EXKLUSIV: Recruiting in Finanzvertrieb – Mensch statt Maschine

Kaum eine Rolle spielen in Bezug auf die Gesamtzahl der Finanzdienstleister weiterhin Honorarberater, zumal hier die Anzahl der Zulassungen in allen Bereichen zurückgegangen ist – und das, obwohl zeitweise ein generelles Provisionsverbot im Raum stand (und noch immer nicht endgültig vom Tisch ist) und Honorarberatung von Verbraucherschützern sowie Teilen der Politik als das Zukunftsmodell gepriesen wird. Die Praxis ist offenkundig eine andere.

Insgesamt jedoch stemmt sich die Branche, jedenfalls im Bereich der GewO, erfolgreich den Personalmangel. Wie sehen nun – nach dem Ende der Pandemie und abseits der nackten Zahlen – Unternehmen die aktuelle Situation in der Mitarbeitergewinnung im Finanz- und Versicherungsvertrieb, also beim sogenannten Recruiting? Wie hat sich das insbesondere das Interesse junger Menschen an dem Berufsbild entwickelt und welche Bedürfnisse stehen im Vordergrund?

„Wir beobachten, dass sich die Stimmung allgemein aufhellt. Das mag aktuell auch daran liegen, dass das ursprünglich geplante Provisionsverbot auf EU-Ebene vorerst vom Tisch zu sein scheint. Aber den Zahlen aus dem Vermittlerregister zufolge nehmen die Registrierungen bereits sind Mitte des vergangenen Jahres tendenziell wieder zu, von Ausnahmen abgesehen. Der Trend scheint sich zu verstetigen“, berichtet Jörg Röckinghausen, Vorstand der Definet, die Service-Leistungen in der BTS-Gruppe und für angebundene externe Finanzdienstleister koordiniert. „Gleichzeitig verlassen mehr und mehr ältere Vertriebler und Makler den Markt, was jungen Nachwuchskräften neue Chancen an ihrem jeweiligen regionalen Wettbewerb bietet“, so Röckinghausen weiter. 

„Attraktivität ungebrochen“

„Gerade bei jungen Menschen wächst das Bewusstsein, dass eine eigenverantwortliche Vorsorgeplanung entscheidend für eine selbstbestimmte Zukunft ist. Die Finanzberatung zeigt sich daher als Tätigkeit mit langfristiger Perspektive und gesellschaftlicher Relevanz“, bestätigt auch Dr. Matthias Wald, Leiter Vertrieb bei Swiss Life Deutschland. „Darüber hinaus sind flexible Arbeitszeit- und Arbeitsortmodelle, ein breites und qualitativ hochwertiges Aus- und Weiterbildungsangebot sowie transparente Karrierewege wichtige Faktoren, die das Interesse an diesem Berufsfeld steigern“, so Wald weiter. Unerlässlich seien unterstützende Dienstleistungen aus dem Backoffice. „Neben unserem umfänglichen Produktprüfungsprozess sind digitale Services besonders wichtig“, so Wald. 

Ebenfalls positiv ist man bei der DVAG. „Die Attraktivität für den Beruf des Vermögensberaters ist ungebrochen und passt in zahlreichen Aspekten zu den aktuellen Ansprüchen – übrigens nicht nur der jüngeren Generationen“, sagt Marcus Aßmuth, Mitglied des Vorstands der DVAG. „Denn der Beruf Vermögensberater vereint eine äußerst wertvolle Dienstleistung, selbstbestimmtes Arbeiten, Eigenverantwortung und auch eine flexible Gestaltung der Arbeitszeiten. Darüber hinaus wollen die Menschen ein gleichberechtigtes Karrieresystem, in dem Leistung anerkannt und wertgeschätzt wird“, so Aßmuth. 

Marcus Aßmuth, DVAG: „Social Media ist ein sehr wichtiger Baustein in unserer Markenstrategie.“ (Foto: DVAG/Frank Blümler)

Ein Selbstläufer ist das jedoch nicht. Das Recruiting sei in den letzten Jahren herausfordernder geworden, nicht nur in der Finanzdienstleistungsbranche, berichtet Nicole Unger, Leiterin Vertriebsmanagement bei MLP. „Trotzdem gelingt es uns weiterhin gut, junge Menschen für das Berufsbild zu begeistern“, betont sie. Passende Nachwuchskräfte zu finden, erfordere neuartige Angebote. Das Unternehmen biete dafür ein Traineeprogramm, bei dem die Teilnehmer als angestellte Beratertrainees vier Monate lang komplett auf ihre Beraterausbildung an der unternehmenseigenen Corporate University konzentrieren können. 

„Das Interesse hat nicht abgenommen“, konstatiert auch Wolfgang Stolz, Leiter Vertrieb bei Plansecur, „jedoch haben sich die Fragen geändert, die für junge Menschen wichtig sind, vor allem bei der Gestaltung des Arbeitsalltags. Gibt es flexible Arbeitszeiten? Kann ich standortunabhängig arbeiten? Kann ich die Beratung komplett online durchführen?“ Diese Fragen würden Interessenten seit der Pandemie häufiger stellen. „Die für die junge Generation so wichtige Flexibilität und Eigenbestimmtheit der Arbeit verträgt sich wunderbar mit unserem Berufsbild“, ergänzt er. 

