Exklusiv-Interview mit Oliver Schoeller und Andreas Eurich: „Die Resonanz bestätigt, dass der Ansatz der richtige ist“

Das kommende Führungstandem der Barmenia-Gothaer auf der DKM in Dortmund: Oliver Schoeller (li.) Vorstandsvorsitzender der Gothaer Versicherungen und Dr. Andreas Eurich, Vorstandsvorsitzender der Barmenia Versicherungen.
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Das kommende Führungstandem der Barmenia-Gothaer auf der DKM in Dortmund: Oliver Schoeller (li.) Vorstandsvorsitzender der Gothaer Versicherungen und Dr. Andreas Eurich, Vorstandsvorsitzender der Barmenia Versicherungen.

Die Barmenia aus Wuppertal und die Gothaer aus Köln wollen fusionieren. Wo die beiden Vorstandsvorsitzenden die Stärken des neuen Versicherungsvereins sehen, wie sie die Mitarbeiter auf dem Weg mitnehmen wollen und wie der Vertrieb die Fusion aufnimmt. Ein Gespräch mit Oliver Schoeller und Dr. Andreas Eurich auf der DKM in Dortmund.

Herr Schoeller, Gothaer und Barmenia wollen fusionieren. Sie sprachen in dem Zusammenhang in einem Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger von disruptiven Ereignissen und Schwarzen Schwänen. Welche meinen Sie?

Schoeller: Schwarze Schwäne sind disruptive Ereignisse, die erstens unerwartet kommen und zweitens fundamentalen Einfluss auf unser Wirtschaftsgeschehen und unsere Gesellschaft haben. Sie verändern damit unser Gesellschafts- und Wirtschaftsgefüge substantiell und nachhaltig. Ich bin 2020 Vorstandsvorsitzender der Gothaer geworden. In den letzten drei Jahren ist viel passiert: Wir haben den Ausbruch einer Pandemie erlebt, die einen tiefgreifenden Einfluss auf unsere Gesellschaft, Wirtschaft und in ihr natürlich auch auf die Versicherungsindustrie hat. 2021 folgte die Flutkatastrophe an der Ahr. Für die Gothaer war dies der zweitgrößte Einzelschaden in der Geschichte nach dem großen Brand in Hamburg im Jahr 1842. In 2022 folgte der Ausbruch des Ukraine-Krieges, damit verbunden eine massive Inflation und der deutliche Zinsanstieg zur Bekämpfung der Inflation. In diesem Jahr erweitert sich die geopolitische Krise in den Nahen Osten.

Das sind fundamentale Veränderungen. Vor diesem Hintergrund sind wir als Unternehmen gut beraten, Resilienz nicht nur über Eigenkapital aufzubauen, sondern auch über Diversifikation. Es geht also um die Fähigkeit, mögliche Einschläge in einem Segment durch eine solide Aufstellung in anderen Segmenten abfedern zu können. Das gilt auch für Geschäftsmodelle und ist ein Grund, warum wir in der Breite gut aufgestellt sein wollen. Diese Form der Diversifikation über das Geschäftsmodell erfordert aber in jedem Einzelsegment Exzellenz. Unter diesen Gesichtspunkten ist ein Zusammenschluss mit der Barmenia mit ihren komplementären Stärken eine besondere Bereicherung für uns als Gothaer.

Die Digitalisierung zählen Sie nicht dazu? Dabei können die Folgen durchaus disruptiv sein.

Schoeller: Die Generative Künstliche Intelligenz ist eine echte Disruption. Ansonsten würde ich die Digitalisierung eher als Megatrend sehen. Megatrends sind insofern gut, als dass sie sehr verlässliche Größen sind, die eine Gesellschaft und deren Wirtschaftsakteure auf Dauer verändern. Solche Megatrends sind etwa Nachhaltigkeit, der Klimawandel und eben auch die Digitalisierung. Das Thema Nachhaltigkeit ist hier ein besonders gutes Beispiel. Es ist ein Megatrend, den wir sehr früh aufgegriffen haben. Zum Beispiel sind wir einer der größten Investoren im Bereich regenerative Energien und einer der führenden Versicherer von Windparks.

Es gibt aber durchaus Insurtechs, die sehen das als Disruption.

Eurich: Die sahen es vielleicht eher als Disruption. Es hat sich aber auch in den letzten Jahren gezeigt, dass das eher nicht so war. Mittlerweile sind einige dieser Ansätze schon wieder in der Versenkung verschwunden. Insofern würde ich das als ein Element sehen, das durchaus Chancen bietet, aber nicht disruptiv die ganze Branche verändert, wie vor fünf Jahren prognostiziert wurde.

Schoeller: Es gibt natürlich Branchen, für die war die Digitalisierung sehr disruptiv. Kodak gibt es beispielsweise nicht mehr. Binnen weniger Jahre hat sich Fotobranche komplett verändert, ebenso die Musikindustrie. Die Versicherungsindustrie ist noch nicht davon betroffen. Das heißt aber nicht, dass wir uns zurücklehnen können. Denn wenn man die disruptiven Elemente nicht erkennt, kann es auch schnell gehen. In Summe haben wir das aber gut im Griff.

