Zunächst stellt sich die Frage, was das Rentenniveau aussagt. Dazu lohnt es sich ein Blick auf die Definition: Das Rentenniveau zeigt die Relation zwischen einer standardisierten Rente nach 45 Jahren Beitragszahlung auf Basis eines durchschnittlichen Einkommens und dem durchschnittlichen Einkommen eines Arbeitsnehmers oder einer Arbeitnehmerin auf. Dabei wird das Rentenniveau als Wert vor Steuern angegeben. Von der standardisierten Rente werden die Sozialabgaben, also Kranken- und Pflegeversicherung, abgezogen. Vom durchschnittlichen Brutto-Einkommen werden ebenfalls die Sozialabgaben – Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung – abgezogen. Heißt, die Steuer wird nicht berücksichtigt.
Die Krux ist, dass dieser theoretische Wert nur wenig Aussagekraft über die tatsächliche Rente der Menschen hat. Ist ein Arbeitnehmer im Niedriglohnsegment tätig oder teilzeitbeschäftigt und verdient 30.000 Euro brutto im Jahr, so erhält er für das Jahr 2024 Entgeltpunkte (EP) für die gesetzliche Rente in Höhe von 30.000 Euro/45.358 Euro (entspricht dem Durchschnittslohn) = 0,6614 EP gutgeschrieben.
Nehmen wir an, diese Person ist insgesamt 45 Jahre berufstätig und erreicht pro Jahr im Durchschnitt diese Entgeltpunktanzahl, dann hätte sie zu Ruhestandsbeginn 45 x 0,6614 = 29,7630 EP. Ein EP entspricht derzeit 37,60 Euro monatliche Rente. Heißt, der Rentner würde eine monatliche Bruttorente in Höhe von 29,7630 x 37,60 Euro, also 1.119 Euro erhalten. Geht man davon aus, dass aufgrund des Grundfreibetrag von derzeit 11.604 Euro und Sonderausgaben keine Steuer anfällt und zieht man von der Bruttorente die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ab – in der Summe 12,15 Prozent minus 8,15 Prozent Krankenversicherungsbeitrag inklusive des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes von 1,7 Prozent und 4 Prozent Pflegeversicherung für Kinderlose – so kommt man auf eine Nettorente von rund 983 Euro.
Eine Person, die 45 Jahre Vollzeit im Niedriglohnsegment gearbeitet hat, kommt also gerade auf rund 1.000 Euro monatliche Rente. Das ist weder ausreichend noch gerecht. Und auch der theoretische Wert vom Rentenniveau hilft diesen Menschen nicht weiter. Die Auswirkung auf die Rente der betrachteten Person bei Beibehaltung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, so wie es die Bundesregierung derzeit vorhat und mit einer Erhöhung der Beitragszahlung erreichen will, und dem Rentenniveau von 45,3 Prozent (in 2035 gemäß Referentenentwurf) ohne diese Erhöhung spielt für diesen Menschen keine Rolle. Der Unterschied liegt bei rund 18 Euro pro Monat. Heißt statt 983 Euro hätte der oder die Rentner oder Rentnerin dann 965 Euro nach heutiger Kaufkraft.
Beides ist nicht ausreichend. Bevor der Gesetzgeber nun mit Hilfe von einem theoretischen Wert den Menschen das Gefühl einer sicheren Rente im Sinne von für das Leben ausreichender Rente vermittelt, sollte er lieber das eigentliche Problem anpacken und dafür sorgen, dass die Rente insbesondere für die Niedrigverdiener oder Teilzeitbeschäftigten – dies sind des öfteren Frauen – ausreicht.
Manch Politiker schlägt deshalb eine entsprechende Erhöhung der Gehälter vor, bis das Rentenniveau ein Maß erreicht hat, um ausreichend davon leben zu können. Betrachtet man jedoch die Berechnung der Entgeltpunkte, lässt sich sehr schnell erkennen, dass dies nicht zielführend ist. Denn die Berechnung der Entgeltpunkte wird durch Division vom Bruttoeinkommen durch Durchschnittseinkommen erreicht. Betrachten wir wieder das obige Beispiel: 30.000 Euro/45.358 Euro = 0,6614 Entgeltpunkte. Werden nun alle Gehälter um beispielsweise 20 Prozent erhöht, dann steigt auch das Durchschnittseinkommen um 20 Prozent. Bedeutet, dass die Formel dann wie folgt aussieht: (1,2 x 30.000 Euro) / (1,2 x 45.358 Euro) = 0,6614 EP.
Heißt: Es ändert sich also nichts. Selbst, wenn nur die Gehälter unterhalb des Durchschnittsverdienstes zum Beispiel 20 Prozent erhöht werden würden, dann würde trotzdem der Durchschnittsverdienst um 10 Prozent steigen und die daraus resultierenden Entgeltpunkte wären für den Niedrigverdiener oder Teilzeitbeschäftigten wieder nicht ausreichend. Diese Idee ist also nicht zielführend. Was tun?
