EXKLUSIV: Recruiting in Finanzvertrieb – Mensch statt Maschine

Foto: Bonnfinanz
Sebastian Wallusch, Bonnfinanz: „Das Thema Work-Life-Balance steht zunehmend im Fokus.“

Demografie, Online-Plattformen und neuerdings auch KI: Das Umfeld für Finanzberatung ist im Wandel. Wie gewinnen Unternehmen Menschen heute für den Beruf des Finanzdienstleisters? Wie gut funktioniert also das sogenannte Recruiting? Cash. hat sich umgehört.

Wohl fast jeder, der in letzter Zeit das Dach neu decken, die Heizung reparieren oder gar ein neues Haus bauen lassen möchte, kennt das Thema: Handwerker sind kaum zu bekommen. Wenn überhaupt, dann nur nach unzähligen Telefonaten oder Mails, mit langen Wartezeiten und nicht selten zu unverschämten Preisen. Wesentlicher Grund neben Corona und den weiteren Krankheitswellen: Fachkräftemangel. 

So ist der Kunde vielfach nicht mehr König, sondern kaum mehr als ein Bittsteller. Das Thema betrifft längst nicht mehr nur gut ausgebildete Handwerker, spezialisierte Industriearbeiter, IT-Experten oder auch Pflegeberufe. Die Personalengpässe beträfen die Breite der Wirtschaft und zögen sich mittlerweile durch nahezu alle Branchen und Berufe, berichtete Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), bei der Vorstellung des jüngsten „DIHK-Fachkräftereports“ Ende November, eine Umfrage, an der sich mehr als 22.000 Betriebe beteiligt haben.


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„Einige Branchen sprechen nicht nur von Lücken bei Fachkräften, sondern von einem allgemeinen Mangel an Arbeitskräften“, so Dercks. Am größten ist das Defizit demnach weiterhin in der Industrie und am Bau, doch auch 50 Prozent der befragten Dienstleistungsunternehmen gaben bei der DIHK-Umfrage an, dass sie derzeit offene Stellen längerfristig nicht besetzen, weil sie keine passenden Arbeitskräfte finden. 37 Prozent hatten derzeit keinen Personalbedarf. Keine Probleme damit zu haben, gaben nur 14 Prozent an, also lediglich etwa jedes fünfte Unternehmen, das auf der Suche nach neuen Kollegen war. 

Umgekehrt haben vor allem junge, gut ausgebildete Menschen derzeit exzellente Beschäftigungs-Chancen. Nicht wenige, so ist zu hören, sind von den vielen Möglichkeiten so erschlagen, dass sie sich kaum entscheiden können. So buhlen Unternehmen fast aller Branchen intensiv um Mitarbeiter.

Berufsfeld mit Handicap

Ein Berufsfeld hat dabei ein zusätzliches Handicap: Finanz- und Versicherungsvermittlung auf Provisionsbasis. Noch immer hat die Branche kein besonders gutes Image. Zu oft ergießen sich undifferenzierte Kritik, Misstrauen und Vorurteile seitens der Politik, von Verbraucherschützern und manchen Medien über sie. Dass der Vertrieb mittlerweile zum allergrößten Teil streng reguliert ist und dass für selbstständige Finanzdienstleister nicht nur eine umfangreiche Ausbildung, sondern auch eine laufende Überwachung durch die betreffende IHK beziehungsweise das Gewerbeamt vorgeschrieben ist, hat sich noch nicht bei allen Kritikern herumgesprochen – oder es wird bewusst ignoriert.

So sind besondere Anstrengungen der Unternehmen notwendig, um Bewerber zu rekrutieren und für den Beruf zu begeistern. Herausforderung ist auch – wie in anderen Branchen – die Demografie. Die Millionen „Baby-Boomer“, also die in den 1960er Jahren geborenen Menschen, kommen nach und nach ins Rentenalter. Die späteren Jahrgänge sind zahlenmäßig deutlich unterlegen.

Nicole Unger, MLP: „Es gelingt uns weiterhin gut, junge Menschen für das Berufsbild zu begeistern.“ (Foto: MLP)

Das spiegelt sich auch im jüngsten „Vermittlerbarometer“ des AfW Bundesverband Finanzdienstleistungen wider. Demnach sind zwei Drittel der Versicherungs- und Finanzanlagenvermittler über 50 Jahre alt. Das Durchschnittsalter beträgt demnach rund 54 Jahre. Nur 4,4 Prozent sind 30 Jahre oder jünger. „Es liegt an der Branche, jetzt Vorsorge dafür zu treffen, dass der Beruf des Versicherungs- oder Finanzanlagenvermittlers attraktiv für junge Menschen wird“, appellierte AfW-Vorstand Frank Rottenbacher an die Unternehmen.

Umso überraschender ist, dass die Anzahl der zugelassenen Finanzdienstleister im DIHK-Register zuletzt nicht weiter abgebröckelt ist. Im Gegenteil: Insgesamt ist die Zahl in den letzten vier Quartalen sogar leicht gewachsen (siehe Tabelle nächste Seite). So ist die Zahl der Versicherungsvermittler und -berater mit Erlaubnis nach Paragraf 34d Gewerbeordnung (GewO) im April 2024 insgesamt geringfügig höher als im Juli 2023. Der Zuwachs resultiert hauptsächlich aus dem Bereich der gebundenen (Ein-Firmen-) Vertreter. Aber auch die Zahl der Versicherungsmakler ist leicht gestiegen. Um gut ein Prozent rückläufig ist hingegen die Zahl der Versicherungsvertreter (Mehrfachagenten). 

Zugelegt hat auch die Zahl der Finanzanlagenvermittler mit Erlaubnis nach Paragraf 34f GewO. Fast alle verfügen über eine Zulassung für offene Investmentvermögen, also hauptsächlich Wertpapier-Investmentfonds und offene Immobilienfonds (Absatz 1 Nummer 1). Die Zahl derjenigen, die (auch) geschlossene Investmentvermögen (Nummer 2) und Vermögensanlagen (Nummer 3) vermitteln dürfen, ist hingegen weiter rückläufig. Angesichts des Verbots von Blindpool-Vermögensanlagen und der zuletzt generell schwachen Platzierungszahlen von Sachwertanlagen (siehe Cash. 3/2024) wird das kaum jemanden überraschen.

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Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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