Um den Einstieg attraktiv zu machen, habe Plansecur unter anderem ein innovatives Kundenübertragungsmodell entwickelt. „Das bedeutet für jeden Neueinsteiger die Chance zur Übernahme der Kunden von altersbedingt aussteigenden Beraterinnen und Beratern“, betont Stolz. „Speziell für junge Menschen bieten wir Stipendien, mit denen das unternehmerische Risiko in der Anfangszeit reduziert wird, oder unser Junior-Berater-Modell, bei dem man mit einer Teilzeit-Anstellung beginnt und von einem erfahrenen Berater begleitet wird“. Nicht zu vernachlässigen seien außerdem die internen Austauschformate und Veranstaltungen. „Langfristig ist dieser ‚weiche Faktor‘ gleichrangig mit ausgeklügelten Einstiegs- und attraktiven Vergütungsmodellen zu sehen, die auf den ersten Blick entscheidender wirken mögen“, so Stolz. 

„Work-Life-Balance zunehmend im Fokus“

Weiterhin „großes Interesse, gerade junger Menschen, an dem Thema Finanzdienstleistungen“ registriert auch Sebastian Wallusch, Geschäftsführer der Bonnfinanz. Allerdings verändere sich auch die Zielgruppe. „Zunehmend steht das Thema Work-Life-Balance und vor allem das ortsunabhängige Arbeiten im Fokus der Bewerber und damit haben wir auch unsere Zielgruppenansprache entsprechend verändern müssen“, sagt er. „Unsere Recruitingaktivitäten und -investitionen haben sich – den Medien- und Nutzungsverhalten der angesprochenen Zielgruppe folgend – deutlich stärker in den Online- und Social Media Bereich verschoben.  Wir nutzen hier neben klassischen Social Media Plattformen wie Facebook oder Instagram insbesondere auch soziale Netzwerke für Geschäftskontakte, zum Beispiel LinkedIn, als Zugangswege“, so Wallusch.

Für die DVAG ist Social Media ebenfalls „ein sehr wichtiger Baustein in unserer gesamten Markenstrategie“, berichtet Vorstand Asmuth. „Ganz aktuell sind wir mit unserer neuen Kampagne ‚Wir verändern Lebenswege‘ an den Start gegangen. Unsere Vermögensberaterinnen und Vermögensberater sind dabei als Finanzcoaches unserer acht Millionen Kunden unsere wichtigsten Markenbotschafter und stehen zu 100 Prozent hinter diesem Leitsatz“, so Asmuth. 

Auch Plansecur-Vertriebsleiter Stolz bestätigt: „Social Media und dabei vor allem LinkedIn stellt eine wichtige Säule dar, um neue Beraterinnen und Berater zu interessieren“, er betont aber auch: „Doch es gibt noch viele weitere Wege, auf denen Interessenten zu uns kommen. Eine wesentliche Bedeutung kommt den persönlichen Empfehlungen zu, teilweise sogar aus der Kundschaft.“ 

Jörg Röckinghausen, Definet: „Gezielte Aktionen über die IHKen haben wir als besonders nachhaltig identifiziert.“ (Foto: Definet)

Eine Alternative zu Social Media sieht auch Definet-Vorstand Röckinghausen: „Als besonders nachhaltig haben wir gezielte Aktionen über die IHKen identifiziert, die im Gegensatz zu Aktionen über Soziale Medien mehr auf Qualität als auf Quantität abzielen“, sagt er. Das Unternehmen bietet über seine Akademie auch anderen Finanzvertrieben Fach-Qualifizierungen an, um die jeweilig geforderten IHK-Zulassungen zu erhalten. Sorge, damit nur die Konkurrenz stark zu machen, hat er nicht. „Einen Risikofaktor für den Aufbau von mehr Wettbewerb sehen wir in unserem Angebot nicht. Wer unser Angebot nicht hätte, würde sich die Aus- und Fortbildungen anderenorts holen. Wir sehen in unserem Aus- und Weiterbildungsangebot vielmehr ein lukratives Geschäftsfeld, bei dem wir allerhöchste Qualitätsmaßstäbe anlegen“, so Röckinghausen.

Während Facebook & Co. und auch Online-Vertriebsplattformen die Branche schon längere Zeit begleiten, ist zuletzt ein weiteres Digital-Thema hinzugekommen: Künstliche Intelligenz (KI). Schon länger machen Plattformen wie Check24 den Einzelvermittlern vor allem bei Standardprodukten Konkurrenz. Dies könnte mit KI bald auch komplexere Produkte und Beratungsprozesse umfassen. Welche Rolle spielt die Sorge potenzieller Interessenten, durch KI vielleicht bald überflüssig zu werden? 

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Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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