Nach der umstrittenen EU-Einstufung von Gas- und Atomkraftwerken als klimafreundliche Geldanlagen gründen Umweltorganisationen ein eigenes „grünes“ Finanzlabel. Der WWF, Ecos und andere Umweltorganisationen wollen mit ihrer eigenen Taxonomie strenge Kriterien schaffen, damit Investoren besser einschätzen können, was klimafreundlich ist und was nicht. Befürworten Sie ein weiteres „grünes“ Label?
Hickmann: Zunächst muss man den Hintergrund für dieses Label richtig einordnen. Im September 2022 haben fünf Nichtregierungsorganisationen, unter anderem WWF und Greenpeace, das Kommissionsberatungsgremium „EU Platform on Sustainable Finance“ unter Protest verlassen, wegen der Einstufung von Atom- und Gasenergie als nachhaltig. Greenpeace hat mittlerweile rechtliche Schritte gegen diese Nachhaltigkeitseinstufung unternommen. Hauptproblem für die NGOs ist die politische Einflussnahme auf die Taxonomie, da wissenschaftliche Erkenntnisse nachrangig und im Fall von Kohle und Atom unberücksichtigt bleiben. Das Label ist eine Reaktion darauf und soll nicht Finanzprodukte selbst bewerten, sondern steht in Konkurrenz zur Taxonomie. Ich gehe davon aus, dass dieses Label keine große Relevanz in der Praxis haben wird, da gesetzliche Rahmenbedingungen (Taxonomie) für die Wirtschaft und die Finanzbranche weiterhin entscheidend sind.
Der WWF verstärkt seit Januar 2022 den Anlageausschuss Ihres RWS-Aktienfonds Nachhaltig. Wie sieht die Zusammenarbeit mit dem WWF konkret aus?
Hickmann: RWS möchte mit dem RWS-Aktienfonds Nachhaltig künftig das Thema Transformation bedienen. Wir möchten, dass der Fonds in Aktiengesellschaften investiert, die eine glaubwürdige Strategie haben, das 1,5 Grad Ziel von Paris zu erreichen. Wir sehen darin einen großen Impact auf das Klima, obwohl gerade dieses Thema nicht als „Impact“ im Sinne der Offenlegungsverordnung (OVO) angesehen wird. Daher ist der RWS-Aktienfonds Nachhaltig auch ein Artikel 8 OVO Fonds. Die Frage, was eine glaubwürdige Strategie von Aktiengesellschaften zum 1,5 Grad Ziel ist, ist eine Herausforderung. Der WWF berät uns zum einen dahingehend, an welchen Kriterien der Fondsmanager die Glaubwürdigkeit der Strategie prüfen kann und was noch viel umfangreicher ist, an welchen Parametern der Weg zu Net Zero bei der einzelnen Aktiengesellschaft gemessen werden kann. Herr Kopp vom WWF Deutschland, der auch im Sustainable Finance Beirat die Bundesregierung berät, verfügt über eine umfangreiche Expertise und hat erst jüngst mit der Wirtschaftsberatung PWC die „pathwaystoparis.com“ entwickelt, um das Transformationserfordernis operationalisierbar und validierbar zu machen. Dieses Wissen bringt er im Anlageausschuss ein. Wir sind auf einem sehr innovativen und spannenden Transformationsweg mit dem von uns initiierten RWS-Aktienfonds Nachhaltig.
Seit rund einem halben Jahr müssen Finanzberaterinnen und Finanzberater ihre Kundinnen und Kunden auch zu deren Nachhaltigkeitspräferenzen befragen. Wie gut oder schlecht funktioniert das bisher in der Praxis, welche Rückmeldungen bekommen Sie?
Hickmann: Allein, dass einige Fragen zu dem Thema in der Beratung gestellt werden, hilft nicht weiter. Entscheidend ist, dass wir unsere Vertriebspartner zu diesem Thema umfangreich schulen. Seit Juli bieten wir eine Ausbildung zum „Nachhaltigen Vermögensplaner/in“ an. Dafür haben wir eine eigene Lernplattform mit vier umfangreichen Modulen entwickelt, die nach erfolgreicher Bearbeitung mit einem Präsenz-Praxistag endet. Wir stellen fest, dass Berater, die die Ausbildung durchlaufen haben, die Nachhaltigkeitskriterien nicht nur abfragen, sondern auch umfangreich dazu Angebote anfordern und ausführlicher dokumentieren. Wir können als Branche stolz darauf sein, bei diesem existenziellen Thema (Klimawandel/Verlust der Biodiversität) an vorderster Front zu stehen und so einen aktiven Beitrag zur Lösung beizusteuern. Wir sehen hierin nicht nur eine große vertriebliche Chance, sondern auch die einmalige Gelegenheit, unser Image positiv zu verbessern.
Die Fragen stellte Kim Brodtmann, Cash.