EXKLUSIV: Recruiting in Finanzvertrieb – Mensch statt Maschine

„Diese Sorge nehmen wir kaum wahr“, antwortet Stolz. „Erstens sind auf absehbare Zeit gar keine technischen Lösungen in Sicht, die Menschen wirklich ersetzen könnten. Zweitens – und das ist noch viel wichtiger – ist die umfassende Finanzberatung, wie wir sie bieten, in der Regel eng mit der Lebensplanung unserer Kunden verbunden.“ Diese Beratung von Mensch zu Mensch sei nicht nur von Fachwissen, sondern ebenso sehr von Empathie, Verständnis für die unterschiedlichen Lebenslagen und Wünsche und dem Eingehen darauf geprägt, so Stolz. „Natürlich wird KI eine immer größere Rolle spielen, aber eher für Vorbereitungen wie Datenerhebung, Datenaktualisierung, Berechnungen, Produktvergleiche et cetera. Die KI nimmt den Beratern und Beraterinnen also Arbeit ab, so dass diese mehr Zeit für den Kern der Kunden-Berater-Beziehung erhalten: die Fokussierung auf die persönliche Beratung, wie sie nur von Mensch zu Mensch möglich ist,“ sagt er.

In diesem Punkt herrscht Einigkeit unter den befragten Unternehmen: In Sachen Finanzberatung präferieren die meisten Kunden weiterhin Menschen statt Maschinen. So betont auch Swiss-Life-Manager Wald: „Die persönliche Finanzberatung ist gefragter denn je und mit Blick auf die Problematik des Rentensystems, vor der wir als Gesellschaft stehen, auch nicht durch KI zu ersetzen“.

Matthias Wald, Swiss Life: „Persönliche Finanzberatung ist gefragter denn je.“ (Foto: Swiss Life / Aaron Leithaueser)

Die individuellen Vorsorgebedürfnisse der Menschen seien so unterschiedlich wie ihre jeweilige finanzielle Situation oder ihre Wünsche und Ziele im Leben. „Um diese zu berücksichtigen und eine passende Lösung oder qualitätsgeprüfte Produkte zu finden, braucht es fachliche, persönliche Expertise und Empathie“, so Wald. Gleichzeitig nutze und teste Swiss Life KI, um Prozesse zu verbessern.

„KI gewinnt zunehmend an Bedeutung und ist als Unterstützung für zahlreiche Prozesse hilfreich“, sagt auch DVAG-Vorstand Asmuth. „Die umfassende persönliche und auf Vertrauen basierende Finanzberatung kann die KI aber nicht ersetzen. Denn den KI-Systemen fehlt es an Einfühlungsvermögen und Empathie. Der Faktor Mensch und das damit einhergehende Vertrauensverhältnis zwischen Vermögensberater und Kunde sind besonders bei unserer komplexen Dienstleistung nach wie vor unverzichtbar.“ Auch Nicole Unger sieht das so: „Unser Verständnis dieser Technologie ist das eines Hilfsmittels, zweifellos eines sehr vielseitig einsetzbaren und sehr leistungsfähigen – dies wird am Beispiel ChatGPT besonders deutlich. Gleichzeitig sind wir überzeugt: Menschen wollen auch weiterhin von Menschen beraten werden, gerade bei komplexen Finanzthemen.“

KI kann Finanzdienstleister nicht ersetzen

Das bestätigt auch Bonnfinanz-Geschäftsführer Wallusch. „KI wird aber, und das erleben wir schon an vielen Stellen unseres Unternehmens, zunehmend die administrativen Backoffice- und allgemeinen Recherchearbeiten übernehmen und die Dunkelverarbeitung im Hintergrund deutlich erleichtern“, sagt er. Finanzberater sei „weiter ein sehr interessanter und zukunftssicherer Beruf für finanzaffine Menschen, Banker und Versicherungskaufleute mit den Vorteilen und Flexibilität der Selbständigkeit“, resümiert Wallusch.

So ist in absehbarer Zeit wohl nicht damit zu rechnen, dass die Kunden sich in Bezug auf ihre persönliche Finanz- und Versicherungsplanung nur noch mit KI-Bots zufrieden geben werden. Finanzdienstleister werden also wohl auch künftig genügend Kundenpotenzial haben. KI kann sie dabei unterstützen, aber nicht ersetzen, so die einhellige Meinung. Auch die DIHK-Zahlen belegen, dass es der Branche weiterhin gelingt, ausreichend viele Menschen für den Beruf zu begeistern. Es ist auf der anderen Seite also auch nicht anzunehmen, dass es für die Kunden bald ähnlich schwer sein wird, einen Finanzdienstleister zu finden wie heute einen Handwerker.

Dieser Artikel stammt aus Cash.-Ausgabe 6/2024

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