Zu Wochenbeginn hatte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bei seiner Forderung nach einer Pflichtversicherung für Elementarschäden den Bundeskanzler in die Pflicht genommen. „Deutschland steht im Dauerregen, doch der Kanzler spannt den Regenschirm nicht auf. Ich habe die klare Erwartung, dass Olaf Scholz jetzt zu seinem Wort steht und eine Pflichtversicherung für Elementarschäden einführen wird“, sagte Wüst der Deutschen Presse-Agentur. „Das Hochwasser in Süddeutschland zeigt uns einmal mehr: Wir werden uns in Deutschland an Extremwetterereignisse als Teil unseres Alltags gewöhnen müssen. Eine Pflichtversicherung für Elementarschäden wäre jetzt die richtige finanzielle Schadensvorsorge“, so Wüst.
Das Bundesjustizministerium sieht das etwas anders, wie eine Cash.-Anfrage im Februar ergab: „Aus Sicht des BMJ löst die Einführung einer Elementarschadenpflichtversicherung das Problem der Gefahr für Schäden an Gebäuden und die damit verbundenen finanziellen Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger nicht“, erklärte Pressesprecher Benjamin Hoh gegenüber Cash. Eine Elementarschadenpflichtversicherung könne den Eintritt von Elementarschadenereignissen nicht verhindern und deren Eintrittswahrscheinlichkeit nicht reduzieren. Sie könne auch den Bau von Wohngebäuden in Risikogebieten nicht unterbinden oder präventive bauliche Schutzmaßnahmen zur Verringerung von Gebäudeschäden ersetzen.
Ähnlich uneins wie Hendrik Wüst und Justizminister Marco Buschmann (FDP) sind sich auch der Gesamtverband der deutschen Versicherer (GDV) und der Bund der Versicherten (BdV). Lesen Sie nachfolgend exklusiv die Stellungnahmen der beiden Verbände:
Warum es eine Pflichtversicherung braucht – Kommentar von Stephen Rehmke, Vorstand des BdV
Extremwetter werden zum Dauerproblem. Deutschland ist gegen die Folgen des Klimawandels schlecht gerüstet. Die Überflutungskatastrophe 2021 um das Ahrtal hat das erschreckend deutlich gemacht: Wassermassen stießen auf ungeschützte Siedlungen, Warnungen blieben aus, Rettungseinsätze waren chaotisch. Menschen starben, die Schäden gingen in die Milliarden, nur ein Bruchteil war versichert. Der Staat stellte immense Steuergelder für den Wiederaufbau bereit. Nicht die erste Hilfe dieser Art, trotzdem verläuft sie schleppend. Und die Versicherungsdichte? Stagniert bei bundesweit gerade mal 50 Prozent.
Ansätze, die auf eine Ausbreitung der marktgängigen Elementarversicherungen setzen, greifen zu kurz: Zum einen schließen diese Angebote Risiken aus, etwa Sturmflut, Grundwasser, Trockenheit und selbst bestimmte Starkregenverläufe. Zum anderen können Versicherte damit auch nicht verhindern, dass mangels Prävention in der öffentlichen Infrastruktur übergetretene Flüsse durch ihre Ortschaft rauschen können. Hier findet die Eigensorge ihre Grenzen.
Im Kern muss es um die Eindämmung von Katastrophenschäden gehen und nicht um ihre Erstattungsfähigkeit. Aber auf dieser Ebene trödelt derzeit die Debatte um die Einführung einer Pflichtversicherung. Dabei zeigen Modelle anderer Länder, wie Staat und Versicherungswirtschaft öffentlich-private Partnerschaften eingehen können, um verlässlich den Schutz vor Naturgefahren zu koordinieren und ihn über obligatorische Beiträge zu finanzieren. Die Versicherer steuern vor allem ihre Expertise in der Risikoanalyse und Schadenregulierung bei, während der Staat durch Prävention und einen Stop-Loss die Versicherbarkeit garantiert und die finanziellen Belastungen begrenzt. Die jüngsten „Jahrhunderthochwasser“ alarmieren. Es ist höchste Zeit für ein allseits verpflichtendes Gesamtkonzept.
Warum es keine Pflichtversicherung braucht – Kommentar von Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin
Die aktuelle Diskussion um eine Pflichtversicherung, die regelmäßig nach schweren Hochwassern und Überschwemmungen aufkommt, wird oft eindimensional geführt. Eine Versicherung verhindert keine Katastrophen, rettet keine Menschenleben und schützt keine Sachwerte. Sie wird nur immer teurer, wenn die Schäden ungebremst zunehmen.
Ohne konsequente Klimafolgenanpassung, ohne Prävention in der Fläche, wird es in den nächsten zehn Jahren zu einer Verdopplung der Wohngebäudeversicherungsprämie allein durch den Klimawandel kommen können. Und bei dieser Schätzung ist die Inflation noch nicht berücksichtigt. Versicherungsschutz wird also teurer werden. Mancherorts vielleicht sogar zu teuer, so dass sich Kunden und Kundinnen das nicht mehr leisten können. Möglicherweise auch in Gebieten, die wir heute noch gar nicht auf dem Radar haben.
Eine weitere Folge wäre ein schrumpfendes Angebot für Naturgefahrenversicherung. Jeder Versicherer muss angesichts aufsichtsrechtlicher Anforderungen prüfen, ob er die steigenden Extremwetterschäden langfristig noch in Deckung nehmen kann. Diese Gefahr ist keine Fiktion. In anderen Ländern ist diese Entwicklung bereits eingetreten, wie in den USA, wo in einigen Regionen kein Versicherungsschutz mehr angeboten wird.
Wir brauchen ein ganzheitliches Naturgefahrenabsicherungssystem, damit Schäden und Prämien nicht aus dem Ruder laufen. Wir Versicherer haben schon frühzeitig ein Gesamtkonzept vorgelegt: Wir brauchen verbindliche Schritte zur Klimafolgenanpassung, privaten Versicherungsschutz und eine staatliche Vorsorge für den Fall eines katastrophalen Großereignisses.
Wir Versicherer wollen versichern. Eine alleinige Pflichtversicherung für Naturkatastrophen ist keine Lösung. Die Kosten des Klimawandels würden allein den Hausbesitzenden aufgebürdet werden.