Für diejenigen, die unter dem Durchschnitt verdienen, sei es aufgrund von Tätigkeiten im Niedriglohnsegment oder durch Teilzeit arbeit, führt das Rentenniveau zur Altersarmut. Dies ist leider unabhängig davon, ob das Rentenniveau bei 48 Prozent bleibt oder etwas geringer wird. Die obigen Ausführungen zeigen dies sehr deutlich. In einem Sozialstaat wie Deutschland darf es aus der Sicht des Autors jedoch nicht dazu kommen, dass Menschen, die 45 Jahre gearbeitet haben, im Alter am Existenzminimum leben. Das Problem zu lösen, wird jedoch irgendwen weh tun – entweder dem Staat – also allen Bürgern – der mehr Steuergelder in die gesetzliche Rente stecken müsste, oder den Beitragszahlern, die mehr zahlen müssen. Die gesetzliche Rente zu kürzen, würde das Problem noch verschärfen.
An der Erhöhung des Renteneintrittsalters wird zwar kein Weg vorbeiführen, dies wird jedoch erst nach einem Übergangszeitraum von 30 bis 40 Jahren möglich sein, also die Kohorten betreffen, die ab etwa 2055 in Rente gehen. Das Problem der Babyboomer-Generation, die in den Jahren von 2025 und 2035 in den Ruhestand eintritt, wird dadurch nicht gelöst.
Nachfolgender Vorschlag betrifft einen Personenkreis, der es sich sowohl leisten kann höhere Beiträge zu zahlen, als auch ein Interesse daran hat, dass in der Zukunft keine zu große Schere zwischen reund arm entsteht. Es kann nicht im Interesse der Deutschen sein, in sozialen Missständen zu leben, wie es in den USA der Fall ist. Man kann also unterstellen, dass auch die Gutverdiener es sich wünschen, dass es den Menschen auch im Alter so weit gut geht und Armut bis hin zu sozialen Konflikten vermieden werden.
Problem der Baby-Boomer-Generation entschärfen
Eine Möglichkeit dies zu erreichen, könnte die Einführung einer zweiten Beitragsbemessungsgrenze (BBG) zur Rentenversicherung sein, die zum Beispiel bei der aktuellen BBG (West: 90.600 Euro) plus dem aktuellen Durchschnittseinkommen (45.358 Euro) d.h. bei 135.958 Euro liegt. Bis dahin zahlen alle Arbeitnehmer, die über
90.600 Euro verdienen, ein Viertel vom Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung (aktuell bei 18,6 Prozent), also 4,65 Prozent bis zu dieser zweiten BBG.
Der Verdienst darüber hinaus wird mit keinen Beiträgen belastet. Der Arbeitgeber zahlt wie bisher nur bis zur ersten BBG in Höhe von 90.600 Euro den halben Beitrag zur gesetzlichen Rente – darüber hinaus nichts. Es bleibt für den Arbeitgeber also so wie es bisher ist, denn die Arbeitgeber sind bereits stark belastet. Das Besondere dabei sollte jedoch sein, dass die Arbeitnehmer für die Beitragszahlung zwischen der ersten und zweiten BBG keine zusätzlichen Entgeltpunkte erwerben. Diese sollen den Niedrigverdienern zugutekommen. Dieses Prinzip ist an die Vorgehensweise in der Schweiz angelehnt. Der Vorteil von diesem Lösungsvorschlag liegt in der sofortigen positiven Wirkung der Maßnahmen bezüglich der akuten Problemstellung durch Eintritt der Baby-Boomer-Generation in den Ruhestand.
Dazu ein Beispiel: Ein Arbeitnehmer mit einem sozialversicherungspflichtigen Bruttogehalt von 150.000 Euro im Jahr zahlt also bis zur ersten BBG in Höhe von 90.600 Euro wie bisher 9,3 Prozent von 90.600 Euro, also 8.428,80 Euro in die gesetzliche Rente ein (die zweiten 9,3 Prozent leistet der Arbeitgeber). Im Bereich 90.600 Euro bis 135.958 Euro zahlt er dann darüber hinaus 4,65 Prozent von 45.358 Euro, also 2.109,15 Euro in die gesetzliche Rente ein. Ab 135.958 Euro führt er nichts mehr in die gesetzliche Rente ab. Die erworbenen Entgeltpunkte sollen jedoch beim bisherigen Maximum von 90.600 Euro/45.358 Euro = 1,9974 EP bleiben, das heißt, für den zusätzlichen Beitrag in Höhe von 2.109,15 Euro erwirbt der gutverdienende Arbeitnehmer keine zusätzlichen Entgeltpunkte.
Was hätte man damit erreicht? Die akute Altersarmut von Niedrigverdienern abzumildern auf Kosten von einem Personenkreis, der selbst in der Lage ist, zusätzlich neben der gesetzlichen Rente, für das Alter vorzusorgen. Unabhängig davon wirkt dieser Lösungsvorschlag sofort und würde auch das angehende Problem der Baby-Boomer-Generation entschärfen. Darüber hinaus würde man eine Lösung anstreben, die das Problem ehrlich anpackt, anstatt über theoretische Kennziffern den Menschen einreden zu wollen, dass in der Zukunft alles gut wird.
Autor Michael Hauer ist Geschäftsführer des Instituts für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP).