kümmern. Letztlich geht es immer um aufrichtiges Interesse am Gegenüber. Das schafft ein gewisses Vertrauen. Wenn man aufrichtiges Interesse am Gegenüber hat und genau hinhört, was ihn bewegt, kann man langfristig erfolgreich sein – das gilt in allen Bereichen, auch bei den Schiedsrichtern oder im Finanzvertrieb.

Konnten Sie Ihr Verhalten schnell ändern oder war es ein längerer Prozess?

Aytekin: Das kann man nicht so schnell abstellen. Eine Verhaltensänderung funktioniert nur durch „emotionales Erleben“, wie es in der Wissenschaft heißt. Wenn man sich heute vornimmt, ein freundlicherer Mensch zu sein, und dann in eine Stresssituation gerät, fällt man sofort in die alten Muster zurück, weil das Gehirn diese abgespeichert hat. Man vergisst den guten Vorsatz wieder, weil man plötzlich im „Überlebensmodus“ ist. Das muss man also trainieren, dafür gibt es viele einfache Übungen. Wenn man zum Beispiel mutiger sein möchte, sollte man sich am Abend die Frage stellen: Wann war ich denn heute mutig? Mithilfe solcher Kleinigkeiten lassen sich dann echte Verhaltensänderungen etablieren. Das geht aber leider nicht von heute auf morgen. Es ist ein Prozess. Aber wenn man positive Resonanz auf seine Verhaltensänderung von seinen Mitmenschen erhält, übernimmt man dieses Verhalten in seine Grundwerte und Haltung.


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In Ihrem Vortrag haben Sie auch darüber gesprochen, wie man als Führungskraft schlechte Nachrichten überbringt: Die Akzeptanz von schlechten Nachrichten werde dadurch erhöht, dass man die von ihnen betroffenen Menschen vorher „abholt“. Ist das in einem so emotionalen Umfeld wie der Bundesliga nicht besonders schwierig?

Aytekin: Ja, das ist schwierig, aber dennoch möglich. Natürlich wollen die Spieler und Trainer unbedingt das Spiel gewinnen. Aber wenn man es schafft, seine Entscheidung auf Augenhöhe zu vermitteln, sind sie zugänglicher für die Entscheidung oder eine gegenteilige Meinung. Die meisten Menschen haben das Problem, dass sie das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden. Die Kunst besteht darin, die Menschen auch dann, wenn man selbst unter Stress steht, ernst zu nehmen und auf sie einzugehen. Das führt zu einer deutlich höheren Akzeptanz der Entscheidung.

Gerade im Profifußball begegnet man aber doch bestimmt auch vielen Egozentrikern, oder?

Aytekin: Es gibt dort ganz unterschiedliche Persönlichkeitstypen. Man muss sich immer die Frage stellen, warum ein Spieler in dem Moment so ist, wie er ist: Ein Stürmer hat lange nicht getroffen, steht deshalb stark unter Druck und reagiert dann auf dem Platz über; ein anderer Spieler ist in einer absoluten Hochphase und hat eine total breite Brust. Man muss also auch die emotionale Situation jedes einzelnen Spielers berücksichtigen. Es ist eine ganz elementare Führungsaufgabe, dass man diesen Gesamtkontext sieht. Es gehört zu meiner Aufgabe, sehr gut vorbereitet in jedes Spiel zu gehen, um zu verstehen, warum Spieler und Trainer sich gerade so verhalten, wie sie es tun. Da muss man alles miteinbeziehen.

Wie ist denn eigentlich die Fehlerkultur auf dem Platz? Sind da immer die anderen Schuld?

Aytekin: Niemand macht gerne Fehler, das gilt auch für Schiedsrichter, Spieler und Trainer. Natürlich ist es das leichteste, die Fehler erstmal bei anderen zu suchen, das ist eine menschlich nachvollziehbare Reaktion. Allerdings führt dieser Weg niemals langfristig zum persönlichen Erfolg, denn dazu gehört auch, ehrlich zu sich selbst zu sein. Auch hier ist letztlich entscheidend, in welcher emotionalen Verfassung man sich befindet: Wenn man ein etablierter Schiedsrichter ist, der eine hohe Akzeptanz genießt, und dann mal einen Fehler macht, ist es leichter, diesen Fehler zuzugeben. Wenn man hingegen ein junger Schiedsrichter ist, der gerade sehr umstritten ist, neigt man eher dazu, sich ins Schneckenhaus zurückzuziehen.

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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