Wir sehen im Markt neue Mobilitätskonzepte. Immer mehr Menschen leihen sich Autos für gewisse Phasen, anstatt eigene Autos zu besitzen. Stichworte wären etwa pay-as-you-drive oder pay-how-you-drive. Bieten Sie für diese Zielgruppe hierzulande Tarife?
García Cristóbal: In Deutschland haben wir dieses Angebot noch nicht eingeführt, aber wir haben es letztes Jahr in Spanien angeboten und es läuft sehr gut. Es handelt sich um ein neues Mobilitätskonzept, dass die Person versichert, nicht das Fahrzeug. Das Risiko wird an die Person gekoppelt, unabhängig davon, ob sie ein Fahrrad, ein Taxi, einen Bus, die U-Bahn oder das eigene Auto nutzt. Dieses Konzept ist ein völlig neuer Ansatz. Ich bin der Meinung, dass die Versicherungsbranche sich immer in die gleiche Richtung wie die Gesellschaft entwickeln sollte. Mit neuen Mobilitätskonzepten und einer sich verändernden Gesellschaft müssen wir lernen, die neuen Risiken zu verstehen und gleichzeitig nah an den Bedürfnissen der Menschen zu bleiben.
Wir testen in verschiedenen Ländern unterschiedliche Versicherungs- und Mobilitätskonzepte. Zum Beispiel bieten wir das ‚Pay-as-you-drive‘-Modell in verschiedenen Ländern an, auch in Spanien, wo es pro gefahrene Kilometer berechnet wird. In Deutschland arbeiten wir mit Renault zusammen und bieten Telematikprodukte an, die nicht nur auf ‚Pay-as-you-drive‘, sondern auch auf ‚How-you-drive‘ basieren. Wir haben beide Konzepte in verschiedenen Produkten bereits implementiert, aber hier in Deutschland ist die Nachfrage noch sehr gering. Zum Beispiel ist das Telematik-Konzept in Italien weit verbreitet, während es in Deutschland, auch bei uns bei Verti, wenig genutzt wird.
Rund ein Drittel der Autofahrer hat noch nie die Kfz-Versicherung gewechselt. Für Sie nachvollziehbar?
García Cristóbal: Ich denke, der Wechsel der Kfz-Versicherung wird oft noch immer als zeitaufwendig und kompliziert empfunden. Viele Menschen schrecken vor dem administrativen Aufwand, dem notwendigen Vergleich und dem Ausfüllen von Formularen zurück. Dank Online-Anträgen und Vergleichsportalen ist der Wechsel jedoch heute grundsätzlich einfach und unkompliziert möglich. Es ist dabei wichtig, dass Anbieter den Kunden klar aufzeigen, welche Vorteile ein Wechsel bietet. Insgesamt zeigt sich, dass die Wechselbereitschaft bei Kfz-Versicherungen im Vergleich zu anderen Versicherungen, wie etwa der Krankenversicherung, relativ hoch ist. Das fördert den starken Wettbewerb im Bereich der Autoversicherung.
Die Gründe für den Nicht-Wechsel sind Wissenslücken, Zeitmangel, Angst vor dem Verlust des SF-Rabatts. Wie sieht es eigentlich bei Verti aus? Haben Sie wenige oder als Direktversicherer mehr Wechsler?
García Cristóbal: Nur wenige beschäftigen sich gerne und intensiv mit ihren Versicherungsprodukten. Im Gegensatz zur Buchung eines Urlaubs oder der Auswahl eines neuen Autos bereitet die Wahl einer Kfz-Versicherung den meisten schlichtweg keinen Spaß. Versicherungen sind einfach nicht so attraktiv – vielleicht wird sich das in Zukunft ändern, aber derzeit definitiv noch nicht. Hinzu kommt, dass Versicherungsprodukte oft komplex sind und die Details schwer vergleichbar. Deshalb verlassen sich viele lieber auf Vergleichsportale, anstatt den optimalen Tarif für sich selbst zu suchen.
Sie waren Head of Digital Business, Head of Digital und Head of Digital Transformation in Spanien und sind jetzt CEO von Verti in Deutschland. Wenn wir über die Digitalisierung der Branche sprechen, wie unterscheiden sich die Kfz-Versicherungsmärkte Spanien und Deutschland in ihrem Digitalisierungsgrad?
