Exklusiv-Interview mit Michael Hauer, IVFP: „Unmissverständlich der letzte Warnschuss für die Branche“

Michael Hauer
Foto: Petra Homeier
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Cash.-Interview mit Prof. Michael Hauer, Geschäftsführer des Instituts für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP), über die Kritik der Bafin an den Lebensversicherern und die geplante "Rentenaufschubprämie".

Die neue Bafin-Exekutivdirektorin Julia Wiens hat deutsche Lebensversicherer unter anderem wegen hoher Kosten bei ihren Produkten kritisiert. „Lebensversicherungen sollen den Absicherungsbedürfnissen und den Renditeerwartungen der Kundinnen und Kunden gerecht werden. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist es aber leider nicht“, sagte sie. Mehrere Versicherer müssten dringend nachbessern. Wie bewerten Sie ihre Statements? Ein „letzter Warnschuss“ für die Branche?

Hauer: Ja, das ist meines Erachtens unmissverständlich der letzte Warnschuss für die Branche. Oder anders formuliert: Die Vorstände von betroffenen Versicherungsunternehmen sollten jetzt dringend reagieren, da Frau Wiens sogar direkte Maßnahmen gegenüber Vorstandsmitgliedern angesprochen hat. 

Martin Stenger (Franklin Templeton) hat in seinem Webinar „Stengers Vorsorge-Check“ gemutmaßt, dass die Versicherungsbranche jetzt ausbaden muss, was bei Wirecard schiefgegangen ist: Der Bafin wird vorgeworfen, bei Wirecard nicht genau genug hingeschaut zu haben. Will sie diesen Fehler jetzt bei den Versicherern „wiedergutmachen“?

Hauer: Das kann eventuell auch eine Rolle spielen. Letztendlich will die Bafin aber endlich ernst genommen werden. Daher reagiert sie meiner Einschätzung nach nun deshalb so konsequent, da die durch die IDD in 2018 eingeführten Maßnahmen und der deutliche Hinweis darauf in einem Merkblatt vom Mai 2023 zu den Themen angemessener Kundennutzen, Effektivkosten, Zielmarktbestimmung, Stornoquoten usw. von einigen Marktteilnehmern scheinbar nicht so richtig ernst genommen wurden. Man kann das wahrscheinlich mit der Reaktion von Eltern vergleichen, bei denen Kinder trotz mehrfacher Ermahnungen weiterhin das tun, was sie nicht sollten.


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In der vergangenen Woche hat der BVI eine Studie vorgelegt, nach der eine sogenannte Fondsrente „fast bei allen bis zum Lebensende ausreiche“. Doch GDV und BKV kritisieren die Studienergebnisse: Man habe die Annahmen des BVI überprüft und festgestellt, dass der BVI mit sehr hohen Renditen und einer verkürzten Lebenserwartung rechne, so der GDV. Damit entstehe der falsche Eindruck, dass das Geld in den meisten Fällen bis zum Lebensende reiche. Wie blicken Sie auf diesen Streit?

Hauer: Der Ausgang einer Untersuchung hängt stark davon ab, mit welchen Annahmen die Modellrechnungen durchgeführt werden. Daher ist es für eine seriöse Beurteilung der Ergebnisse geboten, sich die Modellannahmen genauer anzusehen. Und über diese lässt sich in der BVI-Studie zumindest diskutieren. Sowohl die Modellierung des Kapitalmarktes als auch insbesondere bei den Annahmen zur Lebenserwartung werden zum Teil problematische Annahmen getroffen. Durch die Verwendung sogenannter Periodensterbetafeln wird beispielsweise der Trend zum Älterwerden erst gar nicht berücksichtigt. Bezieht man diesen mit ein und unterstellt für den Kapitalmarkt etwas vorsichtigere Renditeannahmen, steigt der Anteil derjenigen Rentner, bei denen das Guthaben vorzeitig aufgebraucht ist, zum Teil merklich an. Fondsauszahlpläne eignen sich daher eher für die ergänzende Vorsorge. Der Aufbau eines Grundstocks für die Altersvorsorge hingegen sollte neben der gesetzlichen Rente vor allem auf Produkten mit einer lebenslangen Rente basieren, damit das finanzielle Langlebigkeitsrisiko abgesichert ist. 

Das Bundeskabinett hat Pläne für eine neue Prämie für Menschen auf den Weg gebracht, die über das Rentenalter hinaus arbeiten wollen. Sie haben diese sogenannte „Rentenaufschubprämie“ im Webinar von Martin Stenger als „völlig daneben“ bezeichnet. Was stört Sie daran? 

Hauer: Ich möchte das Problem am Beispiel des Jahrgangs 1964 schildern. Im Jahr 2031 hat dieser Jahrgang die Regelaltersgrenze von 67 erreicht. Das Problem sind dann nicht die Menschen, die mit 67 in den wohlverdienten Ruhestand gehen, sondern diejenigen, die bereits mit 63, 64 oder 65 den vorzeitigen Rentenbeginn genutzt haben. Aktuell ist es sogar so, dass im Rahmen von Altersteilzeitmodellen Menschen vor 63 nur noch teilweise arbeiten. Dadurch geht viel Know-how und fachliche Erfahrung von Fachkräften verloren, die der Arbeitsmarkt derzeit dringend benötigt. Die Rentenaufschubprämie setzt aber bei der Verschiebung des Rentenbeginns nach Erreichen der Regelaltersgrenze mit 67 an. Aus meiner Sicht müsste man also Anreize schaffen damit die Menschen länger als bis 63, 64 oder 65 arbeiten. Schafft man es, diese noch bis 67 im Arbeitsmarkt zu halten, dann ist schon sehr viel gewonnen. Das Geld, das man nun für die Rentenaufschubprämie verwendet, sollte besser dafür verwendet werden. Übrigens wird die gesetzliche Rente sowieso schon für jedes Jahr, das man nach Erreichen der Regelaltersgrenze später in den Ruhestand geht, um sechs Prozent erhöht, das heißt diesbezüglich gibt es bereits ein attraktives Angebot. 

Die Fragen stellte Kim Brodtmann, Cash.

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