Wie viel Mut braucht es für die geplante Fusion?

Schoeller: Sie beziehen sich auf unseren Slogan „Zukunft wird aus Mut gemacht“. Für jede fundamentale unternehmerische Entscheidung gibt es meistens ein, zwei sehr gute Gründe, sie zu wagen; in aller Regel aber auch zehn gute Gründe, alles zu lassen wie es ist. Deswegen braucht es immer Mut, sich auf die guten Gründe zu konzentrieren und daraus eine Bewegung zu erzeugen. Mit Blick auf den Zusammenschluss ist das, was wir gemeinsam erreichen können, sehr schlüssig und eine überzeugende Idee Sie hat viel Substanz. Das ist auch das Feedback, das wir von unseren Vertriebspartnern, -partnerinnen, Kunden und Kundinnen erhalten. Der Markt erkennt deutlich die innere Ratio dieser Verbindung und nicht nur den Mut zu der Entscheidung.

Eurich: Was noch mehr als Mut die entscheidende Rolle gespielt hat, ist die Frage: Wo liegen die Chancen? Wir haben uns gemeinsam auf die Fahnen geschrieben, für den Markt besser zu werden und Wachstum und Kundenbegeisterung noch besser zu erzeugen, als wir es heute können. Als wir erkannt haben, welche Chancen in diesem Vorhaben stecken, kam irgendwann der Mut. Nämlich als wir uns die Frage gestellt haben: Wollen wir das wirklich? Wie bekommen wir es hin? Aber das Ganze ist so überzeugend, dass wir dann auch entsprechend mutig waren. Wir beide haben auf der DKM viel Feedback erhalten: Es ist schön, zu sehen, wie viele Leute uns beide ansprechen und sagen: „Das passt.“ Die Resonanz vom Vertrieb ist genau das, was wir uns erhofft haben und bestätigt, dass der Ansatz der richtige ist.

Wer von Ihnen war die treibende Kraft?

Schoeller: Wir sind beide schon lange im Geschäft und haben mit der LM+ ein gemeinsames Tochterunternehmen. Im diesem Kontext unterhält man sich auch über strategische Perspektiven. Die Idee ist im gemeinsamen Dialog entstanden.

Eurich: Wir haben uns über die verschiedenen Felder, in denen wir unterwegs sind, ausgetauscht und überlegt, was wir gemeinsam machen könnten. Allerdings nicht mit der Intention, das zu tun, was wir jetzt verabredet haben. Wir fanden es an dem Punkt, als wir die Häuser übereinandergelegt haben, aber so überzeugend, dass wir gesagt haben, besser kann es eigentlich gar nicht passen. Das war der Moment zu sagen, jetzt müssen wir anders denken.

Dieser Prozess, den Sie skizzieren, hat ja doch wohl länger gedauert. Wann kam die Idee auf?

Schoeller: Das erste ernsthafte Treffen hatten wir Anfang des Jahres 2022, noch vor dem Ukraine-Krieg. Wir haben uns anfangs zentrale Prinzipien gesetzt, unter denen wir einen Zusammenschluss durchdenken wollen. Das war hilfreich, denn in einem solchen Dialog kommen unweigerlich Fragen auf, auf die es mehrere Antwortoptionen gibt. Dies waren im Wesentlichen drei Punkte: Das Erste ist, das wir den Zusammenschluss unter dem strategischen Primat einer verbesserten Marktleistung gestalten. Es geht darum, Kundenbegeisterung durch kombinierte Stärken auszubauen. Das zweite Element ist: Alles passiert auf Augenhöhe. Die Parität in diesem Zusammenschluss zeigt sich auf allen Ebenen der Verbundlösung. Und das Dritte ist die kulturelle Basis als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Es geht darum die jeweiligen Identitäten der Unternehmen zu einem Unternehmen zusammen zu bringen, in dem Menschen im Mittelpunkt unseres unternehmerischen Handelns stehen. Das war sehr hilfreich in unserem Dialog. Danach gab es zwei Phasen. Die erste: Wie bauen wir ein gutes Unternehmen? In der zweiten Phase haben wir das Gesellschaftskonstrukt entwickelt. Was ich betonen möchte: Es gab zu keinem Zeitpunkt des Prozesses Verhandlungen.

Eurich: Der wesentliche Punkt war von Anfang an klar: Wir hatten beide dasselbe vor Augen und das wurde über den gesamten Prozess nie infrage gestellt. Wenn man jetzt das Konstrukt sieht, findet sich das gemeinsame Zielbild dort in idealer Form wieder. Auch bei der Frage, wie konstruieren wir es, und wie soll es am Ende aussehen, gab es keine Auseinandersetzung. Weil uns beiden klar war, wohin wir wollen. Das hat den Dialog von Beginn an konstruktiv gemacht.

Seite 2: „Unser Zeitplan ist sehr ambitioniert“

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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