García Cristóbal: Viele Versicherer in Deutschland bieten inzwischen umfassende digitale Dienstleistungen an. Von Online-Abschlussmöglichkeiten über digitale Schadenmeldungen bis hin zu komplett digitalen Policen. Dazu hat sicher auch die Vielzahl von Insurtech-Unternehmen beigetragen, die in den vergangenen Jahren den deutschen Markt betreten haben. In meiner Sicht haben Kunden in Deutschland inzwischen höhere Erwartungen an die digitale Interaktion mit Versicherern.
Auch in Spanien befindet sich die Versicherungswirtschaft in einem umfassenden Transformations-Prozess. Denn natürlich sind die Ansprüche der Kunden an die Versicherungen auch im Spanien hoch. In einer zunehmend digitalen und vernetzten Gesellschaft erwarten Kunden ganz selbstverständlich, dass Dienstleister oder Plattformen schnell und konkret auf ihre Bedürfnisse reagieren. Entsprechend stellen die Versicherungen zunehmend auf digitale Kanäle um und treiben Automatisierung voran. Allerdings ist es dennoch so, dass ein Großteil der Versicherungen aktuell noch über nicht-digitale Kanäle verkauft wird. Zusammenfassend würde ich sagen, dass die Ansprüche der Kunden an die Digitalisierung und die Maßnahmen, die Versicherungen diesbezüglich ergreifen, durchaus sehr ähnlich sind.
Setzt Verti bereits KI ein? Wenn ja, wo?
García Cristóbal: Wir testen sehr umfassend mit verschiedenen Pilotprojekten, welche KI sich an welcher Stelle in unserem Unternehmen sinnvoll einsetzen lässt. Das geht vom Pilotprojekt Voice-Bots im Kundenservice bis zu Schadenaufnahme mittels KI. Aktuell besteht die Herausforderung sowohl für uns als auch für andere Unternehmen noch darin, KI so einzusetzen, dass es am Ende und langfristig auch wirklich profitabel ist. Ist die Implementierung mit hohem Aufwand verbunden und führt zwar zur Arbeitsreduktion an einer Stelle, dafür zu mehr Aufwand an einer anderen, ist das kontraproduktiv. Erschwerend kommt hinzu, dass es aktuell unglaublich viele Anbieter für die unterschiedlichen Anwendungsfälle gibt, die sich längst nicht alle durchsetzen werden. Insgesamt sind wir aber davon überzeugt, dass sich viele Prozesse, auch bei uns, durch KI, vereinfachen und beschleunigen lassen und somit das Potenzial haben, das Kundenerlebnis zu verbessern, das ist das Wichtigste für uns.
Verti hat rund eine Million Kunden in Deutschland und gehört zu den großen Direktversicherern in Deutschland. Lässt sich Kfz-Versicherung komplett digital abwickeln?
García Cristóbal: Das ist eine sehr gute Frage. Die Verarbeitung von Vorgängen ohne manuelle Eingriffe durch Mitarbeiter ist vielfach möglich und auch bereits Realität. Kunden können ihre Versicherungspolice online abschließen und verarbeiten, Schadenmeldungen über Internet-Portale einreichen, die dann automatisch geprüft und bearbeitet werden. Dadurch wird die Effizienz erhöht, die Bearbeitungszeit drastisch verkürzt und die Fehlerquote minimiert. Das führt nicht nur zu Kostenansparungen, sondern auch – und das ist das Wichtigste – zu einer besseren Kundenerfahrung. Dennoch gibt es komplexe oder untypische Fälle, die weiterhin menschliche Intervention erfordern werden. Die Herausforderung liegt darin, die erforderlichen Schnittstellen zwischen Mensch und Technik gut und effizient zu gestalten.
Was sind typische, was untypische Fälle?
García Cristóbal: Ein Glasschaden ist ein typischer Schadenfall, der relativ häufig vorkommt – etwa ein Viertel unserer Schäden betrifft Gläser. Solche Fälle sollten für unsere Kunden schnell und unkompliziert abgewickelt werden, idealerweise weitgehend automatisiert. Anders sieht es jedoch bei größeren Unfällen aus, insbesondere wenn Personen verletzt sind. In solchen Fällen ist persönlicher Kontakt wichtig, da es sich um außergewöhnliche und emotional belastende Situationen handelt, die nicht so häufig wie Glasschäden vorkommen. Hier braucht es jemanden, der mit den Betroffenen spricht und ihnen weiterhilft. Gleichzeitig müssen wir aber auch Technologien und digitale Prozesse nutzen, um unsere Mitarbeitenden darin zu unterstützen, unseren Kundinnen und Kunden bestmöglich zu helfen. Die Technologie sollte uns helfen, den Service zu verbessern – das ist das Wichtigste.
Welche Rolle spielt der Maklerkanal trotz digitaler Ausrichtung?
García Cristóbal: Der Maklerkanal ist eine wichtige Säule für unseren Vertrieb. So manche meinen, dass zumindest die Jüngeren, die Digital Natives, alles online selbst erledigen. Aber Studien zeigen, dass die Bedeutung von Maklern auch bei dieser Gruppe stabil bleibt. Das hängt auch wieder damit zusammen, dass Versicherungen kein Produkt sind, mit der sich die Menschen gerne selbst auseinander setzen, auch die Jüngeren nicht. Ich denke, dass der Makler und die persönliche Beratung sehr wertvoll sind.
Wie ist das Verhältnis Website & Telefon, Vergleichsportale und Makler bei Verti?
García Cristóbal: Derzeit liegt das Verhältnis bei jeweils einem Drittel. Wir haben natürlich einen starken Fokus auf dem B2C-Bereich mit dem direkten Vertrieb über unser Webportal und über das Telefon. Auch Vergleichsportale spielen eine wichtige Rolle. Gleichzeitig haben wir den Vertriebsanteil in den Bereichen Automotive, Banc-Assurance und bei Maklern deutlich gesteigert. Alle drei Segmente bilden eine wichtige strategische Säule für uns, und wir planen, unser Wachstum in diesen drei Bereichen weiter voranzutreiben.
Und welche Rolle spielt das Flottengeschäft für Verti?
García Cristóbal: Etwa fünf Prozent unseres Geschäfts entfallen auf das Flottengeschäft. Damit sind wir derzeit kein bedeutender Akteur in diesem Markt. Aktuell analysieren wir die Möglichkeiten für Wachstum und eine gute Schadenquote im Flottenbereich. Entsprechend der Ergebnisse werden wir uns zukünftig in diesem Markt positionieren. Es handelt sich jedoch um ein sehr komplexes und technisch anspruchsvolles Geschäft, das entsprechende Kapazitäten erfordert.
Es gibt hierzulande erste Versicherer, die Telematik-Tarife anbieten. Sie auch, zusammen mit Renault. Wie groß ist die Bereitschaft der Kunden, ihre Daten preiszugeben?
García Cristóbal: Die Akzeptanz von Telematik-Tarifen ist in Deutschland generell sehr niedrig, und das gilt auch für unsere Kunden. Der Hauptgrund dafür ist aus meiner Sicht die Sorge um den Datenschutz. Es könnte aber auch daran liegen, dass das Thema für viele zu aufwendig oder zu komplex erscheint. Interessant ist, dass Telematik-Versicherungen im europäischen Ausland, insbesondere in Italien, deutlich beliebter sind. Wir sind jedoch überzeugt, dass in diesem Bereich durch die Weiterentwicklung der Technik und der Datenanalyse großes Potenzial liegt. Schon heute können wir ein sehr genaues Bild des Fahrverhaltens zeichnen und sogar einzelne Fahrzeuge zuordnen. In Zukunft wird hier noch viel mehr möglich sein. Wie stark die Fahrweise als Tarifierungsmerkmal zur risikogerechteren Preisgestaltung beitragen wird, lässt sich aus heutiger Sicht allerdings noch nicht abschließend beurteilen.
Es gab im Frühsommer ein Urteil des Bundesgerichtshofs zur Nutzung von Telematik-Tarifen. Das betraf zwar die Berufsunfähigkeitsversicherung, könnte es eventuell nicht auch Folgen für die Telematik-Tarife in der Kfz-Versicherung haben?
García Cristóbal: Nach unserer Einschätzung ist das Urteil nicht auf die Kfz-Versicherung übertragbar. Der Bundesgerichtshof hat sich in seiner Entscheidung mit den Überschussregelungen bei Berufsunfähigkeitsversicherungen befasst und festgestellt, dass bestimmte Klauseln in Bezug auf gesundheitsbewusstes Verhalten intransparent und benachteiligend seien. Solch komplexen oder unklaren Regelungen sind in den Telematik-Tarifen der Kfz-Versicherung jedoch eher unwahrscheinlich. Hier basieren die Kriterien beispielsweise auf dem Bremsverhalten, der Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen, dem Beschleunigungsprofil und den Fahrzeiten. Versicherungsnehmer werden umfassend darüber informiert, wie diese Faktoren ihre Prämien beeinflussen. Dadurch haben sie die Möglichkeit, ihr Fahrverhalten gezielt anzupassen, um von Rabatten zu profitieren und ihre Prämien zu senken.
In der deutschen Versicherungswirtschaft liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Innendienst bei rund 30 Prozent, im Vertrieb ist er deutlich geringer. Auch der Anteil weiblicher Vorstände in der Versicherungswirtschaft ist gering. Was sagen Sie als Frau zu diesem Ungleichgewicht? Wie sieht es in Ihrem Heimatland Spanien aus?
García Cristóbal: Der Anteil von Frauen in Führungspositionen – nicht nur in der Versicherungsbranche, sondern generell – ist in Deutschland und Spanien ähnlich niedrig und weist deutlichen Verbesserungsbedarf auf. In Spanien liegt dieser Anteil ebenfalls unter 30 Prozent. Für mich war es immer von großer Bedeutung, in Unternehmen zu arbeiten, in denen die Gleichstellung von Frauen nicht nur eine Floskel ist. Das galt sowohl bei Mapfre – dem Mutterkonzern von Verti, bei dem ich bereits zuvor tätig war – als auch bei weiteren früheren Stationen wie bei Philips in Deutschland, Ericsson und Accenture. Sowohl Verti als auch Mapfre haben in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, um die Gleichstellung zu fördern.
So ist der Verwaltungsrat von Mapfre nahezu paritätisch besetzt – neben dem Präsidenten gibt es sieben Frauen und sieben Männer. Spanien ist zudem das wichtigste Land der Mapfre-Gruppe und wird von einer Frau geführt. Bei Verti liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen mittlerweile bei über 50 Prozent, auch auf der Ebene der Geschäftsleitung. Ich selbst bin Vorsitzende des dreiköpfigen Vorstands, und wir haben eine weibliche Aufsichtsratsvorsitzende. Wir sind überzeugt, dass die Verantwortung von Unternehmen nicht nur darin besteht, zum wirtschaftlichen Erfolg ihrer Interessengruppen beizutragen. Vielmehr müssen sie auch der Gesellschaft dienen, indem sie dazu beitragen, Ungleichheiten abzubauen.
Sie sind Mutter von drei Töchtern und Vorstandsvorsitzende. Wie meistern Sie diese Herausforderung? Hintergrund meiner Frage ist, dass in der deutschen Versicherungswirtschaft die Zahl der weiblichen CEOs mehr als überschaubar ist.
García Cristóbal: Frauen mit Kindern in Führungspositionen werden regelmäßig mit solchen Fragen konfrontiert, auch in Vorstellungsgesprächen. Aus meiner Sicht ist das bedauerlich, aber ich verstehe, warum diese Fragen noch gestellt werden. Inhaltlich möchte ich dazu sagen: Eltern – egal ob Frauen oder Männer – sind bekanntlich wahre Motivationstalente und daher hervorragend als Führungskräfte geeignet, unabhängig davon, ob sie in Teilzeit oder Vollzeit arbeiten.
Ich selbst arbeite Vollzeit und viel, denn ich liebe meine Arbeit genauso wie meine Familie. Schlafen tue ich seit meiner Jugend nur wenig, mir reichen fünf Stunden pro Nacht. Für mich ist es wichtig, meine Zeit gut zu organisieren, und das gilt sicherlich auch für viele meiner Kolleginnen und Kollegen. Übrigens arbeiten auch Menschen in Teilzeit, die weder Mütter noch Väter sind. Letztlich geht es darum, ein Arbeitsmodell zu finden, das sowohl zur Position als auch zu den Lebensumständen der jeweiligen Person passt.
Was waren für Sie die Gründe, in die Versicherungsbranche zu gehen?
García Cristóbal: Mein Einstieg in die Versicherungsbranche war eine sehr bewusste Entscheidung, da ich die Bedeutung und Vielfältigkeit dieser Branche schätze. Sie bietet nicht nur Wachstumspotenzial, sondern ist auch entscheidend für das Wohlergehen der Menschen. Denn gute Versicherungen bieten Schutz vor essenziellen Risiken und damit Sicherheit. Ich habe mich aber auch ganz bewusst für Mapfre als Arbeitgeber entschieden, da es ein Unternehmen ist, das sehr viel Wert auf soziale Verantwortung legt.
70 Prozent der Gewinne von Mapfre fließen an die Stiftung des Unternehmens, die Mapfre Fundacion, die in mehr als 30 Ländern weltweit wichtige Projekte in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Kultur und Verkehrssicherheit unterstützt. Diese Strategie zeigt, dass Mapfre nicht nur wirtschaftlichen Erfolg anstrebt, sondern auch aktiv dazu beiträgt, die Gesellschaft positiv zu beeinflussen. Daher bin ich stolz, als CEO von Verti in Deutschland ein Teil des Team von Mapfre zu sein.